Das Zehnjährige war vor einem Jahr. Am 1. Januar 2002 betraten die ersten 100 Soldaten der Bundeswehr den Boden Afghanistans. 2014 soll der Einsatz enden. So beschloss es der Bundestag am 31. Januar 2013. Die Folgen werden auch viele eingesetzte Soldaten noch lange spüren. Die Selbsthilfekontakt- und Informationsstelle des Leipziger Gesundheitsamtes gründet jetzt einen Gesprächskreis für Menschen nach Kriegseinsatz.

Als der Bundestag am 22. Dezember 2001 den Einsatz der Bundeswehr am fernen Hindukusch beschloss, war es nicht nur das kommende Weihnachtsfest, das die Nation beschäftigte. Zu diesem Zeitpunkt hatten auch die Bundesbürger drei Monate mediales Trommelfeuer hinter sich, mit dem die Bush-Administration nach den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September ihre Verbündeten zum Krieg zusammentrommelte. Mit fadenscheinigen und falschen Argumenten wurde insbesondere der Krieg gegen den Irak eingeläutet. Ein Krieg, aus dem die Schröder-Regierung die Bundeswehr unbedingt heraushalten wollte.

Und so war die Bundesrepublik nicht in jener seltsamen Koalition der Willigen, die das Hussein-Regime im Irak bekriegte. Da sah es wie ein humanitärer Schachzug aus, wenn sich die Bundesrepublik bereit erklärte, die Afghanistan-Mission zu unterstützen – scheinbar rein defensiv mit “maximal 1.200 Soldaten” in Kabul und am Flughafen vor der Stadt. Verteidigungsminister Rudolf Scharping erklärte sogar, dass er mit einem maximal sechsmonatigen Einsatz rechnete, denn in Afghanistan schien es dadurch, dass die Anti-Taliban-Koalition selbst die Initiative ergriffen hatte, schnell zu gehen. Sagenhaft schnell. Ein bisschen militärische Unterstützung durch die USA und ihre Verbündeten und man könnte wieder ein Land in die Demokratie nach westlichem Vorbild zurückführen.

“538 Abgeordnete stimmen dafür, nur 35 dagegen. Anschließend flüchten sie in die Weihnachtsferien. Deutschland ist Kriegspartei – auch wenn die Politiker das damals noch nicht so nennen wollen. Am 1. Januar 2002, knapp drei Monate nach Beginn des Bombardements Afghanistans durch die USA, betreten 100 deutsche Soldaten erstmals afghanischen Boden”, schreibt der “Spiegel” dazu in gewohnter lakonischer Bissigkeit.

Das erwies sich genauso wie die falschen Hoffnungen auf einen kurzen Irak-Krieg als Trug. Nicht nur die US-amerikanischen Truppen zahlen mit Blut und Gesundheit.Die heutige Bilanz des deutschen Truppeneinsatzes in Afghanistan, der bei defensiven Wach- und Patrouillenaufgaben in Kabul nicht geblieben ist: Rund 100.000 deutsche Soldaten waren inzwischen in Afghanistan. Der “Spiegel” spricht von 53 getöteten Soldaten, die Bundeswehr von 52.

Rund 200 wurden verletzt und weit mehr als 1.800 schwer traumatisiert. Der “Spiegel” bezifferte 2011 die Kosten für den deutschen Afghanistan-Einsatz allein auf mindestens 5,5 Milliarden Euro.

Und es war nicht der einzige Auslandseinsatz der Bundeswehr, bei dem Soldaten ums Leben kamen. Bei Wikipedia findet man die Zahl von insgesamt 101 Soldaten, die im Zuge der Auslandseinsätze der Bundeswehr seit 1992 ums Leben gekommen sind. Nach Angaben der Bundeswehr vom 17. September 2012 liegt die Zahl der in Auslandseinsätzen seit 1992 ums Leben gekommenen Bundeswehrangehörigen bei 100, davon 36 durch Fremdeinwirkung.

Aber das sind ja nicht die einzigen belastenden Folgen. Der Wikipedia-Artikel zu den deutschen Auslandseinsätzen wird von dem wichtigen Hinweis gekrönt: “Es fehlt ein Abschnitt zum posttraumatischen Belastungssyndrom nach Auslandseinsätzen, siehe bitte Diskussion; die psychischen Einsatzfolgen sind für zahlreiche Bundeswehrangehörige gravierend, das Thema hat Öffentlichkeit und Bundestag bereits vielfach beschäftigt.”

Man weiß es eigentlich seit dem 1. Weltkrieg, welche psychischen Folgewirkungen das Kriegserlebnis für viele der eingesetzten Soldaten hat. Erste umfassende Untersuchungen dazu gibt es aus den Erfahrungen der USA mit dem Vietnam-Krieg. In der Bundeswehr wurde das Thema der Posttraumatischen Belastungsstörung lange Zeit unterschätzt und auch das Ausmaß verkannt. Erst in den letzten zwei, drei Jahren rückte es endlich in den Fokus der Aufmerksamkeit – auch weil Betroffene wie Robert Sedlatzek-Müller auf die Probleme aufmerksam machten, die Soldaten mit diesem Syndrom haben.

Und es waren und sind auch Truppen aus Leipziger Kasernen, die immer wieder in Afghanistan zum Einsatz kamen. Höchste Zeit also, auch in Leipzig bewusster mit dem Thema umzugehen.

Dafür ist der Gesprächskreis ein erster Schritt.

“Zu einem gemeinsamen Austausch und gegenseitigem Beistand sind Frauen und Männer eingeladen, die als Bundeswehrsoldaten im Kriegseinsatz waren und versuchen, mit dem Erlebten zurecht zu kommen, um wieder Fuß im Alltag zu fassen. Die ersten Treffen des Gesprächskreises werden begleitet”, teilt das Gesundheitsamt dazu mit.

Alle, die sich angesprochen fühlen, sind herzlich eingeladen und wenden sich bitte an Ina Klass in der Selbsthilfekontakt- und Informationsstelle des Gesundheitsamtes unter der Telefonnummer (0341) 123-6755 oder über E-Mail: ina.klass@leipzig.de.

Die Selbsthilfekontakt- und Informationsstelle der Stadt Leipzig: www.leipzig.de/selbsthilfe

Der “Spiegel” zur Afghanistan-Bilanz im Dezember 2011: www.spiegel.de/politik/ausland/deutscher-afghanistan-einsatz-zehn-vertane-jahre-a-805088.html

“Wikipedia” zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr:
http://de.wikipedia.org/wiki/Auslandseins%C3%A4tze_der_Bundeswehr#Nach_dem_11._September_2001

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