Von Holm Chemnitzer: Ob sie "Sternbahn", "28" oder "9" hieß, die heutige LVB-Linie 9 war über einhundert Jahre lang maßgeblicher Motor der Oetzsch-Gautzscher Orts- sowie der Markkleeberger Stadtentwicklung. Sie war einst quietschendes, heute zumeist sanft rollendes, am Bahngleisübergang inmitten Markkleebergs auch polterndes Wahrzeichen. Sie hat den immer aufstrebenden Ort Markkleeberg mit Leipzig wie auch die Großstadt mit eigenen Außenposten verbunden.

Sie hat zwei Kriegen und ökonomisch knappen politischen Systemen so tapfer getrotzt wie der europaweiten (und eigentlich längst überwundenen) Tramstilllegungswelle um die siebziger Jahre herum. Auch die als Argument strapazierte parallele Eisenbahnanbindung ist für Markkleeberg letztlich keine Neuigkeit und war für die Tram einst kein Totschlagargument. Es existierten zu DDR-Zeiten Direktzugverbindungen in Richtung Plagwitz und zum Bayerischen Bahnhof. Die Oberleitungen und Gleise der “Bimmel” waren Wegorientierung für Auswärtige und Sinnbild für Stabilität, Fortschritt und städtisches Flair.

Unter den Markkleebergern treffe ich kaum Menschen, die den Wegfall der Straßenbahn nicht mit Bedauern assoziieren. Selbst der Bürgermeister hat während eines persönlichen Gespräches klar Missmut bekundet, obgleich das ihm vorliegende Gutachten unumstößlich die Beendigung des Trambetriebs inspiriere. Es ist inzwischen klar geworden, dass die anstehende Stilllegung der Anbindung großer Teile Markkleebergs an das LVB-Straßenbahnnetz mehr darstellt, als der bloße Austausch eines Verkehrsmittels durch ein anderes.

Inzwischen ist die Umstellung Realität geworden. Das enorm Bittere daran, ein rein elektrisch betriebenes und nach neueren Gutachten für rentabel bescheinigtes (Ökolöwe Leipzig) Nahverkehrsmittel wurde nun durch einen rein per fossilem Treibstoff betriebenen Gelenkbus ersetzt. Ein kaum in Worte zu fassender, unzeitgemäßer Rückschritt! Anzumerken wäre noch, dass die Tram die an den vielen Haltestellen anfallende Bremsenergie zudem zurückführen konnte. Der Immobilienstandortvorteil entlang von Straßenbahnstrecken ist sicher niemandem ein Geheimnis mehr – ein Verzicht auf diesen Stadtentwicklungsmotor bleibt unbegreiflich.

Markkleeberg hat in den vergangenen Jahrzehnten eine großartige Siedlungsentwicklung erlebt, der das gleisstarre Verkehrsmittel jedoch nicht gefolgt ist. Die Streckenführung der Tramlinie 9 ist mit Ausnahme der Wendeschleifen seit deren Inbetriebnahme zu Beginn des 20. Jahrhunderts unverändert geblieben. Aus dem Versäumnis der Anpassung den Busersatz zu entwerfen, erscheint für viele Markkleeberger unkreativ. Ein pfiffigeres Résumé hätte man sich im Zeitgeist erhoffen können. Eine vorbildlich “grüne” Neun ohne Not-Ende hätte die Tram wohlmöglich werden können, wäre die Kluft zwischen Einzugsschwerpunkten und Streckenführung nicht so stark gewachsen.

U. a. der “Ökolöwe” Leipzig hatte bislang erfolglos einen Vorschlag mit Linienführung entlang der Koburger Straße unterbreitet und damit viele Aspekte gleichzeitig berücksichtigt: die Entkopplung vom Haupteinzugsgebiet der S-Bahn, die Erschließung gewachsener Siedlungskerne wie Eulenberg und Zöbigker, die Beseitigung der lärmenden und verschleißenden Schienenkreuzung an der Schranke, die bessere Anbindung Leipziger Areale wie dem Nordstrand des attraktiven Cospudener Sees sowie eine Streckenzeitverkürzung durch Begradigung, schlau gestaltet sogar vielleicht sparsam eingleisig.

Aus der ursprünglichen Aussage einer 30%igen-Fahrgasteinbuße infolge der neuen S-Bahn sind inzwischen 25 % geworden, aber das Kostenargument wiegt im Rahmen der möglichen Optionen schwer. Den Leipziger und Markkleeberger Stadtentwicklern, den Landkreis-Entscheidern, den Parteien und der LVB sollte klar sein, dass nicht nur eine legendäre Route aufgegeben wird, sondern auch ökologische wie auch marktpolitische Chancen. Ein schon im Zentrum Leipzigs sichtbarer Tram-Beiname “Seebahn” mit Hinweis auf die durchgängige Route zum Leipziger (!) Nordstrand des Cospudener Sees im Rahmen eines durchdachten Werbekonzepts hätte zusammen mit technologischen und Streckenführungsanpassungen vielleicht zur Förderung nachhaltiger Synergien zwischen den beiden Städten beitragen können.

Gegenwärtig gewinnt das Schlagwort Elektromobilität auch in den Rathäusern an Gewicht, jedoch kaum beachtend, dass an Fahrleitungen gebundene Verkehrsmittel wie Trams und O-Busse zu den tauglichsten elektromobilen Beispielen zählen. Wegen ihrer Fähigkeit, Bremsenergie zurückzuführen sowie auch im kalten Halbjahr den Heizbetrieb rein elektrisch zu bewerkstelligen, stellen sie eine besonders ökonomische Fahrzeugform dar – ohne schwere, klimatisch abhängige und entsorgungsaufwändige Batterien. Den ökologischen Aspekt erfüllen sie darüber hinaus in vorbildlicher Weise, da deren Betrieb vollständig auf nichtfossile Quellen umstellbar ist.

Fahrzeuge mit festen Routen und häufigen Fahrtunterbrechungen wie die des öffentlichen Nahverkehrs sind darum in besonderem Maße in der Lage, die höheren Investitionen der stationären Infrastruktur vorteilhaft und zukunftssicher zu nutzen. Nicht zuletzt darum folgen immer mehr Städte und Kommunen in Europa dem Trend des Ersatzes oder der Ergänzung von Buslinien durch Straßenbahnen. Frankreich und Teile Deutschlands sind dabei beispielgebend. Kürzlich fand außerdem in Skandinavien wieder die als Light Rail Day organisierte Konferenz statt. Immer mehr nordische Städte folgen dem klaren Trend und debattieren dort aus gutem Grund die Errichtung erster Straßenbahnlinien. Unaufhaltsam entstehen aber auch energetisch achtsame Stadtverkehrsalternativen, so zum Beispiel die sich im asiatischen Raum etablierenden Superkondensatorbusse (Capabus) mit gegenüber Batterie-Hybridbussen konsequenter Elektroenergienutzung.

Im Spiegel der europaweiten Elektro-Nahverkehrsdiskussion erscheint das Überwiegen der kurzfristigen Kostengesichtspunkte inzwischen unzeitgemäß. Die Betrachtungen erstrecken sich auf den positiven Stadtentwicklungseinfluss, die steigenden Immobilienwerte und die Attraktionskraft auf Anwohner und Touristen entlang schienen- und drahtgebundener Nahverkehrssysteme. Auch ihre weitaus bessere Nutzbarkeit durch Rollstuhlfahrer und Eltern mit Kinderwagen durch die hohe Rollstabilität und ohne den Nutzungszwang eines ungewiss verfügbaren Aufzugs (S-Bahn Markkleeberg) sollte nicht verschwiegen werden.

Nicht erst der VW-Skandal hat dazu ermuntert, den Wahrheitsgehalt von Werbeprospekten zu hinterfragen. So verwundert es auch nicht, dass die zuweilen in warmen Ländern erfassten Kennwerte der populär gewordenen Hybridbusse im Winterheizbetrieb durchaus von der Realität abweichen können. Die Fahrgastzahlenstatistik hat gesiegt über eine Reihe “weicherer” Faktoren. Auch der Fahrgastzählungszeitpunkt nach Inbetriebnahme der neuen S-Bahnlinie ist sicher nicht unerheblich mit dem möglicherweise vorübergehenden Attraktionseffekt im Bewusstsein. Eine der eigenen Zählungen kürzlich an einem normalen November-Montagmorgen ergab eine viertel acht am Connewitzer Kreuz ankommende Personenzahl von über 41, was einen LVB-Gelenkbus komplett füllt.

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