Seit Herbst 2021 untersucht das Landesamt für Archäologie Sachsen am Rand der Chemnitzer Innenstadt die Fläche zwischen der Augustusburger Straße und der Theresenstraße. Zwischen den Fundamenten eines Kellers legten die Archäologen dort kürzlich die Überreste einer Mikwe, eines rituellen jüdischen Tauchbades, frei.

Entdeckt wurde zunächst eine rundgemauerte Struktur, ähnlich einem Brunnen. Schritt für Schritt legte man dann unmittelbar daneben ein rechteckiges, noch immer mit Grundwasser gefülltes Becken frei, das über einen schrägen Abgang mit zwei Treppenstufen zu erreichen war. Die benachbart liegende Struktur diente vermutlich dazu, Wasser der Gablenz und Grundwasser aufzunehmen und den Wasserstand im Tauchbecken zu regulieren.

„Die in der Chemnitzer Innenstadt entdeckte Mikwe ist ein wertvolles Zeitzeugnis unserer Kulturgeschichte. Sie zeigt, dass jüdisches Leben und jüdische Kultur bereits vor Jahrhunderten Teil der sächsischen Gesellschaft war. Mein Dank geht an das Landesamt für Archäologie, das die Ergründung des Fundes wissenschaftlich begleitet und ich hoffe, dass wir dieses besondere Denkmal erhalten können,“ sagt die Sächsische Staatsministerin für Kultur und Tourismus Barbara Klepsch.

‚Mikwe‘ bedeutet übersetzt ‚die Sammlung von Wasser‘. Bis heute sind sie in jüdischen Gemeinden wichtige Einrichtungen. Männer und Frauen vollziehen das Tauchbad nach einem vorgegebenen Ablauf, um sich nach bestimmten Ereignissen und vor Feiertagen rituell zu reinigen.

Reinheitsgebote werden in den fünf Büchern der Thora u.a. im Buch Levitikus 15 (3. Buch Mose) dargelegt: „Gesetz über die Unreinheit bei Männern und Frauen“. Aber nicht nur Menschen müssen sich rituell reinigen. Auch Geschirr und Gefäße aus nicht jüdischen Händen müssen zunächst vor der Benutzung im Tauchbad gereinigt werden.

Für Bau und Nutzung dieser traditionellen Tauchbäder, die in Jerusalem bereits seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. belegt sind, gibt es einige Vorschriften, die zu beachten sind: so muss das Wasser einer Mikwe ‚lebendig‘ sein, also fließen, wie z. B. Grund-, Quell- und Flusswasser, aber auch Regenwasser. Es darf keinesfalls geschöpftes oder herbeigetragenes Wasser sein.

Außerdem muss das Tauchbecken so tief sein, dass der Körper mit gebeugten Knien komplett mit Wasser bedeckt ist. Die eigentliche Reinigung wird durch das dreimalige Untertauchen, verbunden mit dem Sprechen eines bestimmten Segensspruches vollzogen.

Die Datierung der Chemnitzer Mikwe wird zurzeit noch erforscht. Sie selbst liefert kaum Anhaltspunkte für ihr Alter, aber sie wird von anderen Mauern überlagert und ist somit älter als diese. Sicher ist, dass sie bereits vor langer Zeit verfüllt wurde. In den Verfüllschichten fanden sich einige, teils stark korrodierte und deswegen unleserliche Münzen, die vor der Bestimmung durch Numismatiker noch restauriert werden müssen. Nach ihrer Auswertung besteht Hoffnung auf einen zeitlichen Rahmen.

Die Chemnitzer Mikwe ist eines der wenigen älteren baulichen Zeugnisse der jüdischen Kultur in Sachsen und hat daher eine besondere, über die Stadt hinausgehende Bedeutung. Nur für eine weitere, im Bestand erhaltene sächsische Anlage wird eine Deutung als Mikwe in Erwägung gezogen: In einem mittelalterlichen Keller in Görlitz gibt es ein quellwassergespeistes Bassin mit einer Rinne.

Das Areal, in dem die Chemnitzer Mikwe liegt, wird mit einem modernen Wohn- und Geschäftshaus überbaut. Zurzeit erfolgen enge, konstruktive Absprachen mit dem Investor, um Möglichkeiten für den Erhalt des Denkmals an seinem Platz zu prüfen.

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