Am Donnerstag, 10. Dezember, stellte Leipzigs Sozialbürgermeister Thomas Fabian die neuesten Zahlen zur Asylunterbringung in Leipzig vor. Und er nutzte die Gelegenheit, um einen Spruch von Angela Merkel gleich noch mal tüchtig abzuwandeln: "Wir sind gefordert. Wir sind riesig gefordert. Aber wir sind nicht überfordert."

Denn der Unterschied zwischen dem Lamento aus einigen politischen Regionen der Republik und der Wirklichkeit in einer Stadt wie Leipzig ist: Wer anpackt und nach Lösungen sucht, der kommt gar nicht dazu zu jammern.

Der kommt aber, wie auch Thomas Fabian, regelmäßig in die wachsende Zahl von Unterkünften, die sein Dezernat im Leipziger Stadtgebiet schafft, und lernt die Geflüchteten selbst kennen. “Machen Sie das ruhig mal selber”, sagte er am Donnerstag. “Sie werden einen ganz anderen Eindruck kriegen.”

Denn niemand begibt sich auf eine solche Flucht über zunehmend gefährlichere Wege nach Europa, der nicht von blanker Not getrieben wird. Eigentlich gilt das auch für die Asylsuchenden aus Albanien, Kosovo und den anderen Regionen des Balkans, die ein sächsischer Innenminister mit erstaunlicher Lust wieder abschiebt in eine “Heimat”, die für diese Menschen schon lange keine mehr ist.

Aber die drakonischen Sprüche deutscher Politiker über die vom Balkan einreisenden Asylsuchenden zeigen ja Wirkung: Der Bundestag hat das Asylrecht weiter verschärft. Das hat auch Auswirkungen auf die Leipziger Zahlen: Die Zahl der Asylsuchenden aus Albanien und dem Kosovo sind in den letzten Monaten drastisch zurückgegangen. Schon lange führen jene Länder die Liste an, in denen Bürgerkriege wüten. “Und von dort sind die Zahlen natürlich deutlich angezogen”, sagt Fabian.

Die meisten Leipziger Asylsuchenden kommen inzwischen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak.

Mit Stand vom 11. Dezember 2015 hat die Stadt Leipzig in diesem Jahr 3.454 Asylbewerber aufgenommen.

Was das für eine Herkulesarbeit bedeutet, zeigt der Vergleich mit den Vorjahren. Seit 2009 ist die Zahl zwar stetig angestiegen. Aber damals waren es 190, 2012 waren es dann erstmals mehr als 400. 2013 waren es 658 und 2014 dann 1.243. Schon das durchaus eine Herausforderung fürs Leipziger Sozialdezernat. Aber die heftigen Diskussionen über die dezentrale Unterbringung in den Jahren 2013 und 2014 kommen dem Sozialamt, das die Unterbringung der Asylsuchenden steuert, heute zugute: Viele Immobilienbesitzer sind sensibilisiert und stellen Häuser oder Wohnungen zur Verfügung. Wo es geht, versucht die Stadt die vom Land überwiesenen Asylbewerber auf die Stadtteile zu verteilen.

Auch wenn es ohne große Interim-Lösungen nicht geht, wenn man an das Brühlhochhaus mit 520 Plätzen denkt oder die Unterbringung in derzeit noch leerstehenden Schulgebäuden wie dem der einstigen 3. Grundschule in der Südvorstadt mit 186 Plätzen oder – ab 2016 geplant – dem Schulgebäude in der Karl-Heine-Straße 22b.

“Aber ich verspreche, dass diese Unterbringung in keinem Fall den Baubeginn verzögern wird”, sagt Fabian.

Denn beide Schulgebäude sollen ja dringend wieder für die Nutzung reaktiviert werden – das eine wird als Grundschule in Süd gebraucht, das andere als Gymnasium. Aber da die Bauplanungen noch liefen, wären die Gebäude für die kurzfristige Unterbringung von Flüchtlingen unbedingt zu nutzen.

Und dabei ist die Stadt noch froh, wenn sie ehemalige Schulen zur befristeten Unterbringung hat. Denn neue Asylbewerber aus den Leipziger Erstaufnahmeeinrichtungen bekommt die Stadt quasi im Tagestakt überwiesen. Martina Kador-Probst, Leiterin des Sozialamtes, betont, dass man mit den Landesbehörden in engem Gespräch sei. “Erst wenn wir wieder freie Unterbringungskapazitäten melden, wird auch überwiesen”, sagt sie.

Trotzdem ist ihr Amt fieberhaft hinterher, immer neue Unterbringungen zu organisieren. Dazu gehören auch viele, die die Stadt bis 2013 gar nicht diskutiert hätte, weil sie einfach groß sind. Und vom Modell Torgauer Straße mit seinen 390 Plätzen wollte man sich ja eigentlich verabschieden. Man nehme den Stadtratsbeschluss ernst, sagte Fabian, den Asylsuchenden möglichst übers ganze Stadtgebiet verteilte kleinere Unterkünfte zu schaffen und den Betroffenen frühzeitig auch einen Umzug in eine eigene Wohnung zu ermöglichen.

Bis 2014 hatte man tatsächlich schon 65 Prozent der Leipziger Asylbewerber so in eigenen Wohnungen untergebracht.

“Das war so jetzt natürlich nicht mehr umzusetzen”, sagt Fabian. Ist aber trotzdem stolz, dass die Quote bei 35 Prozent liegt. Denn Ziel ist natürlich, die Menschen, die in Leipzig ankommen, frühzeitig den Weg zur Integration zu ermöglichen – mit Sprachkursen, eigenen Wohnungen und – in enger Kooperation mit Jobcenter und Arbeitsamt – die frühzeitige Aufnahme einer Erwerbstätigkeit.

Auch um die Gesundheit der Asylbewerber kümmert sich sein Dezernat. Das Gesundheitsamt hat bislang drei Außenstellen im St. Georg, im Krankenhaus Altscherbitz und im Uni-Klinikum gegründet, um die neu aufgenommenen Asylbewerber systematisch zu untersuchen – auf Anzeichen von Infektionskrankheiten, Tbc, Immunisierungsstand usw… Im St. Georg gibt es allein schon drei Untersuchungsstrecken, eine vierte ist in Vorbereitung.

Aber auch so sind die beauftragten Ärzte erstaunlich schnell bei der Arbeit: 3.897 Asylsuchende haben sie in diesem Jahr schon untersucht. Und der Befund ist durchaus bedenkenswert, denn der Impfstatus ist bei den Untersuchten in der Gesamtheit deutlich besser als der der Leipziger Bevölkerung. Zwischen 85 und 95 Prozent liegen die Impfquoten bei Mumps, Masern, Röteln und Windpocken. Die üblichen Gerüchte, die Flüchtlinge würden Seuchen einschleppen, sind auch in diesem Fall aus der Luft gegriffen. Das Leipziger Gesundheitsamt dazu: “Von den Asylsuchenden gehen keine erhöhten Infektionsgefahren aus.”

Dagegen ist der Verwaltung durchaus bewusst, welche Belastung es für die Flüchtlinge darstellt, wenn sie dann doch erst noch in Großunterkünften oder gar Zelten untergebracht werden müssen. “Wir wollten das vermeiden”, sagt Martina Kador-Probst. “Aber es geht nicht anders.”

Feldbetten, Stuhl, Tisch: Die Zimmer in der Notunterkunft sind spartanisch eingerichtet. Foto: Martin Schöler
Feldbetten, Stuhl, Tisch: Die Zimmer in der Notunterkunft sind spartanisch eingerichtet. Foto: Martin Schöler

In der Weihnachtswoche werden dann zum ersten Mal Asylsuchende auch in winterfesten Zelten an der Zwickauer/Ecke Straße des 18. Oktober untergebracht. Bis zu 350 sollen dort Unterkunft finden. “Und wir werden alles tun, sie so schnell wie möglich weiterzuvermittteln”, sagt Kador-Probst.

Aktuell sind 2.698 Asylsuchende in großen Gemeinschaftsunterkünften mit über 60 Plätzen untergebracht. In kleineren Unterkünften, in Übergangswohnheimen und Pensionen sind noch einmal 1.018 untergekommen. Da das Land bzw. letztendlich der Bund aber fast täglich neue Asylbewerber an die Kommunen überweisen, könnte es knapp werden zum Jahresende. “Wir arbeiten einfach weiter auf Hochtouren”, sagt Kador Probst. Die Zeltunterkunft an der Zwickauer Straße könnte noch einmal für 350 Bewerber reichen. Aber auch 2017 rechnet die Stadt mit einer ähnlich hohen Zahl an Asylbewerbern wie 2015.

Deswegen sind jetzt schon Unterbringungen mit rund 3.500 Plätzen in Vorbereitung. Darunter auch Containeranlagen und eine zweite Zeltanlage an der Theklaer Straße. Auch weitere Messehallen werden wohl vorübergehend als Asylunterkunft dienen müssen – nach der Messehalle 17 und zwei Pavillons ist auch die Halle 13 in der Planung.

Und noch etwas traut sich die Stadt zu, was bislang kaum machbar erschien: Einfach mal ein neues Wohnhaus zu bauen, das 2017 in der Arno-Nitzsche-Straße 350 Asylsuchende aufnehmen soll. Beauftragt ist die stadteigene LESG. Wenn die das hinbekommen sollte, hätte Leipzig sogar eine Blaupause, wie die Stadt dem rasant wachsenden Bedarf an sozialem Wohnraum begegnen kann.

Und die Flüchtlinge, die jetzt nach Leipzig kommen, werden mindestens für die nächsten Jahre natürlich das Leipziger Bevölkerungswachstum mitbestimmen. Denn eine Lösung in den Kriegsgebieten im Nahen und Mittleren Osten ist ja nicht in Sicht.

Zumindest für 2016 richtet sich die Stadt darauf ein, dass der Bedarf so hoch bleiben wird wie in diesem Jahr. Und vorsorglich plant man auch für 2017 schon rund 600 Plätze.

Wobei Martina Kador-Probst betont: “Das sind alles vorläufige Zahlen. Das ändert sich täglich.”

Der Zwischenstand: Nachdem Leipzig in diesem Jahr schon 3.454 neue Asylbewerber übernommen hat, betreut die Stadt derzeit insgesamt rund 4.400. Bis zum Jahresende könnten noch einmal knapp 600 dazukommen. In den in Leipzig eingerichteten Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes leben derzeit 2.158 Personen.

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