Seit der Inbetriebnahme der Videoüberwachung in der Chemnitzer Innenstadt im September letzten Jahres waren mindestens 38 Versammlungen von diesen Videoüberwachungsmaßnahmen betroffen. Das geht aus der Antwort des Innenministers auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Valentin Lippmann, Sprecher für Datenschutz der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag, hervor.

Dazu erklärt der Abgeordnete:

“Nun haben wir es schwarz auf weiß: Die Videoüberwachung in Chemnitz läuft auch bei Versammlungen munter weiter. Allein zwischen dem 21. September 2018 und dem 29. März 2019 waren die Teilnehmende von 38 Demonstrationen betroffen. Die Videoaufzeichnungen liefen während des gesamten Versammlungsgeschehens und wurden darüber hinaus auch noch 10 Tage gespeichert. Das ist nicht nur grob rechtswidrig, das ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in das verfassungsrechtlich verbürgte Recht auf Versammlungsfreiheit.”

“Auch wenn Innenminister Prof. Dr. Roland Wöller zusichert, dass die Aufzeichnungen von der Polizeidirektion nicht genutzt wurden und die Polizei mündlich angewiesen worden sei, die sog. Workstations im Versammlungszeitraum nicht für die Bildaufzeichnungen zu nutzen, so liegt allein mit der fortgesetzten und nicht unterbrochenen Bildaufzeichnung ein rechtswidriger Verstoß gegen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit vor. Die Videoüberwachung der – soweit ersichtlich allesamt friedlichen Demonstrationen – war zu keinem Zeitpunkt vom Sächsischen Versammlungsrecht gedeckt. Hier wird schamloser Rechtsbruch auf dem Rücken der Versammlungsfreiheit begangen.”

“Ich fordere den Innenminister nochmals auf, die Beteiligung der Polizei an der rechtswidrigen Videoüberwachung in Chemnitz sofort zu beenden. Zudem werde ich den Sachverhalt dem Sächsischen Datenschutzbeauftragten zur kritischen Prüfung und ggf. Einleitung eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens übersenden.”

Weitere Informationen

Die Polizei darf bei Versammlungen Bildaufnahmen nur dann anfertigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von Personen im Zusammenhang mit einer Versammlung eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht (§ 20 Sächsisches Versammlungsgesetz).

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 2009 ausgeführt, welch schwere Grundrechtseingriffe mit der Videoüberwachung von Versammlungen einhergeht: >>Das Bewusstsein, dass die Teilnahme an einer Versammlung in dieser Weise festgehalten wird, kann Einschüchterungswirkungen haben, die zugleich auf die Grundlagen der demokratischen Auseinandersetzung zurückwirken. Denn wer damit rechnet, dass die Teilnahme an einer Versammlung behördlich registriert wird und dass ihm dadurch persönliche Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf die Ausübung seines Grundrechts verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil die kollektive öffentliche Meinungskundgabe eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger gegründeten demokratischen und freiheitlichen Gemeinwesens ist.<<

(https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2009/02/rs20090217_1bvr249208.html, Rn. 131)

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