Mit vielerlei Veranstaltungen wurde am Sonntag dem faschistischen Terroranschlag gedacht, der am 9. Oktober 2019 zwei Menschen das Leben kostete. Zwei weitere Personen wurden vom Täter auf der Flucht verletzt, unzählige durch die Tat traumatisiert. Seither werden von Stadtverwaltung, den jüdischen Gemeinden, Kultureinrichtungen und zivilgesellschaftlichen Initiativen diverse Möglichkeiten des Gedenkens und des Austausches organisiert.

Der Jahrestag begann an diesem Wochenende mit der gemeinsamen Gedenkveranstaltung der Stadt und der Jüdischen Gemeinde im Hof der Synagoge, in die der Täter erfolglos einzudringen versuchte. Nach kurzen Eröffnungsworten des Gemeindevorstandes Max Privorozki gedachten die Anwesenden um 12:03 Uhr, dem Zeitpunkt des Beginns des Anschlags, mit einer Schweigeminute. Zeitgleich ertönten in der ganzen Stadt die Kirchenglocken; Straßenbahnen und Busse standen still und informierten mit einer Lautsprecheransage über das tragische Jubiläum.

Nach dem Gemeindevorsteher ergriff Landesministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) das Wort. Er bezeichnete den Anschlag als „Zäsur“, die das Land tief verändert hätte. Es könne nach so einem Ereignis weder Verharmlosungen noch Relativierungen geben, „allen muss klar geworden sein, welche Gefahren vom Rechtsextremismus für unser Land ausgehen“, so der Unionspolitiker weiter.

Auch dürfe die Tat nicht als Aktion eines isolierten Einzelgängers gesehen werden. Damit meinte Haseloff aber wahrscheinlich weniger strukturelle Faktoren wie beispielsweise die grassierenden rechten Netzwerke in Polizei, Justiz und Verfassungsschutz, die Linke immer wieder kritisieren, sondern vor allem den gewaltsamen Antisemitismus innerhalb der rechtsradikalen Sphäre.

Ferner mahnte der höchste Politiker im Bundesland auch zum Gedenken an die Überlebenden in Synagoge und dem „Kiezdöner“ sowie den beiden vom Täter Schwerverletzten in Wiedersdorf. Die gesamte Gesellschaft sei in der Pflicht, sich gegen Antisemitismus und seine Wurzeln „mit aller Entschiedenheit zu wehren.“ Er verwies darauf, dass sich auch zu diesem Zweck in der kommenden Woche in der Staatskanzlei ein Beirat für jüdisches Leben in Sachsen-Anhalt konstituieren werde.

Gegen Ende seiner Ansprache bedankte sich Haseloff „bei allen, die sich darum bemühen, die Wunden [des Anschlags] mit heilen zu helfen – wohl wissend, dass bestimmte Dinge nicht wieder gutzumachen sind.“

Im Anschluss sprach die Schafferin des neu aufgestellten Mahnmals im Hof der Synagoge, Lidia Edel. Es besteht aus der Tür, die den Täter vom Eindringen in den Gebetsraum abhielt, welche von künstlichen Eichenästen in Form einer Hand gehalten wird.

Metallene Blätter in verschiedenen Farben erinnern respektive an die Überlebenden, Toten und Verwundeten. Es steht inmitten einer Steinspirale – Symbol dafür, „dass das Leben trotz Einschlägen weitergeht“. Der sonst geschlossene Synagogenhof wird fortan an jedem 9. Oktober der Öffentlichkeit zugänglich sein.

Zum Abschluss sprach Halles Bürgermeister Egbert Geier. Auch er betonte die enormen Spuren, die der Anschlag in der Stadt hinterlassen habe. Bezogen auf das zuvor vorgestellte Mahnmal nahm Geier Bezug auf das Symbol der Tür: am Tag des Terroranschlags sei sie Bollwerk zum Schutz der Synagogenbesucher gewesen.

Es genüge aber nicht, ein physisches Bollwerk zu haben. „Das wichtigste und stabilste Bollwerk gegen Hass und Intoleranz“ seien jedoch die metaphorischen offenen Türen des gesellschaftlichen Miteinanders.

Im Anschluss hatten die Anwesenden die Möglichkeit, selbst Steine – in jüdischer Kultur Symbol für die Ewigkeit – zur Spirale um das Denkmal zu legen. Parallel zur Veranstaltung in der Synagoge fand in der Marktkirche eine offene Gedenkandacht statt.

Gedenkrundgang

Von zivilgesellschaftlicher Seite fand im Anschluss an das offizielle Gedenken ein Rundgang zu den drei fußläufig erreichbaren Orten des Anschlags statt. Es beteiligten sich bis zu 300 Personen. Zuerst ging der Trauerzug auf Einladung der jüdischen Gemeinde zur Synagoge, wo Blumen und Kerzen am Mahnmal niedergelegt wurden. Hiernach bewegten sich die Teilnehmer in die Magdeburger Straße, wo der Täter auf der Flucht sein Auto auf den Fußweg und auf zwei Personen zulenkte.

Die beiden Betroffenen hatten auch mit einer Revision nicht erreichen können, dass die Angriffe auf sie vom Gericht während des Verfahrens als rassistisch motivierte Mordversuche eingestuft wurden, was von den Rednerinnen wiederholt scharf kritisiert wurde.

„Es gab viel Bezeichnen der Tat als rassistisch, juristische Konsequenzen gab es aber keine“, hieß es auf der Demo. „Die Richterin hatte Mitgefühl, aber Mitgefühl ist wie ‚Das passiert, ist jetzt aber wieder vorbei’, das eigentliche Urteil war ungerecht“, hieß es von einem der Betroffenen in einem auf der Demonstration abgespielten Interview.

Im Anschluss zogen die Teilnehmer zum damaligen Kiezdöner, der zwischenzeitlich in Zusammenarbeit von Betreibern und der Solidaritätsgruppe 09. Oktober in das Frühstückscafé Tekiez umgebaut wurde, mittlerweile aber schließen musste. Hier fand eine mehrstündige Kundgebung statt, bei der mit mehreren Redebeiträgen auf Kontinuitäten rechten Terrors in Deutschland hingewiesen wurde.

Es wurde eine beim „Festival of Resillience“ in Berlin gehaltene Rede abgespielt. Zudem sprach ein enger Freund des beim Anschlag getöteten Kevin S. und gedachte seines Freundes mit einem selbst verfassten Gedicht, was die Anwesenden sichtlich berührte.

Kulturveranstaltungen

Im Thalia Theater fand über den Nachmittag eine Performance der Regisseurin Christina Friedrich statt. Sie hat zwei Jahre in Haifa gelebt und mit Shoah-Überlebenden gesprochen. Dabei entstanden sieben Umschläge mit Zeichnungen, die wiederum an Städte auf der ganzen Welt verschickt wurden, die im Leben der Betroffenen eine Rolle spielten und dort wieder neu interpretiert wurden, wie es im Ankündigungstext der zuständigen Bühnen Halle heißt. Am Sonntagabend fand eine Vorstellung eines zugehörigen Films statt, der Eintritt zu beiden Veranstaltungen war frei.

Zuvor fand eine zentrale Schweigeminute auf dem Halleschen Marktplatz statt, während das Carillionspiel des Roten Turms in Erinnerung an die Verstorbenen von der Musikerin Uta Gräber gespielt wurde.

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