Peter Rühmkorf dichtete 1962 eine „spätzeitlich dekadente Frivolität“. Das Gedicht „Auf einen Klang“ nimmt zahlreiche Anleihen bei den Merseburger Zaubersprüchen und paart diese mit sinnentleerten Worten, Auslassungen und direkten Ansprachen. So entsteht eine frivole Atmosphäre, wie sie typisch ist für die Gedichte Peter Rühmkorfs. Das Gedicht erschien 1962 in dem Sammelband „Kunststücke. Fünfzig Gedichte nebst einer Anleitung zum Widerspruch“ im Rowohlt Verlag.
Im Rahmen der Ausstellung zur literarischen Rezeption der Merseburger Zaubersprüche können die Vereinigten Domstifter ab Mitte Juli das Typoskript, d. h. den korrigierten Entwurf von der Hand Rühmkorfs, zeigen. Das Schriftdokument konnte aus dem Nachlass Rühmkorfs im Literaturarchiv Marbach entliehen werden.
Dank dieser großzügigen Leihgabe ist es möglich, einem der berühmtesten deutschen Dichter der Neuzeit bei seiner Arbeit über die Schulter zu sehen. Es kennzeichnet zudem die Arbeitsweise Rühmkorfs und
die Zusammenarbeit mit dem Rowohlt Verlag. Die Authentizität des Originals beeindruckt und lässt den schöpferischen Prozess erahnen.
Der Dichter
Peter Rühmkorf wurde am 25. Oktober 1929 in Dortmund geboren, er wuchs in Warstade (Ortsteil von Hemmoor bei Stade) auf. Seine Mutter Elisabeth Rühmkorf war Lehrerin, sein Vater Hans Westhoff Puppenspieler. In Stade legte Rühmkorf 1951 das Abitur ab. Seit 1951 studierte er Pädagogik und Kunstgeschichte, darauffolgend Germanistik und Psychologie in Hamburg. Rühmkorf brach jedoch 1956/57 sein Studium ab.
In seiner Studienzeit gab er zusammen mit dem Lyriker und Essayisten Werner Riegel die Literaturzeitschrift „Zwischen den Kriegen“ heraus und war einer der Gründe des „Studentenkurier“. Zwischen 1958 und 1964 arbeitete Rühmkorf im Rowohlt Verlag als Lektor. Seit 1956 erschienen regelmäßig Gedichtsammlungen, häufig trug Rühmkorf seine Gedichte öffentlich vor, dabei ließ er sich zuweilen durch Jazzspieler begleiten.
Neben zahlreichen Lehraufträgen an Universitäten im In- und Ausland wirkte Rühmkorf auch als Dramatiker. Er gehörte zu den aufmerksamen Beobachtern und Kommentatoren des Kulturbetriebs der BRD.

Rühmkorf sah sich als Erbe der Aufklärung. Seine Gedichte voller Wortwitz, spielerischem Spracheinsatz und Bildgewalt spiegeln die moderne Dichtung: „ein utopischer Raum, in dem freier geatmet, inniger empfunden, radikaler gedacht und dennoch zusammenhängender gefühlt werden kann als in der sogenannten wirklichen Welt“.
Rühmkorf starb am 8. Juni 2008 in Roseburg. Sein literarischer Nachlass wird im Literaturarchiv Marbach verwahrt.
„Auf einen alten Klang“
Der Titel „Auf einen alten Klang“ bezieht sich natürlich auf die Merseburger Zaubersprüche. Dabei verwendet Rühmkorf geschickt zwei Bruchstücke aus beiden Merseburger Zaubersprüchen und setzt diese zu einer lustvollen Handlung zusammen. „Spätzeitlich dekadente Frivolität“ nannte Rühmkorf sein Gedicht später.
Klangvolle, aber sinnentleerte Worte, Auslassungen und direkte Ansprachen wechseln einander ab und erschaffen eine frivole Atmosphäre.
Die Merseburger Zaubersprüche und ihre Rezeption in der Literatur
In der Südklausur des Merseburger Domes erwartet die Besucher seit April die Ausstellung zur literarischen Rezeption der Merseburger Zaubersprüche. Erstmals wird die Rezeption der Merseburger Zaubersprüche in der Literatur seit ihrer Entdeckung 1841 dargestellt.
Da die 1842 von Jacob Grimm vorgestellten „merseburger gedichte“ recht bald Eingang in Sammlungen zur deutschen Literaturgeschichte fanden, erfreuten sie sich eines großen Bekanntheitsgrades. Ihr Klang, ihr Rhythmus und die zugeschriebene Magie verlockten zu einer literarischen Verarbeitung und Auseinandersetzung.
Bereits 1879 fanden sie Eingang in den Roman „Kuning Hartfest“ von David Friedrich Weinland. In England war es Clements R. Markham, der sie in „The Paladins of Edwin the Great“ verarbeitete.
Bis heute sind zahlreiche Werke erschienen, die Teile der Zaubersprüche verarbeiteten, diese zitierten oder deren Herkunft erzählerisch zu deuten versuchten. Besonders umfassend ist die Rezeption in Merseburg – hier seien nur die Namen von Walter Bauer und Jürgen Jankofsky genannt.
In der Ausstellung werden die jeweiligen Schriftsteller und ihr Werk kurz vorgestellt. Die Stellen, an denen die Zaubersprüche verarbeitet wurden, werden möglichst ausführlich zitiert. Ausstellungsobjekte sind zumeist die Erstausgaben der betreffenden Bände, man darf sich daher auf bibliophile Kostbarkeiten wie Thomas Manns „Doktor Faustus“ sowie Umberto Ecos italienische Erstausgabe des „Name[ns] der Rose“ freuen.
Die Gesamtheit der rezipierenden Literatur kann indes nicht gezeigt werden, wohl aber exemplarische Werke und Gattungen vom 19. Jahrhundert bis heute. Einzelne Autoren haben signierte Bücher zur Verfügung gestellt.
Da die Ausstellung aus einem reichen Fundus schöpfen kann, werden die Objekte nach einer gewissen Zeit gegen neue getauscht. Dann erwartet den Besucher vielleicht eine neue Überraschung in Form eines bislang nicht gezeigten Typoskripts.
Die Besucher können sich überraschen lassen vom Einblick in eine umfangreiche Rezeptions- und Literaturgeschichte. Die Prominenz der Autoren und der Umfang der rezipierenden literarischen Werke belegen die den Merseburger Zaubersprüchen innewohnende Magie.
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