"Leipzig, Leipzig! arger Boden, Schmach für Unbill schafftest du. Freiheit! hieß es, vorwärts, vorwärts! Trankst mein rotes Blut, wozu?" Diese Zeilen schrieb Adelbert von Chamisso 1827 - 14 Jahre nach der Völkerschlacht. Welche Verzweiflung, welche Verbitterung sprechen aus diesen Worten - und drücken damit die Dramatik der Völkerschlacht und ihrer Folgen aus.

In der seit der Antike wohl größten Schlacht kämpften mehr als eine halbe Million Soldaten gegeneinander. Gut 100.000 wurden getötet oder verwundet. Und das Leid derjenigen, die an der Schlacht gar nicht beteiligt waren, die Menschen, die in Leipzig und den Dörfern rund um die Stadt lebten, ist hier noch gar nicht erfasst. Sie wurden von den durchziehenden Heeren rücksichtslos geplündert, und von Seuchen heimgesucht, die nach der Schlacht ausbrachen. Sie waren somit genauso Leidtragende der Völkerschlacht wie die Soldaten, für die dieses Denkmal vor 100 Jahren errichtet wurde.

Wenn wir heute auf die vergangenen hundert Jahre zurückblicken, kann man sich fragen: Hat der Bau dieses Denkmals etwas bewirkt? Hat er so etwas Grausames wie Krieg und Tod eindämmen oder gar verhindern können? Leider, so müssen wir diese Frage beantworten, ist das nicht der Fall gewesen. Bereits ein Jahr nach der Einweihung des Völkerschlachtdenkmals brach im Herzen Europas der 1. Weltkrieg aus. Er brachte bis dato unvorstellbares Leid und ungekannte Opferzahlen – und die enttäuschte Hoffnung, dass solch ein “Gemetzel” wie die Völkerschlacht nicht mehr passieren könnte. 1913/14 hat das Völkerschlachtdenkmal also nicht bewirkt, die Erinnerung an die Schrecken des Krieges wachzuhalten. Oder: daran zu mahnen, wie schnell ein Frieden zerbrechen kann.

Gerade dieser Punkt ist nun unsere Aufgabe, die wir seit sechs Jahrzehnten mitten in Europa ohne Krieg und in einem Europa des Friedens leben dürfen. Denn: “Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.” So hat es ein amerikanische Philosoph zu Beginn des 20. Jahrhunderts formuliert. Für mich ist das wie eine Aufforderung, wie ein an uns adressierter Auftrag, aus unserer Geschichte zu lernen und die “Hülle” des Völkerschlachtdenkmals mit Sinn zu erfüllen.

Meine Damen und Herren!

Leipzig und die Völkerschlacht von 1813 stehen gewissermaßen auch für das “Ende der alten Welt”. Das bezieht sich nicht nur auf die Art und Weise, wie Krieg geführt wurde. Vielmehr war diese Zeit geprägt von Hoffnungen auf Freiheit und das Ende vielerlei Repressionen. Diese wurden damals enttäuscht – Adelbert von Chamisso hat das im eingangs zitierten Gedicht ausgedrückt.

Im Falle Deutschlands bedeutete dies eine lange “Wartezeit” auf wirkliche Freiheit und Demokratie. Erst 1918 sollte es dazu kommen. Auch diese Zeit währte nicht lange und ging im Terror des Dritten Reiches und der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges unter. Leipzig und Ostdeutschland erlebten dann eine weitere ? vier Jahrzehnte andauernde ? Phase von Repression und Diktatur. Erst 1989 konnten sich hier die Hoffnungen auf Freiheit, die ja in den Befreiungskriegen ihre Saat hatte, Bahn brechen. Von manchen Historikern wird der Krieg “als Schule der Nation” bezeichnet.

Die Friedliche Revolution dagegen? die maßgeblich von Sachsen und eben Leipzig ausging ? ist die Schöpferin von Freiheit und Einheit unseres Landes. Krieg und Gewalt bringen Zerstörung. Das Besondere des Herbstes 1989 war, dass die Menschen die Freiheit auf friedlichem Weg erlangt haben.

Leipzig darf deshalb stolz sein auf den Titel “Heldenstadt”. Denn heute werden nicht mehr Generäle und Soldaten in Kriegen zu Helden, sondern vielmehr freie Bürger, die Mauern einreißen, Diktatoren stürzen und sich für Frieden und Gemeinschaft einsetzen. Das Völkerschlachtdenkmal erinnert uns heute daran, nicht mehr gegeneinander Kriege zu führen, sondern gemeinsam am Haus Europa zu bauen.

Eine zweite Funktion erfüllt das Denkmal für Leipzig. Es ist eines der Wahrzeichen Leipzigs und ein beliebter Treffpunkt der Leipziger und Gäste der Stadt.

Aber auch seine Baugeschichte macht deutlich, was eine freiheitliche Gesellschaft ausmacht: das Engagement der Bürger, die sie begründen. Denn das Völkerschlachtdenkmal ist vor 100 Jahren weitgehend privat finanziert worden. In der Tradition eines solchen bürgerschaftlichen Engagements war es deshalb nur konsequent, dass sich hier in Leipzig ein sehr engagierter Förderverein gegründet hat. Seine Mitstreiter sind sozusagen die Erben der Urheber des Völkerschlachtdenkmals, der Bürger Leipzigs und Deutschlands. In langjähriger Arbeit haben sie gut 1,6 Millionen Euro an Spenden gesammelt. Ich danke allen, die sich seit mehr als 15 Jahren für die Sanierung des Völkerschlachtdenkmal einsetzen. Denn ich bin davon überzeugt, dass es richtig ist, das Völkerschlachtdenkmal für künftige Generationen zu erhalten.

Damit verbindet sich meine Hoffnung, dass unsere heutige Deutung des Völkerschlachtdenkmals eben auch die maßgebliche für die nachfolgenden Generationen ist: Frieden und Freiheit zu bewahren und nicht zu vergessen, welche Opfer es kostete, diese zu erlangen und welches Leid es bringt, diese wieder zu verlieren.

Vielen Dank.

Den Redetext findet man auch sowohl in Deutsch als auch in Englisch unter:

Redetext in Deutsch: www.ministerpraesident.sachsen.de/32441.htm

Redetext in Englisch: www.sachsen.de/en/3862.htm

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