Zwei Mal lehnte der Stadtbezirksbeirat Leipzig-Mitte die Pläne der Stadtverwaltung für ein Parkhaus in der Thomasiusstraße ab. Doch es hat nichts genutzt. Am Mittwoch, 18. Juli, stimmte der Stadtrat der Vorlage der Verwaltung zu. Da war es schon 21.16 Uhr. Die Stadträte hatten schon sieben Stunden Sitzungsmarathon hinter sich. Aber daran lag es wohl nicht: Den meisten Stadträten ist die Verkehrspolitik in Leipzig herzlich egal.

Nur die wenigsten bringen sich aktiv in die Erarbeitung eines neues Verkehrskonzeptes ein. Mal will man seine Wähler nicht verprellen, mal hat man wenig Mut, auch einmal neue Perspektiven zu denken und Trends zu unterstützen. Trends etwa hin zu einem wirklich bürger- und umweltfreundlichen Verkehrssystem in Leipzig. Das hätte Konsequenzen. Auch für das Center-Denken der Stadt. Das sich ja nicht nur im STEP Zentren niederschlägt, sondern auch im allerorten forcierten Bau von Medizinischen Zentren.

Ein solches ist an der Ecke Käthe-Kollwitz-Straße / Thomasiusstraße geplant – keine 100 Meter vom nächsten medizinischen Zentrum, der Medica-Klinik entfernt. Solche Zentren rechnen sich dann, wenn es dem Investor gelingt, möglichst viele Ärzte aus möglichst vielen Fachdisziplinen anzusiedeln. Damit wird medizinische Versorgung zentralisiert, die Patienten finden gleich unterschiedliche Ärzte an einem Ort. Der Negativeffekt: Die Ärzte geben dafür entweder ihre Praxen in den verschiedenen Ortsteilen auf – der Weg zum Arzt wird für viele Patienten also länger, während die Versorgung in Wohnortnähe ausdünnt. Oder es siedeln sich neue Arztpraxen an und erhöhen damit den Wettbewerbsdruck in Leipzig, während anderswo Ärzte fehlen.

Keine einzige Analyse der Stadtverwaltung belegt, dass Leipzig an dieser Stelle noch ein weiteres medizinisches Zentrum braucht.

Keine Analyse belegt, dass hier ein weiterer Supermarkt gebraucht wird. Auch der soll hier seinen Platz finden. Ein Konsum-Supermarkt soll entstehen. Und da bei diesem Bauprojekt eine Brachfläche, die bislang 87 Dauerparkplätze für die Anwohner bot, wegfällt, plant der Investor auch den Bau eines Parkhauses – darin 349 Stellflächen , von denen 260 öffentlich geförderte Stellplätze werden sollen. Also nicht nur öffentlich – womit sich die Parkraumkapazität in der Westvorstadt weiter erhöht, sondern auch öffentlich bezuschusst.1,066 Millionen Euro aus der zweckgebundenen Rücklage Stellplatzablösebeträge stellt die Stadt Leipzig für den Bau als Zuschuss zur Verfügung. Ein Punkt, den gerade die Grünen-Fraktion kritisierte. Denn die Stellplatzablösegebühr ergibt sich, wenn Hausbesitzer nicht genügend Parkraum für ihre Nutzer oder Mieter bereitstellen können – oder wollen.

Ursprung ist die Reichsgaragenordnung des Jahres 1939, nach der Hausbesitzer genügend Stellplätze für Pkw oder Krafträder bereit stellen müssen. Können oder wollen sie das nicht, müssen sie eine Stellplatzablösegebühr zahlen. Ein krudes Gesetz, finden die Leipziger Grünen. Denn damit finanzieren die Nicht-Autofahrer den Autofahrern die entstehenden Parkhäuser – wie eben in diesem Fall.

Nur als Anregung: In Japan muss ein Autokäufer einen vorhandenen Stellplatz nachweisen, bevor er überhaupt ein Auto kaufen darf. Auf der nicht gar so großen Insel weiß man zumindest, dass Stellraum in urbanen Zentren einen Wert hat und nicht unbegrenzt zur Verfügung steht.

Leipzigs Stadtverwaltung hält Parkhäuser noch immer für die Lösung für den allerorten spürbar gewordenen “Parkdruck”.

Mit dem Bau eines kombinierten Medizinzentrum-Supermarkt-Parkhauses induziert man aber auch neuen Verkehr. Und das dicht an der Käthe-Kollwitz-Straße, die schon jetzt einer der verkehrsreichsten Zubringer zum City-Ring ist.

Der Stadtbezirksbeirat hatte zuvor heftig kritisiert, dass es zur Beschlussvorlage kein ausgereiftes Verkehrskonzept gab. Wie die Verwaltung tickt, ist in der Vorlage nachzulesen: “In diesem Bereich, der nur wenige öffentliche Stellflächen im Straßenbereich anbieten kann, wird durch dieses Parkhaus ein zusätzliches Angebot an öffentlich nutzbaren Stellflächen geschaffen. Der durch die Medicaklinik, die Kneipenmeile Gottschedstraße sowie öffentliche Kultureinrichtungen im Umfeld entstandene hohe Parksuchdruck kann hier durch ein privates Unternehmen mit Unterstützung durch die Stadt Leipzig abgebaut werden.”Man steckt noch in den alten Konzepten. Nicht einmal der Ansatz einer neuen, nachhaltigen Verkehrsvision für Leipzig taucht hier auf, obwohl der Stadtrat erst vor kurzem mit großer Mehrheit die Ziele für den “Umweltverbund” definiert hat: Steigerung des Anteils von ÖPNV-Nutzung auf 25 Prozent, den von Radverkehr auf 20 Prozent.

Doch um 21.16 Uhr hob die Mehrheit der Stadträte wieder ihr Kärtchen und stimmte der unausgereiften Vorlage der Verwaltung zu. Die Anwohner der Thomasiusstraße bekommen ein Parkhaus vor die Nase. Mit entsprechendem Gewinn an Wohnqualität. Und für die Entscheidung hat das maßgebliche Gremium der Stadt ganze 3 Minuten gebraucht.

Kurz zuvor – um 21.13 Uhr hatte man das leicht abgewandelte “Nutzungskonzept für den öffentlichen Raum im Umfeld des Sportforums” abgesegnet. Oder besser: Diese Sammlung von Absichtserklärungen, die nicht mal die Ahnung eines Konzepts ergeben. Dazu fehlt schon die simple Voruntersuchung über die tatsächlichen Bedarfe, die vorhandenen Flächen, die Alternativen und die Extremereignisse. Erst wenn man die Zahlen hat, kann man ein echtes Verkehrskonzept entwickeln, das nicht erst dann greift, wenn die Blechlawinen sich schon rund ums Sportforum tummeln.

Für diese grundlegenden Untersuchung stehen jetzt zumindest erst einmal 50.000 Euro bereit.

Im Dezember will der Stadtrat – nach einem Ergänzungsantrag der Linken, erste Prüfergebnisse und Konzepte vorgelegt bekommen. Die Verwaltungsvorlage hatte keine Zeitvorgaben gemacht.

Über dieses nicht existierende Konzept hatte der Stadtrat immerhin eine halbe Stunde debattiert.

Immerhin.

Dass im Windschatten dieser nicht gemachten Hausaufgaben für die Thomasiusstraße Nägel mit Köpfen gemacht wurden, wird die Bewohner des Quartiers ganz bestimmt freuen.

Die Pläne zum Medizinischen Zentrum mit Parkhaus: www.construkta.de

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