Es geht Einiges seltsam zu in Leipzigs Verwaltung. Auch und gerade in Fragen der Bürgerbeteiligung. In Sonntagsreden wird die Mitwirkung engagierter Vereine stets in höchsten Tönen gelobt. Doch wenn dann die Öffentlichkeitsbeteiligung ernst zu werden beginnt, stellt sich oft heraus, dass in stillen Gremien alles schon längst ganz anders entschieden wurde. So wie bei der Öffnung des nächsten Stücks Pleißemühlgraben.

Zumindest ist man beim Verein Neue Ufer Leipzig e. V. ziemlich sauer. Denn die versprochene Bürgerbeteiligung zum möglichen Trassenverlauf hat bis heute nicht stattgefunden. Oder wenn, dann wieder so heimlich, dass niemand etwas davon mitbekommen hat.

Im Dezember hatte CDU-Stadträtin Sabine Heymann angefragt: „Auf welchem Weg wird dann die Öffentlichkeit beteiligt, um die Entscheidung zu eben diesen Eckpunkten, wie die Trasse des zu öffnenden Pleißemühlgrabens vorzubereiten?“

Und sie bekam dazu die Verwaltungsantwort: „Im Rahmen des Verfahrens zur Offenlegung des Pleißemühlgrabens wird die Stadtverwaltung intensiv durch die Leipziger Bürgerschaft unterstützt. Maßgeblich erfolgt dies u. a. durch den Förderverein ‚Neue Ufer‘ e. V., der bereits während der Erstellung der Planung LP 1/2 für die Offenlegung des Pleißemühlgrabens an der Hauptfeuerwache durch das Amt für Stadtgrün und Gewässer beteiligt wurde. Auf Initiative des Fördervereins ‚Neue Ufer‘ e. V. wird als erste Stufe eines zweistufigen Öffentlichkeitsverfahrens mit dem Stadtplanungsamt, dem Amt für Stadtgrün und Gewässer und der Branddirektion ein Bürgerbeteiligungsverfahren in Form einer moderierten Anhörungsveranstaltung Anfang 2017 durchgeführt. Zu dieser Veranstaltung werden neben den beteiligten und ortsansässigen Vereinen, z. B. Waldstraßenviertel e. V., auch Anlieger und betroffene Grundstückseigentümer, z. B. IHK, LWB, sowie die interessierte Fachöffentlichkeit geladen. Auf der Grundlage dieser ersten Stufe der Bürgerbeteiligung erstellen das Stadtplanungsamt und das Amt für Stadtgrün und Gewässer eine gemeinsame Beschlussvorlage zur Festlegung der Vorzugstrasse des Pleißemühlgrabens. Diese wird als s. g. ‚2. Stufe‘ der Öffentlichkeitsbeteiligung ab April 2017 ins Gremium-Verfahren gegeben und dem Stadtrat zur Beschlussfassung vorgelegt.“

Von nichts davon hat man bis heute gehört.

Außer dass die Verwaltung augenscheinlich ihre alte Vorzugsvariante immer wieder wie ein Zauberer aus der Tasche holt. Ohne dass es zu einer öffentlichen Diskussion darüber gekommen ist, welche Variante eigentlich die für das Stadtquartier günstigere ist. Die Verwaltung bevorzugt zwischen der Käthe-Kollwitz-Straße und dem Ranstädter Steinweg die Variante eines neuen Grabenverlaufs parallel zum Goerdelerring. Der Grund für diese Trassenwahl liegt in den immer wieder aufgelegten Plänen für ein Hochhaus an der Ecke zum Ranstädter Steinweg. Das Grundstück gehört der IHK und der Wunsch, hier eine prestigeträchtige Hochhausvariante zu bauen, ist verständlich. Das biss sich aber mit dem alten Verlauf des Pleißemühlgrabens, der dieses Grundstück schneidet.

Was dann die Stadtverwaltung bewog, einen neuen Grabenverlauf zu planen, in dem der neue Pleißemühlgraben das Grundstück unterirdisch in einem Bogen umfließt. Dafür müssten freilich große Teile der jetzigen Stellplätze von Hauptfeuerwache und IHK geopfert werden. Selbst mit dem Bau von Tiefgaragen wäre das Angebot nicht mehr allzu üppig.

Die Geschichte dauert nun schon sechs Jahre an, wie Heinz-Jürgen Böhme, Vorsitzender des Fördervereins Neue Ufer Leipzig, feststellt: „Im Jahr 2011 wurde vor dem Hintergrund des geplanten Hochhausbaus an der Spitze Goerdelerring/Ranstädter Steinweg vom Stadtrat die Aufstellung eines Bebauungsplans (Nr. 366) beschlossen. Gleichzeitig kreierte das Amt für Stadtgrün und Gewässer (ASG) für den noch nicht planfestgestellten Öffnungsabschnitt des Pleißemühlgrabens zwischen Käthe-Kollwitz-Straße und Ranstädter Steinweg drei Verlaufsvarianten als ‚Entscheidungshilfe.“

Damit waren die Akteure vom Verein Neue Ufer damals schon nicht glücklich. Nur zur Erinnerung: Es war dieser Verein, der in den 1990er Jahren in Leipzig überhaupt erst die politische Beschäftigung mit der Öffnung der alten, in den 1950er Jahren verrohrten und verschütteten Mühlgräben auf die Tagesordnung brachte und durch beharrliche Überzeugungsarbeit die Stadt dazu brachte, das Generationenprojekt in Angriff zu nehmen.

Verrohrt wurden die Mühlgräben, weil das durch die Industrie im Leipziger Süden hochbelastete Wasser schlicht zum Himmel stank.

Heute ist das Wasser zumindest keine giftige Kloake mehr und deutlich sauberer. Und da, wo schon einzelne Grabenabschnitte geöffnet wurden, hat sich das Straßenbild völlig gewandelt, sind attraktive neue Wohnangebote direkt am Wasser entstanden. Nur billig ist die ganze Sache nicht. Was einst in einer Hauruck-Aktion zugeschüttet wurde, muss heute mit viel Aufwand und neuen Baukörpern erst wieder hergestellt werden. Aktuell wird an einem kleinen Abschnitt des Elstermühlgrabens zwischen Leibniz- und Lessingstraße gebaut.

Längst schon wieder verschoben ist der Baubeginn am Pleißemühlgraben an der Lampestraße.

Und nach den 2014 vorgestellten Plänen der Stadt müsste eigentlich an der Hauptfeuerwache auch schon gebaut werden.

Aber der Verein Neue Ufer plädiert ganz und gar nicht für einen Grabenverlauf direkt am vielbefahrenen Goerdelerring. Denn zur Rückgewinnung von Stadtteilqualitäten trägt er dort gar nichts bei.

„Der Förderverein hat sich seither mehrfach positioniert, am ausführlichsten in der Publikation ‚Neue Ufer 10 (2013), wobei stets die Bedeutung und Vorzüge des historischen Flussverlaufs ausführlich begründet wurden“, betont Heinz-Jürgen Böhme.

Historisch floss der Mühlgraben hinter der Hauptfeuerwache Richtung Ranstädter Steinweg und grenzte damit direkt an das Naundörfchen, das hier bis zum 2. Weltkrieg stand und dann fast völlig aus dem Stadtbild verschwand. Die Ecke hinter der Hauptfeuerwache ist heute eine Art gestaltloser Ort, den man aber mit der Öffnung des alten Grabenverlaufs neu erlebbar machen könnte.

In den städtischen Vorlagen kommt die Variante nicht vor. „Anfang 2017 präsentierten Planungsamt und ASG mit der ‚Informationsvorlage Nr. VI-DS-03840 die Pläne erneut und offenbarten unisono ihre freilich längst bekannte Vorzugsvariante: die Umverlegung des Pleißemühlgrabens an den Goerdelerring“, stellt Böhme fest.

Das nennt der Förderverein schon mal ein „tendenziöses Votum“. Bürgerbeteiligung? Fehlanzeige. Die Entscheidung wurde – wie so oft – augenscheinlich „verwaltungsintern getroffen und die Beteiligung der Bürger ausgeschlossen“.

Und vor allem der Vorschlag des Fördervereins, mit dem man nach öffentlichem Bekunden so gut zusammenarbeitet, einfach vom Tisch gefegt.

Für den Förderverein war es Anlass, in einem Faltblatt die Chancen auch bildlich zu machen, die eine Revitalisierung des ursprünglichen Pleißemühlgrabens mit sich bringt. Nicht einmal mit dem geplanten Hochhaus würde sich das beißen. Im Gegenteil: Eine Durchquerung des Hochhauses würde dem Bau ein Alleinstellungsmerkmal geben, betont das grafisch aufwendig gestaltete Blatt. Und der Verlauf hinter der Hauptfeuerwache würde die Chance eröffnen, die planlose Fläche in einen kleinen Park zu verwandeln und auch noch eine zentral gelegene Kindertagesstätte dort unterzubringen. Terrassen würden das Wasser erlebbar machen. Die Lessingbrücke und die Naundörfchenbrücke würden wieder einladen zur Flussquerung und eine attraktive Uferpromenade zwischen Käthe-Kollwitz-Straße und Naundörfchen würde zum Flanieren einladen.

Und der gesichtlose Hinterhof der Hauptfeuerwache würde verschwinden.

Auf dem Cover des Faltblatts sieht man die Naundörfchenbrücke, die gleich an der Ecke der Hauptfeuerwache direkt ins Naundörfchen führen würde, im Hintergrund den kleinen Park und die Terrassen, die direkt am Pleißemühlgraben entstehen könnten.

Geplant war die Öffnung dieses Grabenabschnitts übrigens für die Jahre 2015 bis 2018 für geschätzte 7,7 Millionen Euro.

Die neue LZ Ausgabe Juni 2017, ist seit Freitag, 16. Juni 2017 im Handel

Die Leipziger Zeitung Nr. 44: Über die Grenzen hinaus

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Es gibt 2 Kommentare

Nun ja, auf der Homepage des Vereins Neue Ufer steht die Werbung für den Gewässerverbund, der von Beginn an einer motorisierten Gewässernutzung vorbehalten ist, der unkommentiert seit 1997 von dem Verein beworben wird. Bis heute.
Wenn der Verein eine motorisierte Nutzung der Gewässer bewirbt, die wiederum mehrheitlich durch die Bürger abgelehnt aber trotzdem durch die Verwaltung mit einem immensen finanziellen Aufwand vorangetrieben wird, wundert man sich über die Verwunderung des Vereins.
Und zwar einerseits über die Art und Weise, in der die Verwaltung über den mehrfach artikulierten Bürgerwillen hinweggeht. Das scheint dem Verein entgangen zu sein. Oder wurde gebilligt, weil diese Maßnahmen dem von ihm unterstützten Gewässerverbund dienen.
Und andererseits, daß der Verein beispielsweise nicht gegen den Bau sinnloser Häfen protestiert hat. Vorhaben die zig Millionen Euro gekostet haben. Mit einem Teil der Summe wäre das Projekt Pleißemühlgraben locker finanziert.
Vielleicht hätte sich der Verein mal früher wundern sollen. Öffentlich.
Sich nur an diesem (kleinen) Beispiel des Gewässerverbundes über unbeachtete Bürgervoten, zu mokieren, verwundert dann schon.

Schön, dass es nun auch Andere mitbekommen, wie das jier so abläuft, nach Leipziger Manier der Bürgerbeteiligung.

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