Samstagmorgen, Leipzig Nordplatz, vor der Michaeliskirche: Acht Grad und hartnäckiger Regen. Es ist kein einladender Tag um 200 Kilometer in einem überheizten Bus zurückzulegen. Die Stadt Leipzig hat zu einer Infofahrt nach Berlin eingeladen. Hintergrund ist die erbitterte Diskussion um den geplanten Neubau der muslimischen Ahmadiyya-Gemeinde im Stadtteil Gohlis. Auf dem Programm stehen ein Besuch in der Khadija-Moschee in Berlin-Heinersdorf und verschiedene Gesprächstermine.

Was Gohlis (vielleicht) noch bevorsteht, hat der kleine Ortsteil Heinersdorf im Bezirk Pankow bereits hinter sich: Hier wurden im Jahr 2006 Pläne der Ahmadiyya Muslim Jamaat zum Bau einer Moschee bekannt. Bis zur Einweihung im Oktober 2008 lieferten sich Befürworter und Gegner erbitterte Auseinandersetzungen, die fast zum Auseinanderbrechen der Dorfgemeinschaft geführt hätten.

Die Fahrt nach Berlin war erstmals auf dem turbulenten Informationsabend in der Michaeliskirche am 7. November durch Karsten Gerkens, Leiter des Amtes für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung, angekündigt worden. Zu den Bedingungen gab es eine klare Ansage: Jeder darf mit, bevorzugt werden Anwohner, Mitglieder des Bürgervereins und der Kirchengemeinde, und Rechte bleiben draußen. Die aktiven Initiativen dienen gleichzeitig als Filter für die Anmeldungen. “Uns ist schon klar, dass dies heute keine Hurrafahrt wird”, sagt mir Frank Basten vom Magistralenmanagement der Georg-Schumann-Straße, der die Moderation während der Fahrt übernimmt. “Hier fahren überwiegend Skeptiker mit.” Und wenn sich doch ein Rechter einschmuggelt? “Na, den finden wir schon raus.”
Als erstes treffe ich weit vor der Abfahrtzeit am Bus drei Männer. Schublade auf: So wie die aussehen, sind das sicher Muslime. Stimmt. Sie kommen aus Marokko und Pakistan, wohnen in Leipzig, aber keiner von ihnen direkt in Gohlis. Ja, sie könnten verstehen, dass es zum Moscheebau unterschiedliche Ansichten gibt. Viele Menschen dächten bei Islam gleich an 9/11. Mehr wollten sie nicht sagen. Während der Busfahrt verteilt der jüngste von ihnen Flyer des offiziellen Fernsehsenders der Ahmadiyya Muslim Jamaat: “Der Weg zum Frieden – Eine universelle Botschaft”.

Vor der Abfahrt gibt es eine Sichtkontrolle mit Personalausweis. Zehn der 50 bereitgestellten Plätze bleiben leer. Die Altersstruktur ist gemischt, es ist keine Rentnerfahrt. Man kennt sich untereinander (“Und was macht dein Poldi so?”). Die Moschee ist erst mal kein Thema: Ich höre Gesprächsfetzen über den Weihnachtsmarkt, die Maut im Koalitionsvertrag und Lackschäden im Leihauto. Gut zwei Stunden sind für die Fahrt geplant, es werden dann drei. Die Verspätung zieht sich durch den ganzen Tag. “Wo liegt denn eigentlich Pankow in Berlin?”, fragt Frank Basten, als wir den Speckgürtel von Berlin erreichen. Allgemeines Schulterzucken, auch bei Karsten Gerkens. Er bleibt während des Tages nachdenklich und stiller Beobachter. “Wir machen das heute für alle, die nicht glauben wollen, was erzählt wird. Ein Gutes hat es jetzt schon: Wir haben so viel miteinander geredet wie nie zuvor.” Man müsse von der Auffassung wegkommen, dass ein Moscheebau automatisch ein Downgrading der Georg-Schumann-Straße bedeute: “Hier geht es um Größeres, um qualifizierte Internationalität. Und da stelle ich mir ein Zusammenwirken von Stadtentwicklung und Wirtschaftsförderung vor, natürlich auch mit einem gewissen Budget.”
In Berlin nach quälenden Staukilometern angekommen, steigt Jens-Holger Kirchner zu. Er ist Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung im Bezirksamt Pankow – und plötzlich nimmt die bis dahin geruhsame Veranstaltung Fahrt auf.

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