Leipziger Stadtplaner versuchten zwar die Teilnehmer des Bürgerforums am 17. Oktober in der Aula des Humboldt-Gymnasiums gleich mit neun verschiedenen Straßenbahntrassen zu beeindrucken. Aber es wurde schnell deutlich: Am Ende wird maximal eine übrig bleiben, die möglicherweise im neuen Bebauungsplan für Probstheida auftaucht. Wenn überhaupt. Denn nicht einmal im Stadtbezirksbeirat findet eine Straßenbahntrasse positives Echo.

Die Gründe sind offenkundig: Sie greift jetzt nach 20 Jahren Entwicklung in Wohngebietsstrukturen ein, die unter anderen Voraussetzungen entstanden sind. Das konnte auch Jens-Uwe Bolt aus dem Stadtplanungsamt recht deutlich aufzeigen. Mal sind es Straßenräume, die für eine Straßenbahntrasse umgebaut werden müssten, mal fallen Alleebäume, mal zerschneidet die geplante Trasse Naturschutz- oder Erholungsgebiete.

Aber beiläufig wurde auch deutlich: Die meisten Trassenvarianten sind schon deshalb unbezahlbar, weil sie das Hauptverkehrsgebiet der Buslinie 76 nicht erfassen. Ob A1 bis A3, die jeweils die Straßenbahnlinie 4 quer über den Acker verlängern, oder B1 bis B3 und B6, die alle nördlich der Franzosenallee verlaufen – sie lassen sämtlich die potentiellen 1.500 Anwohner außen vor, die mit der Buslinie 76 theoretisch ans Leipziger ÖPNV-Netz angeschlossen sind.

Sind sie nicht wirklich. Taktzeiten von 20 und 30 Minuten sind für diesen kurzen “Wurmfortsatz” ein Witz. Entsprechend ist auch die Nutzerfrequenz des Busses: Zu den Schichtwechseln im Herzklinikum ist er rappelvoll, sonst ist er fast leer. Für einen bequemen Zugang zum Leipziger ÖPNV-Netz fährt dieser Bus zu selten.

Mit täglich 11.000 Personen – Mitarbeiter, Patienten und Besucher -, die täglich anreisen rechnet zwar das Herzklinikum Leipzig – aber die kommen fast alle mit dem Pkw. Selbst wenn sich diese Zahl mit den geplanten Neubauten des Rhön-Klinikums verdoppeln sollte, löst sich das Problem nicht: Der Verkehr entsteht am Herzklinikum, nicht im Wohngebiet Probstheida.

Die einzigen beiden Trassen, die auch das Wohngebiet wirklich mit erschließen und damit die Buslinie 76 tatsächlich überflüssig machen, sind die Varianten B3 und B4, die beide durch die sehr schmal ausgelegte Franzosenallee fahren würden. Und natürlich nicht die kürzeste Fahrzeit hätten. Etwas über 20 Minuten vom Bahnhof gerechnet. Und während die kürzeren Varianten B3 und B6 (Russenstraße und Freundschaftspark) für rund 7,5 Millionen Euro zu haben wären (den Bus 76 aber nicht ersetzen könnten), würde die Variante B4 schon 10,8 Millionen Euro kosten (aber den Bus 76 tatsächlich ersetzen).Mehrmals betont aber wurde beim Forum auch, dass diese Trassenplanungen einen längeren Zeithorizont von 10 bis 15 Jahren beinhalten würden.

Was schon deshalb nicht geht, weil das Rhön-Klinikum seine neuen Planungen vorantreibt und eine Verdopplung des Verkehrs am Herzklinikum “in den nächsten Jahren zu erwarten ist”, wie Martin Jonas, Geschäftsführer des Herzklinikums, betonte.

Man braucht also entweder jetzt eine Übergangsvariante, mit der man den zunehmenden Besucherstrom auf den ÖPNV umleitet, oder man denkt komplett neu und langfristig auch mit einem anderen Verkehrsträger.

So sieht es auch der Stadtbezirksrat Leipzig-Südost, der ziemlich einhellig für eine neue und moderne Busverbindung zum Herzklinikum plädiert. So äußerten sich am 17. Oktober eindeutig Maren Müller, Clemens Meinhardt und Karl-Heinz Pfeffer, alle drei Mitglieder im Stadtbezirksbeirat. Clemens Meinhardt, der auch im Bürgerverein Stötteritz aktiv ist, plädierte auch dafür, Probstheida zum Testgebiet für eine moderne Elektro-Bus-Flotte zu machen. Auch dafür brauche man nachhaltige und langfristige Strukturen, sagte zwar der technische Geschäftsführer der LVB, Ronald Juhrs. Aber mehrfach wurde an diesem Tag auch die Frage gestellt, warum andere Großstädte solche Buslösungen hinbekommen, die über kein Straßenbahnnetz wie Leipzig verfügen?

Dass die kurzen Fahrstrecken der jetzigen Linie 76 mit ihren quälenden Taktzeiten dafür keine Basis sind, ist wohl unbestritten. Wer mehr ÖPNV-Nutzer in Probstheida haben will, muss mehr Angebote schaffen. Auch das kann man aus dem Bürgerforum mitnehmen. Ob das dann umsteigefrei passiert, wie Matthias Reichmuth vom VCD anmahnte, ist dabei möglicherweise erst die zweite Frage. Denn das Problem an der Linie 76 ist wohl eher nicht das Umsteigen an sich – man kann das seit dem Umbau der Haltestelle Probstheida direkt auf dem selben Bahnsteig, den auch die Straßenbahn benutzt. Das Problem sind die sinnlosen Taktzeiten.Und so ergeben sich aus dem Forum eine ganze Reihe neuer Denk-Ansätze, wie man das ÖPNV-Problem in Probstheida anpacken könnte:

1. der aus dem Stadtbezirksbeirat: den ganzen Ortsteil mit einer modernen, möglicherweise elektrisch betriebenen Busflotte neu und vor allem nutzerfreundlicher zu erschließen.

2. gehört praktisch dazu, denn ein Problem sowohl sämtlicher Straßenbahn-Trassenvarianten als auch der Buslinie 76 ist ihre Sackgassen-Lösung: Alle haben sie das Herzklinikum als Ziel und enden auch fast alle dort. Eine überörtliche Vernetzung von Probstheida und Herzklinikum findet nicht statt. Weder nach Holzhausen (das man mit Bussen leichter anschließen könnte als mit Straßenbahn), noch nach Stötteritz (wenn die B-Varianten gebaut werden). Man braucht also eine neue Linienführung, die das Herzklinikum in alle Richtungen neu vernetzt und damit auch neue Anreisemöglichkeiten schafft.

3. eine Variante, eine neue Anbindung zu schaffen, wäre die Verlängerung der Straßenbahnlinie 2 – nicht über die Prager Straße, wie von den LVB vorgesehen, sondern von ihrer jetzigen Endhaltestelle an der Alten Messe durch die Naunhofer Straße bis zum Herzklinikum. Das Problem hier ist natürlich: Diese Strecke wäre noch länger (und wohl auch teurer) als die bisherigen Trassenvarianten. Vorteile hätte es gleich mehrere: Der südliche Teil von Stötteritz wird entlang der Naunhofer Straße neu erschlossen. Und Probstheida würde dann von zwei Straßenbahnlinien erschlossen. Ein Problem der Linie 2 ist auch, dass sie den Hauptbahnhof nicht tangiert.

4. Dieselbe Variante aber wäre auch für eine Busverbindung denkbar. So könnte auch eine Verbindung zum neuen Mitteldeutschen S-Bahn-Netz hergestellt werden, was dann Patienten aus dem Umland das Umsteigen in eine Linie zum Herzklinikum erleichtern würde.

5. Untersucht haben die LVB schon die Variante einer direkten Busverbindung Hauptbahnhof – Herzklinikum. Das macht aus Sicht der LVB keinen Sinn, da der Bus – wenn er die schnellste Route nimmt, die meiste Zeit parallel zur Straßenbahnlinie 15 fährt.

6. Nicht diskutiert auf dem Forum wurde die Verlängerung der Buslinie 76, deren Problem neben den miserablen Taktzeiten auch ihre Sackgassen-Situation ist. Sie pendelt zwischen Wendeschleife Probstheida und Herzklinikum hin und her und schafft keine überörtlichen Verkehrsbeziehungen. Weder nach Connewitz (wo sie den Anschluss zur mitteldeutschen S-Bahn schaffen könnte) noch nach Holzhausen oder Stötteritz. Ein Bus mit attraktiver Streckengestaltung und dichteren Taktzeiten wäre auch für die Probstheidaer attraktiver.

Alles spitzt sich natürlich in den Fragen zu: Was ist jetzt machbar? Und was ist jetzt bezahlbar? Der Zeithorizont ist wesentlich kürzer, als verkündet. Aber wenn man sich nicht auf die neun Straßenbahnvarianten versteift, ergeben sich ganz andere Handlungsoptionen, die nicht nur “das Problem lösen” (was auch beim Thema Straßenbahn keineswegs gesichert ist), sondern – wie von einigen Diskutanten gefordert – eine bessere überörtliche Einbindung von Probstheida und Herzklinikum ins ÖPNV-Netz schaffen.

Die neu diskutierten Straßenbahnvarianten für Probstheida als pdf im Download-Bereich.

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