Brad Parscale ist Donald Trumps digitale Lebensversicherung. Er steuert seine Internet-Aktivitäten, konzipiert seine Wahlkampfwebseite, betreut das gesamte Online-Fundraising und hat durch die Anstellung ehemaliger Facebook-, Twitter- und Google-Mitarbeiter sämtliche Kampagnen Trumps aufs Engste mit den sozialen Medien verknüpft.

Und das nicht erst seit heute, sondern schon seit 2015. Kurzum: Brad Parscale ist ein Trumpgetreuer der ersten Stunde, die perfekte Symbiose aus progressivem Datenjunkie und erzkonservativem Nerd, wobei sein Aussehen eher an eine Mischung aus Waldschrat und Metalhead erinnert. Inhaltlich dagegen liegt er ganz auf Trumps Linie und ist ihm derart ergeben, dass er kürzlich mit mehr als nur einem Anflug von Hoffnung erklärte: „Die Trump-Familie wird sich zu einer Dynastie entwickeln, die über Jahrzehnte an der Macht bleiben wird.

Damit seine Vorhersagen auch eintreten, sammelt Brad Parscale mit seinen Mitarbeitern in großem Stil E-Mail-Adressen, Telefonnummern und alles, was er sonst noch an persönlichen Daten von den Leuten bekommt. (Fun Fact am Rande: Als Parscales Helfer im März 2016 anfingen, bei Donald Trumps Wahlkampfveranstaltungen die Telefonnummern der Besucher aufzuschreiben, taten sie das nicht, um die Leute nach Trumps Auftritt zu kontaktieren, sondern um ihnen vor dem Auftritt klarzumachen, dass man ihre Nummer hatte – nur für den Fall, dass sie Ärger machen und gegen Trump protestieren wollten.)

Aber die Zeiten haben sich geändert. Inzwischen ist Donald Trump Präsident, der Secret Service registriert, katalogisiert und klassifiziert jeden Furz, den einer bei Donald Trumps Wahlkampfveranstaltungen lässt, und Brad Parscales Datenbank ist mit 35 Millionen Telefonnummern besser gefüllt als die manch eines Tech-Riesen.

Allerdings werden die Nummern nicht nur zum Kontaktieren der Leute verwendet, sondern sind vor allem dazu da, mit anderen Daten abgeglichen zu werden, die die republikanische Partei bereits hat. Etwa, bei wem diese Menschen in der Vergangenheit ihr Kreuz gemacht haben, welche Konsumgewohnheiten sie pflegen, wie es in ihrem Wahlkreis so aussieht und ob sie als Wähler bereits registriert sind. Falls nicht, wird das auf Wunsch natürlich gleich mit erledigt – Wählerregistrierung ist schließlich wichtig in einem Land, das jährlich Hunderttausende oftmals auf bloßen Verdacht hin aus seinen Wählerverzeichnissen streicht, dazu über sechs Millionen (ehemalige) Häftlingen und zu Bewährungsstrafen Verurteilten das Wahlrecht entzieht (vor allem Schwarzen), und sich zur Sicherung der eigenen Macht die Wahlkreise derart zurechtschneidet, dass manche von ihnen inzwischen aussehen, „als würden zwei ungleiche Schmetterlingsflügel von einem seidenen Faden zusammengehalten werden.“

Solche Taten sind – allein schon wegen der Dreistigkeit und kriminellen Energie, die dahintersteckt – gewiss beeindruckend, wenn auch auf eine zweifelhafte Art. In den Augen von Brad Parscale sind es aber ausnahmslos analoge Aktionen, Instrumente aus der Welt der amtlichen Karteikunde und historischen Kartographie und als solche anfällig dafür, vom Obersten Gerichtshof wegen offensichtlicher Unrechtmäßigkeit kassiert zu werden.

Brad Parscale setzt dagegen auf die klandestinen Kräfte des Digitalen. Deshalb soll es demnächst auch eine App geben, mit der die Leute bessere Plätze bei Trumps Wahlkampfveranstaltungen bekommen, wenn sie dem Wahlkampfteam die Kontaktdaten von Freunden und Verwandten mitteilen, die von Brad Parscales Krakenarmen noch nicht erfasst worden sind.

Und trotzdem reichen einem Mann wie Brad Parscale all diese Mittel und Mitteilungen noch immer nicht aus. Die Leute sollen ihm nämlich nicht nur Informationen geben, er will auch über ihre Gefühle Bescheid wissen. Deshalb hat er sich was Neues ausgedacht. Künftig will Brad Parscale Gesichtserkennungstechnologien einsetzen, um die Reaktionen des Publikums während Trumps Wahlkampfreden zu messen. Und so ganz nebenbei würde ihm diese Technik auch helfen, herauszufinden, wer da überhaupt im Publikum sitzt. Könnte ja sein, dass ein paar die falsche Adresse aufgeschrieben oder sich bei ihrer Telefonnummer geirrt haben …

Ob und wann die Gesichtserkennung Einzug in Trumps politische Zirkusarena erhält, ist momentan noch nicht ganz klar, da die Technologie angeblich noch nicht bereit dafür ist. Eine Studie der ghanaisch-amerikanischen Informatikerin Joy Buolamwini, die 2018 im Zusammenhang mit dem Gender Shades-Programm im Media Lab des renommierten Massachusetts Instituts of Technology durchgeführt wurde, gelangte bezüglich Gesichtserkennungstechnologien jedenfalls zu dem Schluss, dass die Technik besser mit männlichen als mit weiblichen Gesichtern zurechtkommt und die Genauigkeit bei helleren Gesichtern größer ist als bei dunkleren, was dazu führt, dass die derzeit schlechtesten Ergebnisse bei Gesichtern schwarzer Frauen erzielt werden.

Aber für Donald Trump dürfte das kein Problem sein, er wird schließlich häufiger von Männern als von Frauen und überdies mehr von Weißen als von Schwarzen gewählt. Die schwarzen Frauen, bei denen die Gesichtserkennung am häufigsten versagt, sitzen bei Donald Trump jedenfalls nur selten im Publikum.

Dennoch versucht Brad Parscale auch sie zu erreichen. Er ist sich schließlich nicht nur der große Wahlkampf-Zirkus-Direktor, sondern versteht sich auch als Dompteur aller amerikanischer Seelen. Und als solcher hat er nicht nur schier endlose Daten und einen mächtigen weißen Mann auf seiner Seite, sondern auch ein paar schwarze Frauen und deren Technikvorstellungen. Denn Informatikerinnen wie Joy Buolamwini und die von ihr gegründete Algorithmic Justice League lehnen den Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie nicht grundsätzlich ab. Ihr Ansinnen besteht vielmehr darin, die Technologie für alle Ethnien und Geschlechter gleich gut zu machen. „Diese Technologie“, so Buolamwini, „muss über alle Maßen akkurat funktionieren.

Das ist angesichts der in den USA ebenso weitverbreiteten wie gefährlichen Melange aus altem Rassismus und neuen technischen Möglichkeiten in mancherlei Hinsicht gewiss ein ehrbares Ansinnen, allerdings vergisst Buolamwini bei ihrem Einsatz für eine schöne neue Welt aus egalitären Daten die grundsätzliche Frage zu stellen, ob das Machbare auch das Wünschbare ist.

Buolamwini jedenfalls will, so sagt sie, die Vorurteile der meist von weißen Männern geschaffenen Künstlichen Intelligenz problematisieren und Debatte über geschlechtliche und ethnische Zuschreibungen anstoßen. Für sie ist es nicht hinnehmbar, dass die Software die Gesichter von Farbigen und Frauen nicht so gut erkennt wie die der weißen Männer, die für diese Technik in der Regel verantwortlich sind. Sie betrachtet es als eine Form von demokratischer Inklusion wenn alle von den Algorithmen gleich behandelt werden. Frei nach dem Motto: Es gibt keine Auslese mehr, wenn alle gleich gut ausgelesen werden.

Brad Parscale, Donald Trumps Mann fürs Digitale, dürfte dieses Ansinnen gewiss unterstützen. Eine solche Form der neuen Minderheitenpolitik kann Leuten wie ihm helfen, alte Mehrheiten zu sichern.

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