Seit dem 31. März 2014 gibt es sie - die Mahnwachen in Leipzig. Von Beginn an hat auch die L-IZ versucht, die Montagsdemonstration vor der Oper von mehreren Seiten und mit der lokalen Brille zu betrachten. Seit mehr als zwei Wochen haben sich nun die drei Vertreter der Veranstalter Anne, Daniel und Mike (Namen d. Red. bekannt) die Mühe gemacht, offene Fragen zu beantworten und ihre Sicht auf die Dinge darzulegen. Ein Interview, in welchem sie frei sagen konnten, was sie zum Engagement trieb, was sie an TTIP, Monsanto, den Entwicklungen in der Ukraine und dem Gesellschaftssystem allgemein kritisieren. Hier also Teil 2 des langen L-IZ-Interviews mit den Machern der Mahnwachen in Leipzig.

Immer wieder spielt bei den Montagsdemos auch das bevorstehende TTIP (Transatlantisches Handelsabkommen zwischen USA und EU) eine Rolle. Was genau kritisiert Ihr daran?

Es geht beim TTIP um die Schaffung der größten Freihandelszone auf der Erde. EU und USA erwirtschaften derzeit bereits jetzt fast die Hälfte des globalen Bruttoinlandprodukts. TTIP soll ihre dominante Position in der Konkurrenz zu den sogenannten Schwellenländern absichern. Auch die Menschen in Europa und Amerika haben einschneidende Verschlechterungen ihrer Lebensqualität zu befürchten – nicht nur wegen Gen­Food, Hormonfleisch und Chlorhühnchen. Mit TTIP sollen demokratische Rechte, soziale Standards, Klimaschutz und Finanzmarktkontrolle auf dem jeweils niedrigsten Level “harmonisiert” werden.

TTIP wird die Macht der Konzerne stärken und die Gestaltungsmöglichkeiten der Gesellschaft massiv einschränken. Die Ideologie des Freihandels, welche dem Tier-, Natur- und Verbraucherschutz schadet und Demokratie untergräbt, lehnen wir ab. Das Abkommen muss verhindert werden.

Wie erklärt Ihr Euch die Ablehnung Eurer Mahnwachen seitens immerhin seit Jahren wirkenden Organisationen wie Attac, Friedensbewegung und Teile der “Linken” sowie vieler Medien, während in Leipzig die Ostermarschorganisatoren bei Euch zur Teilnahme an den Oster-Friedensmärschen aufriefen und sich so solidarisch zeigten?

Die meisten Kritiker waren nie vor Ort gewesen, um sich ein Bild zu machen. Auch eine nachträgliche und ergebnisoffene Betrachtung der Aufzeichungen wird selten angewandt. Die Kritiker haben sich überwiegend aus den Medien, die uns ohnehin falsch dargestellt haben, aber auch aus subjektiv geprägten Einzelmeinungen informiert und somit ein falsches Bild von uns.

Kritiker vor Ort, hören nicht selten nur das, was sie hören wollen. Mitunter finden auch sehr viele unzutreffende Verallgemeinerungen statt. Wenn sich einige Neo-Nazis unter die Teilnehmer gemischt haben, welche die Veranstaltungsordner nicht sofort als solche erkannt haben, bedeutet das noch längst nicht, dass auf der Montagsdemo rechtsextremes Gedankengut verbreitet wird, das eben diese anzieht. Genauso ist es lächerlich, dass man allgemeingültig behauptet, in allen hundert Mahnwachen wird rassistisches Gedankengut verbreitet, nur weil im Einzelfall in Stadt XY plötzlich unerwartet ein Rechtsextremer das Mikrofon übernahm und eine rassistische Äußerung von sich gegeben hat.

Aus bedauerlichen Einzelfällen, Verunglimpfungen und subjektiv geprägten Informationen wurden schwerwiegende Vorurteile, die sich leider in einigen linken und pazifistischen Köpfen verankert haben. Aber trotzdem gibt es bei Attac, Friedensbewegung und den Linken Menschen, welche diese Vorurteile auch als solche sehen und den Mahnwachen offen gegenüberstehen. Zu nennen wären hier beispielsweise die Bundestagsabgeordneten der Linken Heike Hänsel, Sabine Leidig oder auch der Abgeordnete und Liedermacher Diether Dehm. In Leipzig arbeiten wir seit Wochen mit dem Friedenszentrum Leipzig, dem Friedensweg und auch Attac Leipzig gemeinsam.
Was unterscheidet Eurer Meinung nach die Leipziger Mahnwachen beispielsweise von der in Berlin, wo mittlerweile Popp, Jebsen und Elsässer auftreten? Oder auch von der in Magdeburg, wo es Anzeichen eines Zustroms von Rechts gibt?

In Leipzig darf grundsätzlich jeder auftreten, soweit es der Zeit- und Redeplan ermöglicht und sich an unseren Grundkonsens hält, der darin besteht, dass kein menschenverachtendes, rassistisches oder nationalistisches Gedankengut verbreitet wird. Ein kleines Kind, das sich nach Frieden sehnt, eine alte Frau, welche über die Gräuel des Zweiten Weltkrieges berichtet, aber auch ein Bundeswehrsoldat, eine Person die sich noch nie mit Krieg und Frieden auseinandergesetzt hat und selbst eine Angela Merkel könnte in Leipzig sprechen. Das teilnehmende Publikum bleibt der Souverän und entscheidet selbst mit Klatschen, ob er dem Redner zustimmt, schweigt wenn es über die Worte noch nachdenken muss oder tönt mit Buh-Rufen, wenn es seine Thesen ablehnt.

Die Meinungen der Gesellschaft sind vielfältig. Jeder hat das Recht, seine Meinung zu sagen, genauso wie jeder das Recht hat der Meinung des anderen zuzustimmen oder abzulehnen.

Was entgegnet Ihr denen, die im bekannten Rechts-Links-Schema argumentieren und Euch die Bildung einer sogenannten “Querfront” vorwerfen?

Die Montagsmahnwachen sind ein Ort an dem sich Menschen politisieren. Hier finden sich viele Menschen ein, die sich das erste Mal politisch engagieren. Einige argumentieren, dass die Zeiten vorbei sind, in denen man Menschen im Rechts-Links-Schema einordnet. Viele wollen sich auch gar nicht in dieses Schema einordnen lassen, was nicht heißt, dass sie unpolitisch wären oder gar eine “Querfront” bilden wollten. Es findet ein Prozess der Politisierung statt und hier darf man, gerade auch aufgrund der seit Jahren geschürten Extremismusdebatte, nicht von vornherein verlangen, dass alle die gleiche Definition von Begriffen haben. Die Montagsdemo in Leipzig ist pluralistisch in der Meinungsvielfalt. Nur so können wir die ganze Bandbreite der Gesellschaft abholen und gemeinsam für den Frieden einstehen.

Mit “Querfront” hat das nichts zu tun. Es gibt nicht nur in Leipzig eine klare Abgrenzung gegenüber menschenverachtenden Positionen und bekennende Neonazis haben auf unseren Veranstaltungen nichts verloren und werden des Platzes verwiesen.

Aber wir wollen auch Menschen überzeugen und ermuntern gegen Krieg und Kapitalismus gemeinsam aktiv zu werden. Immerhin haben wir aktuell eine Situation die in vielfacher Hinsicht der vor dem ersten Weltkrieg ähnelt. Wir haben ein Parlament in dem sich die bürgerlichen Parteien in ihrer inhaltlichen Richtung im Wesentlichen nicht sonderlich voneinander unterscheiden. Dabei geht es nicht um das was die Parteien in ihre Programme schreiben, sondern um das was sie in der politischen Praxis abnicken. Noch gibt es eine sehr kleine Opposition die gegen das Kriegstreiben stimmt – allerdings bröckelt auch diese zunehmend.

Der Friede ist eben eine Sache, die gemeinsam mit vielen Menschen angegangen werden muss. Wer sich hier auf Parteien verlässt, der ist verlassen und dass haben viele begriffen. Wenn es aktiv und wirkmächtig gegen Kriegsvorbereitung und Kriegspropaganda gehen soll, dann darf man sich auf das Parlament und die bürgerlichen Parteien, die allesamt den Kapitalismus und seine Kriegsmaschinerie stützen nicht verlassen.
Ich erlebe Themen, wie das Agieren von Monsanto, die Frage nach der Verteilung des Reichtums usw. auf Euren Mahnwachen als eine berechtigte Kritik. Spätestens aber beim Thema “Chemtrails” mit dem Vorwurf der systematischen Vergiftung der Bevölkerung steige ich komplett aus. Ist hier der Begriff “Verschwörungstheorie” berechtigt?

Mehr zum Thema:

Montagsdemo: Das lange L-IZ – Interview mit den Leipziger Veranstaltern (1)
Es wird nicht ruhiger um die montäglichen …

3. Weltkrieg? Ukraine, Medien und Montagsdemo
Angesichts der Entwicklungen in der Ukraine …

Montagsdemo unter der Lupe (4): Gegen die Fed, für eine freie Welt?
In der Kernidee der Montagsdemos …

Montagsdemo, Ukraine, Medien und ein Glaubenskrieg
Was derzeit rings um die diversen …

“Chemtrails” waren auf der Montagsdemo in Leipzig nie Thema gewesen. Lediglich am 21. April 2014 sprach sich ein neunjähriges Mädchen am Offenen Mikro in einem einzigen Satz gegen “Chemtrails” aus. Die zentralen Inhalte der Leipziger Montagsdemo über die vergangenen Wochen waren ganz deutlich andere: Da ging es um die sich immer mehr zuspitzende Situation in der Ukraine, um die Ermordung von Antifaschisten in Odessa, um die Rüstungsproduktion und -exporte aus der BRD in alle Regionen der Welt, Flucht und Vertreibung als Konsequenz von Krieg, die Abschottungspolitik Europas gegenüber Flüchtlingen, um den militärischen Missbrauch des Flughafens Leipzig-Halle durch die NATO oder auch um das für den Spätsommer geplante Militärmanöver der NATO auf ukrainischem Territorium.

Kommen wir vielleicht zurück auf die Frage zu den Verschwörungstheorien.

Wenn man anhand einer Untersuchung mit wissenschaftlichen Standards unbestreitbar nachweisen könnte, dass es sich bei den “Chemtrails” um vorsätzlich versprühtes Gift handele, wäre die Existenz von “Chemtrails” ein Fakt. Erst wenn man davon ausgeht, dass es sich mit den Chemtrails um eine systematische Vergiftung der Bevölkerung handelt ohne dafür handfeste Beweise zu haben, dann kann man von einer Verschwörungstheorie reden. Dann ist der Begriff berechtigt.

Allerdings wird der mittlerweile negativ gefärbte Begriff Verschwörungstheorie leider immer wieder missbräuchlich verwendet, um jene zu diskreditieren und damit als unglaubwürdig zu brandmarken, welche Ansichten vertreten, die nicht der öffentlichen Meinung entsprechen. Das ist für eine gesunde Diskussionskultur alles andere als förderlich. Dabei ist die Diskussion “Chemtrails”-Theorie nicht unberechtigt, weil es laut Anhänger dieser viele Indizien gibt, die dafür sprechen. Gibt es zunächst keine Indizien, handelt es sich bei einem ungeklärten Sachverhalt nur um eine Hypothese. Solange es Indizien für etwas gibt, kann man von einer Theorie sprechen. Wissenschaftler sind stets damit beschäftigt sich mit Theorien auseinandersetzen. Das gilt also genauso für Verschwörungstheorien.

Jeder Verschwörungsgedanke, der sich Theorie nennen kann, hat seinen Anspruch, diskutiert zu werden. Doch das Gegenteil ist die Praxis, bei der Verschwörungstheorien als diskussionsunwürdig gebrandmarkt und ins Lächerliche gezogen werden. Das bremst die Gesellschaft dabei, Wahrheiten näher zu kommen und Lügen zu enttarnen.

Das aktuellste Beispiel für eine Verschwörungstheorie, die sich eindeutig bewahrheitet hat, ist das NSA-Abhörprogramm PRISM. Es ist also nicht unberechtigt, sich mit Chemtrails auseinanderzusetzen – und das vorurteilsfrei, aber eben auch seriös und kritisch hinterfragend. Man sollte alles kritisch hinterfragen, sowohl eine aufgetischte Wahrheit, als auch eben eine Verschwörungstheorie. Die Montagsdemo Leipzig wird sich nicht festlegen, ob Chemtrails nun existieren, oder nicht. Das bleibt die Aufgabe der Wissenschaft. Die Redner auf der Veranstaltung geben den Teilnehmern lediglich einen Input. Nachprüfen muss dann jeder selbst, um herauszufinden, ob man etwas Glauben schenken kann oder nicht.

Ihr habt (nicht einen sondern) drei realistische Wünsche frei. Was würdet Ihr Euch an konkreten Änderungen wünschen?

Wir wünschen uns, dass die Menschen in der BRD, in Europa und auf der ganzen Welt aufstehen, auf die Straße gehen um gegen die im Kapitalismus begründeten sozialen Ungerechtigkeiten, Verwerfungen und Kriegstreibereien friedlichen Widerstand leisten und miteinander eine neue, friedliche und lebenswerte Welt aufbauen. Früher oder später wird der Stein ins Rollen gebracht, welcher eine riesige Dominokette anstoßen wird. Ein realistischer Wunsch. Die Macht, Frieden zu schaffen liegt in unser aller Händen. Sie muss nur genutzt werden.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Michael Freitag über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar