Wieviele Boote können eigentlich durch den Floßgraben fahren, ohne dass es zu Konflikten mit dem Status als Natura-2000-Schutzgebiet kommt? Auch das wollte Wolfram Günther, umweltpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag, gern vom sächsischen Umweltminister wissen. Er hat auch geantwortet, bezieht sich aber erstaunlicherweise aufs WTNK.

In seiner Antwort auf Günthers Nachfrage zur “Gewässertouristischen Nutzung im Leipziger Auwald” hatte Umweltminister Thomas Schmidt (CDU) noch eindeutig erklärt, dass das vom Grünen Ring Leipzig entwickelte “Wassertouristische Nutzungskonzept” (WTNK) keine rechtlich bindende Wirkung hat und auch keine fachrechtlichen Genehmigungsverfahren ersetzt.

Aber auf welcher Grundlage werden dann die Zahlen von Bootsdurchfahrten ermittelt, die naturschutzrechtlich verkraftbar sind? Das wollte Wolfram Günther nun gern mal wissen. Neuere Zahlen gibt es dazu sowieso nicht. Und die Zahlen, die auch Thomas Schmidt zur Verfügung hat, gehen just auf das WTNK zurück. Und sie stammen sogar aus einer Zeit, als der Floßgraben noch gar nicht zur öffentlichen Nutzung freigegeben war.

“Die betriebsbedingten Auswirkungen der Bootsnutzungen auf den Gewässern Pleiße und Floßgraben im Rahmen des Wassertouristischen Nutzungskonzepts (WTNK) sind in den Jahren 2005 (1. Stufe) und 2007 (2. Stufe) einer Natura-2000-Verträglichkeitsuntersuchung auf Konzeptebene unterzogen worden.”

Da waren die Instandsetzungs- und Entschlammungsarbeiten am Floßgraben noch im Gange. Was übrigens dazu führte, dass der Eisvogel, der hier zuvor gesichtet wurde, auf Jahre vertrieben wurde. Es war also eine Verträglichkeitsuntersuchung rein auf dem Papier. Das Ergebnis war entsprechend beeindruckend: “Als Grundlage für die gutachterlichen Betrachtungen wurden in Spitzenzeiten für Floßgraben und Pleiße 100 Bootsbewegungen für Motorboote und 300 für muskelbetriebene Bootsbewegungen in die Untersuchungen eingestellt. Für die Anzahl von Bootsbewegungen in Spitzenzeiten wurde die Nutzung durch die Gutachter unter bestimmten Voraussetzungen (schadensbegrenzende Maßnahmen) als tolerierbar bewertet.”

Das kann nur eine Bewertung auf dem Papier gewesen sein, die weder eine Existenz des Eisvogels annimmt noch die Tatsache, dass in weiten Teilen des Floßgrabens keine Möglichkeit des einfachen Überholens besteht. 100 Motorbootsbewegungen am Tag hätten schlicht dazu geführt, dass für Paddelboote im Floßgraben kein Durchkommen mehr gewesen wäre.

Es ist schon erstaunlich, dass diese Prüfung nicht noch einmal am realen Floßgraben vorgenommen wurde – und zwar nach dem berühmten “Tag blau” am 11. Juli 2011, als die Schleuse Connewitz in Betrieb ging und der Kurs 1 zum Cospudener See durchgängig befahrbar wurde.

Selbst 300 Bootsdurchfahrten mit muskelbetriebenen Booten haben sich in der Brutzeit des Eisvogels als zu viel erwiesen. Doch diese Zahl gilt in Leipzig noch immer als Richtwert. Wolfram Günther hat extra noch einmal nachgefragt, ob eine Überschreitung dieser Zahl überhaupt tolerierbar ist.

Ist sie, meint der Umweltminister. “Für den Floßgraben ist eine Überschreitung der im WTNK angenommenen Zahl von muskelbetriebenen Bootsbewegungen als rechtskonform zu betrachten, wenn keine Gefährdung der Bruten des Eisvogels zu befürchten ist. Deshalb hat die Stadt Leipzig seit dem Jahr 2013 durch Allgemeinverfügungen besondere Schutzmaßnahmen für den Eisvogel während dessen Reproduktionszeit angeordnet.”

Wenn das Wörtchen wenn nicht wär. Denn tatsächlich gab es gerade im Sommer 2014 jede Menge Ärger, weil es zu massiven Verstößen gegen die Allgemeinverfügung gekommen war. Einigen Wassertouristikern ist nicht wirklich klar, warum der Eisvogel in der Brutperiode besonderen Schutz braucht und warum die massiven Störungen außerhalb der verordneten Durchfahrtszeiten dafür sorgen, dass ein Teil der Brut schlichtweg verhungert. Wenn dann gar noch Motorbootsdurchfahrten dazu kommen oder solche heftigen Eingriffe wie die Wasserpflanzenmahd im Januar 2015, dann wird es mit dem Bruterfolg des Eisvogels im Floßgraben ganz eng. Dann ist er zwar da – aber tatsächlich wird sein Lebensraum drastisch beeinträchtigt.

Im Grunde drehen sich Günthers Fragen alle um dieses Problem. Weshalb er auch das “veraltete Planverfahren” für die Störstellenbeseitigung in der benachbarten Pleiße anspricht. Für den Floßgraben aber habe das keinen Belang, teilt ihm der Umweltminister mit. Dort gebe es aktuell keine Baumaßnahmen.

Die Entscheidungen sind alle schon vor 2005 und 2007 erfolgt. Damals noch ohne Eisvogel und ohne die etwas strengeren Artenschutzvorschriften aus dem 2009 novellierten Bundesnaturschutzgesetz.

Frage und Antwort zur Gewässertouristischen Nutzung im Leipziger Auwald.

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In einem natürlichen Gewässer, in dem ausschließlich der Gemeingebrauch genehmigungslos, weil einzig gesetzlich zugelassen, ist, kann es keine “betriebsbedingten Auswirkungen” geben.

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