Das Verführerische an der Geldsystemidee des "Freigeldes" ist, dass sie mehr Gerechtigkeit denen verspricht, die in der sozialen Hierarchie nicht unbedingt weit oben stehen. Die heutigen Montagsdemos verbinden es zudem mit einer für sie nur durch eine Änderung des Geldsystems abwendbaren Katastrophe einer globalen Vernichtung. Hierbei spielen also durchaus berechtigte Hinweise auf Gerechtigkeitslücken im Kapitalismus heutiger Tage und ein gewisser Armageddongedanke fest zusammen. Die Forderung für Frieden, gegen die "Fed" ist also zuerst einmal ökonomisch begründet - die Mahnwachen eine neue "Ökonomiebewegung"?

Will man die mittlerweile in über 20 Städten stattfindenden “Mahnwachen” an den Montagen gründlicher betrachten, kommt man um eine Debatte zur einfachen Forderung “gegen die Fed – für Frieden” nicht umhin. Initiator und Hauptorganisator in Berlin und im Netz, Lars Mährholz, hat den Anstoß zur Skepsis gegenüber diesem Ziel dennoch von Beginn an selbst gegeben: Die Formulierung alle Kriege der vergangenen hundert Jahre gingen auf die Fed zurück, ist in etwa so schlau, wie zu behaupten, die Deutschen wären ein friedliches Völkchen gewesen, als erst der Kaiser und wenig später die NSDAP zu den Waffen riefen. Aber daraus gleich eine antisemitische Verschwörung zu bauen, ist übetrieben.

Mit den Montagsdemos hat man es also mit einer Bewegung zu tun, welche die Abwendung von einem heutigen Geldsystem fordert. Ein System, in welchem der Verleiher von Geld, also Banken, das Risiko, den Kredit nicht zurückzuerhalten, in Form von Zinsen abzusichern trachten. Dem stellen die Mahner für den Frieden ein neues System der zinsfreien Geldwirtschaft entgegen. Die Hoffnung dabei, welche in der Forderung “gegen die Fed” gipfelt (verkürzt): Den Großkonzernen auf der Welt würde systematisch die Macht entzogen. Und mit der Beendung der aktuellen Geldpolitik und dem Zinssystem würde der Grund, sprich der Expansionsdruck und damit Wirtschaftskriege (Zerstörung) und anschließendem Wiederaufbau, entfallen. Zivilisatorische Lösungen heutiger Tage sehen jedoch anders aus. Sie heißen (hoffentlich) Schuldenschnitt statt Krieg und jede Währungsreform oder “Schuldenerlass” bedeuten letztlich nichts anderes: Streichen wir mal ein paar Zahlen im Computer, weshalb wirklich reiche Kreise schon immer versucht waren, Land und Produktionsmittel in ihr Eigentum zu bringen.

Dem können heutige Systeme nur eine “Bodenreform” entgegenstellen – man spricht dann auch von Enteignung.

Auf den ersten Blick klingt es also logisch, ja wie ein Märchen aus Tausend und einer Nacht – Lars Mährholz steht als Bürger mit dieser Idee im Rücken auf und ist für den Frieden. Doch dahinter steckt mehr, gelesen, angeschaut und konsumiert hat er ganz offensichtlich über Monate die Wirtschaftstheorien von Andreas Popp, wenn er nun extrem verkürzt zum Widerstand gegen die “Fed” und den Zins aufruft. Wohin das führen soll, weiß er jedoch selbst nicht. “Ich weiß nur, dass es anders werden muss, um besser zu werden”, so Mährholz über den kommenden Weg auf seiner eigenen Webseite. Verschwindet der Zins, verschwinden die Kriege – so einfach ist es also?

Es scheint eher eine Frage der menschlichen Natur zu sein. Eine, welche sich immer auch gewalttätig zeigen kann und auch ohne Zins auf Kosten Anderer expandieren will. Im März diesen Jahres hat China zum Beispiel begonnen, den vorher staatlich festgelegten Einheitszins zu liberalisieren. Auf Druck der Chinesen selbst, die sich mit den angehäuften finanziellen Möglichkeiten der vergangenen Boomjahre mehr erhoffen, als dass für den Staatshaushalt Chinas gute Geschäft, niedrige Zinsen auf Spareinlagen unterhalb der Inflationsrate zu erhalten.

Es geht also um Gier und die Kontrolle derselben. Dafür bietet auch die Abschaffung der Zinsen keine Garantie.

Die zinsfreie Vergabe von Geld verzichtet zugunsten von Vertrauen auf eine Risikoabsicherung des Geldgebers. Geld wird also das, was es für die Verfechter des Freigeldes immer war: Eine vertrauensvolle Vereinbarung, ganz so, wie es frühere Geldsysteme, wie das “fliegende Rad” der Chinesen oder seltene Muscheln in Naturvölkern waren. So schrieben die Chinesen die Schulden einfach an eine Tafel und tilgten, wenn die Schuld erstattet wurde. Woher heute noch der Begriff “in der Kreide stehen” entlehnt ist. Es ist jedoch ebenso nachweisbar, dass China sich Jahrhunderte lang abschottete und sich wirtschaftlich in einem starren Kastensystem gefangen, wirtschaftlich weit schlechter entwickelte, als die europäischen Länder mit ihrem modernisierten Geldsystemen und erstmals wirklich globalisiert durch das britische Empire.

Schwankungen, wie klimatisch schlechte Sommer oder Krankheitsepidemien führten in diesem starren Geldsystem schnell zu extremen Hungersnöten und Massensterben. Etwas, was nach 1945 zumindest in Europa weitgehend unbekannt geblieben ist und was auch weltweit nicht mehr nötig wäre, doch dazu mehr unter dem Begriff “Verteilungsgerechtigkeit”.

Es besteht nämlich in der “Freigeldidee” ein gewisses Problem, was die Vertreter gern verschweigen oder schlicht nicht wissen.

Wer heute “Freigeld” ohne Zinsen oder mit negativer Verzinsung in Händen halten möchte, findet es aus guten Gründen eher in regional begrenzten Komplementärwährungen wie dem Chiemgauer. Da es selten möglich ist, den Rahmen des Vertrauens weiter zu spannen, als in abgegrenzten Regionen, begrenzen sich sogenannte Komplementär- oder Regiogeldwährungen eher auf kleinere Wirtschaftszonen. Allein die Wechselkurse bei der Notwendigkeit des permanenten Tauschs mit anderen Nachbarzonen würde zu einem erheblichen Aufwand führen, welcher die Bereitstellung des Regiogeldes verteuern würde.

Eher klassische Binnenwährungen also, die größte bekannte ist der Schweizer “Wir” mit rund 16.000 angeschlossenen Schweizer Unternehmen. Doch selbst der heutige “Vater” der modernen Komplementärgeldphilosophie, der Belgier Bernard Lietaer, hat den sogenannten Regionalwährungen nicht grundlos eher die Funktion eines “sozialen Geldes” mit regionalem Bezug zugewiesen. Und zinslos funktioniert auch dieses Geld nicht.

Im ideologiefreien Eingeständnis, dass es wohl für ein weltweites Vertrauen aufgrund widerstrebender Interessen zwischen den Menschen noch zu früh ist oder immer zu früh bleiben wird, und die globale Wirtschaft die Rückzahlungskontrolle und die Einforderung eines Zinses benötigt. In nicht von extremen Spekulationen dominierten Zeiten ist der Zins auch eine Zahlung dafür, dass der Geldgeber das Geld nicht für andere Dinge nutzen kann. In Zeiten von extremen Geldmengen, so wie heute, ist der Zins also niedrig – die Banken wissen wortwörtlich nicht wohin mit der Kohle. Warum sie dabei allerdings Überziehungszinsen von bis zu 12 Prozent und mehr nehmen dürfen, zeigt neuerlich das Versagen derzeitiger Politik und den Handlungsbedarf. Allerdings innerhalb des heutigen Geldsystems.

In der Tat ist es darüber hinaus eine Frage der heutigen Zeit, wie eventuell nicht marktwirtschaftlich darstellbare Bereiche, hier Teile der Daseinsfürsorge und soziale Dienste durch komplementäre Leistungen, sprich “anderes Geld” bezahlbar werden könnten. Beispiele gibt es, doch sie beinhalten eine Währung, welche weitaus seltener ist als Gold oder “seltene Erden”: Vertrauen. Und das Wissen, dass Geld nur eine Vereinbarung ist. Wenn Geber und Nehmer daran glauben, dass 20 bemalte Papierschnipsel (auch morgen noch) 20 bemalte Papierschnipsel mit der gleichen Kaufkraft sind, werden sie das Zahlungsmittel akzeptieren. Ein weiteres Problem: Es benötigt letztlich immer eine zentrale Stelle, weshalb zum Beispiel der “Wir” in der Schweiz im Zentrum eben doch wieder eine Bank gestellt hat. Die dort anfallenden Arbeitskosten und die Sicherstellung der Fälschungssicherheit in Computern die Datensicherheit sowie die Kontrolle der Geldmenge hat schnell auch in der Schweiz zu Zinsen, also Gebühren geführt. Allerdings wird sie auf Sparguthaben erhoben, was den Umlauf des Geldes befördert, statt die Hortung, also das Sparen zu belohnen.

Die Finanzkrise ließ Anfang 2014 das erste Mal die Vermutung zu, dass auch die EZB zu negativen Zinsen übergehen könnte.

Eine weitere Funktion des Zins ist also, das Geld “in Bewegung” zu halten, egal ob er positiv oder negativ angewandt wird. Wohin es sich bewegt, unterliegt den Regeln, welche die jeweilige Gesellschaft miteinander vereinbart. Erst wenn man quasi vollständig auf das absolute Vertrauen selbst umsteigt, scheint ein weiterer Weg denkbar. Ein Weg gänzlich ohne Geld im herkömmlichen Sinne.

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Die überalterte japanische Gesellschaft ist hier beispielsweise in der Altersversorgung zu Zeitstundenmodellen in vereinzelten regionalen Kreisläufen übergangen. Junge Menschen helfen Senioren und bekommen statt Geld selbst spätere Pflegezeit dafür gutgeschrieben. Ein soziales Prinzip, bei dem die Zeitstunden auf den ersten Blick keiner Entwertung durch Inflation oder ähnlichem unterliegen. Ein Versprechen andererseits, an welches sich immer nachfolgende Generationen auch halten müssen – sonst bricht das Modell zusammen. Ebenso kommt es ins Wanken, wenn zu wenige Menschen nachgeboren werden und dazu immer älter werden. Lokal könnte es also funktionieren, weltweit gäbe es garantiert bald “Zeitstundenkonten” und Ausgleichssysteme, um die Schwankungen in der Verfügbarkeit von Zeit auszugleichen. Zeit wäre also das neue “Geld” und man würde nunmehr Zeit schulden, ein Umstand, welcher garantiert mit irgendwelchen Sanktionen (Zinsen, Strafzahlungen, Ausgleichsforderungen auf anderen Gebieten) einherginge.

Und neu ist auch dieser Gedanke letztlich nicht: In Deutschland wäre die Debatte im Bereich “Altersarmut” nicht im Ansatz so gewaltig, hätte man die staatliche Rente gestärkt, alle als Zahler einbezogen, statt in diesem sozialen, also nur auf Kosten vieler Menschen kapitalisierbarem Bereich die Privatisierung via Riester und Co. zu wählen.

Das Ergebnis nach 10 Jahren – vernichtend, die Rentenhöhen dramatisch geschrumpft, der Weg falsch und bislang durch die Große Koaliton nicht korrigiert. Versäumnisse, wie die der fehlenden direkten Demokratielemente wie bundesweite Bürgerentscheide, welche zunehmend zu Druck auf die Politik führen werden.

Das deutsche Umlage-Rentenmodell Bismarcks, welches analog zum Zeitstundenmodell der Japaner wenigstens weitgehend inflationsfrei ist, da die Gelder nicht angespart und somit über Jahre im Wert verfallen, sondern direkt weitergegeben werden, ist hier beschädigt worden zugunsten der Profitinteressen der Versicherer. Ein sichtbar falscher Weg, gegen den allerdings die Linke seit Jahren ohne Wirkung gemeinsam mit dem nur angeblich dafür verantwortlichen Ex-Minister Norbert Blüm wettert. Die Montagsdemonstranten haben also auch hier ein nicht neues Thema unbewusst oder bewusst im Visier, wenn sie von “Geldwirtschaft” oder reichlich polemisch von der “Fed” sprechen.

Menschlich im Sinne von dem Menschen angemessen scheint also das nur angeblich zinsfrei realisierbare Freigeld eher in kleinerem Rahmen möglich. Es ist hier und da eine sinnvolle Ergänzung. Im weltweiten Handel dienen Zinsen auch zur Sicherung von Handelsrisiken, welche seit Beginn der Menschheit immer die gleichen waren: Wetter, Betrug und falsche Einschätzungen. Das wussten bereits die alten Römer und Griechen, welche Zinsen von bis zu 30 Prozent kannten und so Handelsrisiken absicherten. Noch vorher verstarb man im Falle von persönlichem Unglück einfach an Hunger, hier wurde man zum Sklaven. Skaliert man dieses Bild in die Neuzeit, könnte man auch sagen: Es geht uns verdammt gut, jeder Deutsche besitzt längst mehr als nur sein Leben und etwas zu essen. Das dies nicht das Ende der Entwicklung sein kann, ist dennoch klar. Doch die Forderungen der Montagsdemonstranten gehen hier offensichtlich in die Irre – auch wenn sie eines schaffen: Man spricht und schreibt mal über dieses Thema.

Denn das heutige Geldsystem hat zudem neben seinen Auswüchsen auch eine Freiheit der Kultur von launigen Mäzenen und Adelshäusern geschaffen, um welches uns sicher auch der letzte Universalgelehrte und geborene Leipziger Gottfried Wilhelm Leibniz durchaus beneidet hätte. Dieser musste sich in seiner Frühaufklärung von Herrschergunst zu Herrschergunst hangeln, um seine Studien vorantreiben zu können.

Ist die Forderung gegen das Zinsgeldsystem aufzustehen also rückwärts gewandt und antisemitisch geprägt? Haben die Montagsdemos mehr Aufmerksamkeit verdient, oder debattieren sie, ohne es zu bemerken, in der Denkschule der Nazis, des dritten Reiches und darüber hinaus antiamerikanisch? Und warum haben die USA eine private Notenbank und die Europäer nicht?

Mehr im Teil 3 auf L-IZ.de
Montagsdemo unter der Lupe (3): Antiamerikanismus, Frieden und der Antisemitismusvorwurf

Silvio Gesell einfach erklärt auf Youtube
https://www.youtube.com/watch?v=VYFx7spgsgs

Bernard Lietaer auf Wiki
http://de.wikipedia.org/wiki/Bernard_Lietaer

Regionalgelder in einer Übersicht
de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Regionalgelder

Gottfried Wilhelm Leibniz bei Wiki
de.wikipedia.org/wiki/Gottfried_Wilhelm_Leibniz

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