Die Roten Listen Sachsens sind lang. Tausende Tierarten sind vom Aussterben bedroht, sind an den Rand gedrängt, kommen mit den durch den Menschen veränderten Lebensräumen nicht mehr zurecht. Meistens merkt es keiner, weil die meisten Menschen so viel Detailkenntnis über heimische Tier- und Pflanzenarten nicht haben. Nun droht auch noch eine wichtige Menschenspezies abhanden zu kommen: der gewöhnliche Naturschützer.

Geliebt wird er von sächsischen Behörden sowieso nicht. Er meldet sich immer wieder störend dann zu Wort, wenn neue Eingriffe in wertvolle Biotope geplant sind – wenn natürliche Wasserläufe technisch begradigt werden, Wälder abgeholzt, Landebahnen oder Autobahnen gebaut werden, Einkaufscenter den Boden versiegeln, Parkplätze wuchern oder Böden verseucht werden. Das sorgt für Verzögerungen bei Prestigeobjekten, zwingt zu Nachbesserungen. Und man ahnt als Zuschauer nur, wie erboste “Investoren” in den Büros der Planer und Genehmigungsbehörden für Stimmung sorgen.

Naturschützer stören die scheinbar so reibungslosen Abläufe von Großprojekten.

Vor zwei Jahren wollte das Umweltministerium zumindest mal wissen, wie es den ehrenamtlichen Naturschützern in Sachsen so geht. Manchmal würdigt man ja das Ehrenamt, wenn auch am liebsten nur solches, in dem Menschen eher staatstragende Tugenden entfalten und keine Behördenabläufe stören. Oder gar staatliche Aufgaben wahrnehmen, ohne dafür Geld zu verlangen – in der Altenpflege zum Beispiel, in der Sportbetreuung oder in der Kultur.

Der Naturschutz ist auch in Sachsen seit Regierungsantritt der CDU/FDP-Koalition zum ungeliebten Findelkind geworden. Während der ‘ehrenamtliche Naturschutzdienst’ 1998 noch 1.600 Mitglieder hatte, engagieren sich heute nur noch rund 1.000 ehrenamtliche Naturschutzhelfer für Schutzgebiete sowie seltene Pflanzen und Tiere. Gleichzeitig verlieren die Naturschutzbehörden durch fortwährende Strukturreformen einen erheblichen Teil ihrer Arbeitsfähigkeit. Die Nachwuchsgewinnung gestaltet sich umso schwieriger.
2010 hatte das Sächsische Umweltministerium (SMUL) beim Institut für Ökologische Raumordnung (IÖR) eine Studie in Auftrag gegeben, die Probleme des ehrenamtlichen Naturschutzes zu analysieren und Handlungsempfehlungen zu erarbeiten. Mehrere hundert Naturschutzhelfer beteiligten sich an der dazu durchgeführten Fragebogenaktion und hörten seither nichts mehr davon. Dabei hat das IÖR die Studie schon Ende letzten Sommers 2011 fertiggestellt und dem SMUL übergeben. Dort wird sie seither mit großer Geheimhaltung behandelt.

“Offenbar passen die Ergebnisse nicht ins Konzept von Umweltminister Frank Kupfer, der öffentlich so gern die heile sächsische Natur präsentiert”, mutmaßt Johannes Lichdi, naturschutzpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag.

In einer Kleinen Anfrage fordert die Grüne-Landtagsfraktion das Sächsische Umweltministerium nun auf, die wichtigsten Erkenntnisse der Naturschutz-Ehrenamtsstudie zu veröffentlichen. “Ohne ein Minimum an Vertrauen wird sich der Freistaat immer weniger auf seine ehrenamtlichen Naturschutzhelfer verlassen können. Und ohne deren uneigennütziges Engagement dürften die Roten Listen bald noch länger werden”, so Lichdi.

Die “Roten Listen” sind auf der Website des Umweltministeriums einsehbar. Dort wird auch deutlicher, warum die Aufgabe von Naturschützern nicht ganz ohne entsprechendes Wissen funktioniert und in großen Streitfällen oft seltsame Kriechtiere, Insekten oder Pflanzen die Hauptrolle spielen, von denen man im Biologieunterricht nie etwas gehört hat. Denn der dramatische Verlust an Arten spielt sich eben doch zumeist erst im Kleinen ab. Auch machen Insekten, Pflanzen und Pilze einen wesentlich größeren Teil der Artenvielfalt in Sachsen aus als etwa Säugetiere und Vögel.

Dabei gehört der Naturschutz durchaus zu den ehrenamtlichen Bereichen, für die sich besonders viele Menschen interessieren. In der Bürgerumfrage 2010 der Stadt Leipzig rangierte der Bereich “Umwelt, Natur-, Tierschutz” mit 22 Prozent der Nennungen gleich an dritter Stelle unter den ehrenamtlichen Tätigkeiten, für die sich die Leipziger interessieren würden – hinter dem Sozialbereich (24 Prozent) und dem Sport (23 Prozent).

Doch zwischen Wollen und Tun klaffen oft Welten. Und während im Sport, in Schule, Kindergarten und Kirche oft Ehrenämter übernommen werden, weil es von den Betroffenen schlicht als selbstverständliche Pflicht begriffen wird, klaffen in den Interessenbereichen Soziales und Naturschutz die Interessenbekundungen und die Ehrenamtsübernahmen auseinander.

Immerhin 9 Prozent der Befragten geben an, im Natur- und Umweltbereich ehrenamtlich aktiv zu sein. Ist nur die Frage: Was hindert die anderen daran, mitzumachen? Immerhin kommt man in die freie Natur, lernt neue Leute kennen und eine Menge über die sonst nicht wahrgenommene Welt ringsum. Immerhin war auch in der Bürgerumfrage von 2010 einer der wichtigsten Hinderungsgründe die fehlende Kompetenz. Während die Nicht-Informiertheit über die Möglichkeiten, sich einzubringen, im Zeitraum von 2002 bis 2010 rapide abnahm, stieg der Wert der gefühlten Nicht-Kompetenz von 6 auf 13 Prozent.

Was logischerweise auch wieder Folgen hat. Denn in den politischen Entscheidungsprozessen werden gerade Umweltschützer nur dann ernst genommen, wenn sie auf wissenschaftlichem und – noch wichtiger – juristischem Professionsniveau argumentieren. Oft genug müssen sie die komplette behördliche Unterlassung von umweltpolitischen Aspekten ergänzen und ersetzen. Oder sogar einklagen, wenn diese mit einem amtlichen Federstrich einfach ignoriert wurden.

Man darf gespannt sein, was in der Studie des Instituts für Ökologische Raumordnung (IÖR) zu lesen steht. Wahrscheinlich ist, dass man dort eine Liste von Notwendigkeiten zu lesen bekommt, die ein Land wie Sachsen erfüllen muss, damit die Umweltverbände arbeitsfähig sind und bleiben.

Sachsens Rote Listen:
www.umwelt.sachsen.de/umwelt/natur/8486.htm

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