Schon zwanzig Meter vor den Türen sind Pfiffe und Rufe aus der Kirche in der Ossietzystraße 39 zu hören. Dort findet am Montag, 25. November, der Informationsabend zur Notunterkunft für Flüchtlinge in der Löbauer Straße statt. Im ehemaligen Fechner-Gymnasium sollen vom 4. Dezember 2013 bis zum 31. März kommenden Jahres Asylbewerber untergebracht werden. Was im Stadtteil Schönefeld für viele, teils extrem aggressive Diskussionen sorgt.

Draußen warten etwa fünfzig Leute am abgesperrten Kirchenzaun. Es wird keiner weiter eingelassen, aus bautechnischen Gründen, wie es heißt. Etwa zwei Dutzend Polizeitransporter umringen das Gelände. Drinnen drängen sich etwa zweihundert Leute im Kirchenschiff, die Emporen bleiben leer. Wie immer bei solchen Veranstaltungen, man befürchtet fliegende Gegenstände – keiner weiß letztlich, wie solche Abende verlaufen.

Leipzigs Sozialbürgermeister Thomas Fabian spricht, sichtlich um Verständnis bemüht. “Wir müssen 270 weitere Flüchtlinge aufnehmen. Diese sind uns zugewiesen worden. Die Unterbringung ist nur eine Notlösung und wird nicht länger dauern als bis Ende März”, sagt er und erntet erneut Pfiffe. 120 von den Flüchtlingen sollen im ehemaligen Fechner-Gymnasium untergebracht werden. Die Stimmung ist aggressiv. Etwa zwei Drittel des Publikums ist gegen die Flüchtlingsunterkunft und klatscht, pfeift und trampelt immer dann, wenn es Zwischenrufe gibt.

“Es gibt genug leere Gebäude. Warum musste es ausgerechnet in der Nähe von Kindern sein?”, wird Fabian gefragt. “Die Mehrheit der anständigen Bürger in Schönefeld akzeptiert diese Lösung”, antwortet er. An das Sozialamt geht die Frage, wie geplant wird, die für die Eltern der Grundschüler, die neben der Notunterkunft zur Schule gehen, akzeptabel zu machen. “Wir werden einen Zaun um die Schule stellen. Zudem wird das Gebäude rund um die Uhr von drei Sicherheitsleuten bewacht”, sagt Sozialamtsleiterin Martina Kador-Probst. “Wir erweitern die Hort-Zeiten, so dass von sechs bis 18 Uhr die Kinder betreut werden können. Diese Erweiterung erfolgt für die Eltern kostenlos”, so Kador-Probst.
Immer wieder beschweren sich die Aufgebrachten, dass das Wohl von Flüchtlingen über das von Kindern gestellt werde. “In der Astrid-Lindgren-Schule war für 20 Kinder keine Lesenacht möglich, wegen Brandschutzgründen. Und nun sollen in der baugleichen Schule 120 Leute Tag und Nacht zubringen?” Der Brandschutz sei durch Baumaßnahmen eingehalten worden, lautet die Antwort vom Sozialamt. Derselbe Mann fragt nach: “Die Kinder spielen in kaputten Sandkästen. Für Ersatz ist da kein Geld da.” Dem sei er umsonst nachgelaufen. “Da habe ich nur den Amtsschimmel geritten. Aber für die Asylbewerber ist Geld da?” Sozialbürgermeister Fabian sagt dazu: “Unsere Kinder sind auch wichtig.” Und erneut schallen ihm die an diesem Abend öfter auftauchenden Rufe entgegen: “Lügner, Lügner, Lügner”, skandieren die Zuhörer. Dass Fabian nicht zum ersten Mal an diesem Abend versichert, die Notunterbringung sei nur bis zum 31. März vorgesehen, quittieren sie mit neuen Rufen.

“Warum ist denn der Kindergartenbeitrag erhöht worden?”, wird im weiteren Zusammenhang gefragt. “Weil sonst der Stadt ein noch größeres Defizit drohen würde”, so Fabian. Der Stadtrat hatte auf seiner jüngsten Sitzung beschlossen, ab 2014 die Elternbeiträge um rund 15 Euro zu erhöhen. “Sehen Sie, noch ein größeres Defizit würde die Rechtsaufsicht nicht genehmigen und dann könnten wir nichts Freiwilliges mehr tun”, erklärt Fabian und meint die Kinder- und Jugendtreffs. Diese sollten geschlossen werden – die Kürzung war jedoch umgehend zurückgenommen worden. Neun Millionen wird Leipzig auch im kommenden Jahr für die Treffs ausgeben – eine freiwillige Leistung der Stadt. “Die Flüchtlinge müssen wir aber aufnehmen”, so Fabian, im Laufe des Abends versichert er mehrfach, dass dies eine Aufgabe ist, die über Bund und Land Sachsen zugewiesen wird. “Nein”, ruft das aufgebrachte Publikum zur Frage der Aufnahmepflicht selbst.

“Ich bin auch eine Mutti”, stellt sich eine weitere Frau vor. “Mein Junge geht auch auf die Astrid-Lindgren-Schule. Das Problem sind nicht die Leute, die herkommen, sondern das, was mit ihnen mitkommt. Da sind die Hunde vom Wachschutz, die Rechten mit ihren Hakenkreuzen, die Linken, die sich freuen, dass die Rechten dort stehen. Und dazwischen sollen die Knirpse zur Schule gehen?”, fragt sie.

Ein junger Mann schlägt vor, Asylbewerber bei Privatleuten unterzubringen. Und Oberbürgermeister Burkhard Jung solle mit gutem Beispiel voran gehen. Dass er nicht gekommen ist, stößt den Besuchern sauer auf. “Ist sich zu fein, hierher zu kommen”, zischelt eine ältere Frau. Andere sprechen es offener aus. “Noch Anfang dieses Jahres hat der Oberbürgermeister gesagt, er will Acht geben auf das soziale Gefüge der Stadt und dass Stadtteile nicht auseinander driften. Doch genau das passiert”, klagt eine weitere Frau an. “In Leipzig hat es nie einen König gegeben, doch momentan hat man ein anderes Gefühl. Und der Nordosten wird zu einem Problembezirk”, warnt sie und will von Fabian wissen: “Fühlen Sie als Leipziger und sich Ihrem Amt überhaupt gewachsen?” Dieser antwortet: “Ich habe nun beinahe ein Drittel meines Lebens hier verbracht, meine Kinder sind zum Großteil hier aufgewachsen. Ich fühle mich als Leipziger. Und ja, ich fühle mich der Aufgabe gewachsen.”

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Nach etwas Bedenkzeit fügt er an: “Wir wollen das Auseinanderdriften verhindern. Aus diesem Grund haben wir uns entschlossen, gerade in diesem Stadtteil ein neues Gymnasium zu eröffnen, obwohl andere Stadtteile zahlenmäßig stärker sind.” Fabian kann seine Zuhörer jedoch kaum besänftigen. “Seit Wochen herrscht hier in Schönefeld eine aufgekratzte Stimmung. Und mit Ihrem Nichtbeantworten der Fragen heute Abend, haben Sie das nur noch mehr aufgeheizt”, wirft ihm eine Frau aus der Mitte des Saales vor.

Zum Ende der Veranstaltung hin, verschaffen sich die leiseren, besonneneren Stimmen Gehör. “Der Prozess ist hier wie überall, wo Flüchtlinge aufgenommen werden sollen”, sagt eine Frau aus den vorderen Reihen. “Die Bürger fühlen sich benachteiligt. Keine wurde informiert. Die Entscheidung ist über die Köpfe der Bürger hinweg getroffen worden.” Eine weitere Stimme fragt: “Wie wollen die Eltern, die sich hier so besorgt geben, das rechte Pack fernhalten?” Und dann schwenken die Fragen auch dahin: Wie kann man helfen? Wer sind die Menschen, die als Flüchtlinge kommen. Sonja Brogatio vom Flüchtlingsrat Leipzig e.V. erzählt: “Die ganz Armen kommen nicht, denn die haben gar kein Geld für den Schlepper. Es kommen eher Menschen mit Hochschulabschluss, die eine Zeit lang schon hier bleiben und ihre Ausbildung nutzbar machen möchten. Doch die meisten möchten nicht auf ewig hierbleiben und in ihre Heimat zurück.” Zum Schluss ergreift ein Mann vom Stadtelternrat das Wort. “Auch meine Kinder sind hier in Schönefeld zur Schule gegangen. Neulich ist eine 80-Jährige hier in der Gegend überfallen worden. Und das, ohne dass hier die Asylbewerber bereits da sind. Die 130 Leute, die in der Löbauer Straße untergebracht werden sollen, können Schönefeld nicht so in Atem halten.”

Nach gut zwei Stunden geht der Infoabend zu Ende und die aufgeheizte Stimmung nimmt das Publikum nach draußen mit. Vor der Tür wird noch heftig weiter diskutiert, doch nach und nach verliert sich die Menge, die drinnen noch so aufgekratzt war, auf den Straßen von Schönefeld. Und mit ihnen gehen auch die sozialen Fragen, die sie im Laufe des Abends hatten und welche wohl weitab von den ankommenden Flüchtlingen zu klären sein dürften.
Audio zum Infoabend 25.11.2013:

Notunterkunft für Flüchtlinge in der Löbauer Straße

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