Und nun aber raus aus den Federn, es ist kein Murmeltiertag. Es schneit auch nicht. Dafür hat einer heute Geburtstag, der zumindest wieder so etwas hat wie eine kleine Fangemeinde: Christian Fürchtegott Gellert. Und wer sich sputet, ist rechtzeitig um 10 Uhr auf dem Südfriedhof. Da wird sein neu gestaltetes Grab feierlich übergeben.

Oder besser: ihr Grab. Denn bestattet ist er dort nicht allein. Auch wenn es so auf der Grabplatte steht. Schon in seiner alten Grabstelle in der Johanniskirche hatte der Leipziger Dichter und Universitätsprofessor gemeinsam mit seinem Bruder Friedrich Leberecht Gellert eine Gruft, den übrigens auch Goethe erwähnt und als etwas vierschrötigen Reitlehrertyp beschreibt. Zwei Brüder, die man sich gegensätzlicher kaum vorstellen kann.

Aber der Bruder ersetzte dem zeitlebens Unverheirateten wohl auch die Familie in Leipzig, manchmal etwas forsch und tatkräftig. Manchmal braucht das auch einer wie Christian Fürchtegott, den auch Goethe nicht als lautstarken, selbstsicheren Professor erlebte. Eher zurückhaltend, schüchtern und trotzdem eigensinnig. Lyrik wollte er von den Teilnehmern seines Poetikkurses gar nicht haben. Was den Jungstudenten Goethe maßlos grämte, ging er doch eigentlich extra fremd in die Vorlesungen Gellerts, weil er den Mann und seine Meinung zur Poesie kennen lernen wollte.

Aber der wollte nur Prosa vorgelegt bekommen. Worüber sich später selbst der alte Goethe noch grämt, weil er um die Geschwätzigkeit seiner frühen Prosa wusste. Und das hat Gellert dann wohl auch angemerkt. Vielleicht hat Goethe ja trotzdem was gelernt dabei. Denn mit seiner Strenge auch in der deutschen Sprache (Einfachheit und Klarheit, meine Herren!) hatte der kränkelnde Professor sich einen Namen gemacht in Deutschland und – noch viel emsiger als Gottsched – für einen klareren, volkstümlicheren Schreibstil gekämpft. Sein Vorbild: nicht die französische Literatur, die seinerzeit Friedrich II. von Preußen so hoch lobte, sondern die klare, eindeutige Literatur Englands. Von dort kamen nicht nur die modernen bürgerlichen Romane, sondern auch die modernen Magazine, die Lesen auch zu einem Teil bürgerlicher Kultur machten. Dergleichen gab es in Deutschland nicht. Wenn es Magazine gab, dann waren es Gelehrtenmagazine für ein gelehrtes Publikum. Gellert und sein Freund Rabener aber fanden, Literatur dürfe nicht nur eine Sache für studierte Leute sein.

Wenn man genau hinschaut, merkt man, dass Goethe wohl doch eine Menge gelernt hat bei diesem Gellert, dessen Moral er – vor allem in der Rückschau nach einem halben Jahrhundert – schon etwas altbacken fand. Aber zu Gellerts Lebzeiten wirkten auch seine literarisch dargestellten moralischen Maßstäbe auf gewisse Weise revolutionär. Pflicht und Treue stehen ganz im Zentrum seiner Moralwelt. Man muss nicht zwei Mal hinschauen, um zu sehen, dass es zutiefst bürgerliche Tugenden waren, um die es ihm ging, und dass in ihm schon der halbe Kant angelegt ist.

Die Frage, um die es Gellert ging: Wie spiegelt sich das neue, sich als aufklärerisch fühlende Zeitalter, in der Moral der Gesellschaft? Braucht eine bürgerliche Gesellschaft auch moralische Maßstäbe? Und wenn ja: Welche?

Kann man alles nachlesen. Bis hin zu der Generationen später ausgebrochenen Diskussion über die Enge oder Verkehrtheit der Gellertschen Moralvorstellungen.

Aber selbst wer Goethes “Leiden des jungen Werthers” liest, begegnet diesen Fragen. Denn auch Gellert konnte ja den Widerspruch nicht auflösen zwischen der manifesten bürgerlichen und christlichen (Ehe-)Moral und dem Anspruch einer erfüllten Liebe, den ein Werther stellte. Da kann man schon darüber nachdenken, warum Goethe seinen Werther sich erschießen lässt – sich selbst aber nach der Enttäuschung mit Käthchen keineswegs erschossen hat.

Aber heute geht es nicht um Goethe, sondern um Gellert, zu dem die Leipziger einst pilgerten, als es die Gellert-Gruft in der Johanniskirche noch gab. Später landete der Sarkophag der beiden Gellert-Brüder in der Paulinerkirche und gehört damit zu den wenigen Särgen, die überhaupt aus der Kirche geborgen wurden, bevor sie zu Pfingsten 1968 gesprengt wurde. Die nüchterne Grabplatte, die im Gräberfeld I des Südfriedhofes nun über Jahre das Grab Gellerts bezeichnete, ist auch nicht die orinigale – die ist im Innenhof des Grassi-Museums angebracht.

Aber zum 300. Geburtstag sollte Gellerts Grab schon ein bisschen schöner aussehen, fand Olaf Graszt, Vorsitzender des vor Jahresfrist gegründeten Freundeskreises Gellert. Und das Grab sieht jetzt auch deutlich eindrucksvoller aus, nachdem an der nüchternen Grabplatte nun auch eine Säule mit der Würdigung für den “Dichter, Moralphilosophen und Außerordentlichen Professor der Universität Leipzig” aufgestellt wurde, geziert von einem kleinen Medaillon mit dem Bildnis Gellerts.

Der Hinweis auf Gellerts Bruder fehlt auch hier. Was schon verblüfft. Das wäre Christian Fürchtegott bestimmt nicht recht gewesen. Vielleicht lässt sich das sogar noch nachholen.

Aus Anlass von Gellerts 300. Geburtstag am heutigen 4. Juli nun soll am Grab des Dichters die neue Grabsäule feierlich eingeweiht werden. Olaf Graszt, der seit 2012 die Pflegepatenschaft des Gellertgrabes inne hat, hat diese Säule entworfen und in Abstimmung mit dem Friedhofsamt anfertigen lassen. Diese Säule, die nähere Angaben zu Gellert sowie eine bildhafte Darstellung des Dichters enthält, soll an diesem Tag feierlich der Stadt übergeben werden.

Treffpunkt für die Würdigung, zu der man ruhig auch Blumen für den Dichter mitbringen kann, ist am heutigen Sonnabend, 4. Juli, um 10 Uhr auf dem Südfriedhof Leipzig am Gellertgrab (Abteilung I / Eingang Tabaksmühle). Die Übergabe findet im Rahmen einer Feierstunde am Gellertgrab statt. Die Feierlichkeiten werden begleitet durch Pfarrer Christian Lehnert von der Universität Leipzig. Der Kulturbürgermeister Michael Faber hält das Grußwort. Gemeinsam mit Olaf Graszt wird er die Grabsäule feierlich einweihen.

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