Es ist erst einmal nur eine Hochrechnung, die das Landesamt für Statistik für den 31. Dezember 2012 geliefert hat - basierend auf den Bevölkerungszahlen für September. Doch die kleine kompakte Tabelle zeigt, dass Vieles von dem, was die schwarzgelbe Regierung in Dresden als Politikgrundlage verwendet, vollkommen falsch ist. Angefangen bei den dramatischen Prognosen zum Bevölkerungsrückgang.

Der hat sich schon in den letzten Jahren immer mehr abgeschwächt. Dafür gibt es mehrere Gründe. Einer dafür sind die chaotischen Jahre 1989 bis 1992, als Hunderttausende Ostdeutsche die Koffer packten und ihren Wohnsitz Richtung Westen verlegten. Während die Bevölkerungszahl der fünf neuen Bundesländer bis 2001 auf 90 Prozent des Bestandes von 1989 absackte, stieg in den westlichen Bundesländern die Bevölkerungszahl auf 108 Prozent. Was übrigens ein sehr deutliches Argument in der ewigen Diskussion um die Solidarbeiträge für den Osten ist. Denn diese Zugewinne werden ja nie beziffert – man nimmt die gut ausgebildeten Fachkräfte seit Jahrzehnten einfach dankend an.

Was nicht schlimm ist. Man muss es nur ausgleichen und austarieren. Innerhalb größerer Wirtschaftsgebilde gibt es immer solche Austauschbewegungen. Menschen folgen den besseren Arbeitsbedingungen. Nicht immer freiwillig. Es verändern sich Parameter bei den Verkehrsströmen und im Wohnungsmarkt. Es bilden sich neue Einkommensniveaus, aber auch neue wirtschaftliche Trends.

Das passiert auch auf der Ebene kleiner Wirtschaftsräume – wie in Mitteldeutschland. Wo sich drei Bundesländer in eine Region teilen, die wirtschaftlich längst hätte wettbewerbsfähig sein können. Hätte man 20 Jahre lang nicht alle Initiativen, Ressourcen und Bestrebungen gedrittelt. Der Größenwahn der Zwerge ist noch immer so frisch wie anno 1992. Ein Winzling wie das 4-Millionen-Einwohner-Ländchen Sachsen glaubt, sich mit eigenen Gesetzesinitiativen gegen den Strom stellen zu können.

Kann es natürlich. Die Hoheitsrechte dazu hat es. Nur wissen eigentlich die eingeborenen Sachsen, was es heißt, wenn ein Land sich gegen den wirtschaftlichen Trend stellt. Die DDR ist das beste Beispiel dafür.

Ein Vorteil einer freien Gesellschaft ist es, solche Fehlentwicklungen politisch immer wieder nachjustieren zu können. Was nicht leicht ist. Das braucht lernfähige Politiker. Heißt: Politiker, die in der Lage sind, einmal gefällte Entscheidungen zu revidieren. Die Spezies ist selten geworden. In Sachsen besonders. Man arbeitet mit angegrauten Daten und Prognosen. Vielleicht hofft man irgendwie, dass sich die Realität vielleicht doch den bärtigen Erwartungen anpasst?

Die Wahrscheinlichkeit, dass das passiert, tendiert gegen Null.Das beginnt bei der Zahl, die Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) 2009 seinem verkündeten Radikalabbau der Staatsbediensteten zugrunde legte: 3,777 Millionen Einwohner im Jahr 2025 – noch einmal 360.000 weniger als 2011. Jedes Jahr also ein Minus von über 25.000 Einwohnern. Das galt vor fünf Jahren noch. Das galt bis 2009. Aber dann kam das Jahr 2010 mit seiner Halbierung der Absolventenjahrgänge, die Sachsens Schulen verließen. In diesem Jahr kippte der sächsische Ausbildungsmarkt. Auf einmal mussten die Schulabsolventen mit einem ordentlichen Zeugnis nicht mehr um eine Lehrstelle betteln. “Jetzt müssen wir den roten Teppich ausrollen”, sagte der damalige Präsident der Handwerkskammer zu Leipzig, Joachim Dirschka. Und er hatte recht. Die Praxis behält immer recht. Das hatte auch Karl Marx kapiert. Vor 150 Jahren.

Die Folge: Immer weniger Schulabgänger sind noch gezwungen, ihre Zukunft außerhalb Sachsens zu suchen. Sie finden in ihrer Heimat eine Lehrstelle. Und bleiben da. Das ist der Hauptgrund dafür, dass sich der Bevölkerungsschwund in Sachsen binnen eines Jahres halbierte. Und dann wieder halbierte. 2011 verlor Sachsen nur noch 12.426 Einwohner (0,3 % der Bevölkerung). Und 2012 werden es wohl nach der jetzigen Hochrechnung des Landesamtes für Statistik nur noch 5.748 sein (0,1 %).

Und da die Geburtenzahlen zwar wieder leicht gestiegen sind, aber bei weitem nicht auf das Niveau von 1989, heißt das: Sachsen wird bis 2025 gar nicht so viel Bevölkerung verlieren, wie Stanislaw Tillich 2009 noch behauptete. Was auch heißt: Alle Prognosen für die so genannten Reformen bei Hochschulen, Schulen, Polizei usw. sind längst Makulatur. Sie basieren alle auf Prognosen, die so schon seit 2010 nicht mehr eintreffen. Man hat die Auswirkungen des Einbruchs der Schulabsolventenzahlen in Sachsen komplett unterschätzt.

Und man hat noch etwas Zweites völlig ignoriert: Die Auswirkungen der steigenden Absolventenzahlen mit Hochschulberechtigung. Noch Anfang der 1990 ging nur jeder dritte Schüler mit einem Abitur von der Schule ab. Heute ist es deutschlandweit fast die Hälfte. Das erzeugt einen seit zwei Jahren verstärkten Druck auf die Großstädte in der Republik mit ihren Hochschulen und hochqualifizierten Arbeitsplätzen.

Was in Sachsen dazu führt, dass die Wanderungsbewegung der jungen Bevölkerung nicht mehr wie noch bis 2008 / 2009 Richtung westliche Bundesländer zielt, sondern sich auf die drei Großstädte im Freistaat konzentriert. Man darf 2012 tatsächlich von dreien sprechen: Chemnitz hat ein kleines Bevölkerungsplus von 681 geschafft. Hingegen die Landkreise im Direktionsbezirk Chemnitz verloren 12.000 Einwohner. Was den jungen Leuten aber schnurzegal ist – sie müssen sich ja nicht an Bezirksgrenzen halten.

Die Landkreise im Direktionsbezirk Dresden verloren über 7.000 Einwohner. Dafür gewann die Landeshauptstadt Dresden nach dieser ersten Hochrechnung 5.780 Einwohner hinzu, wuchs auf nun 535.561 Einwohner.

Noch extremer das Bild im Direktionsbezirk Leipzig, wo die beiden Landkreise zusammen 2.936 Einwohner verloren, die Großstadt Leipzig aber am Jahresende 10.308 Einwohner mehr hatte und nun mit der ansehnlichen Zahl von 542.117 Einwohnern in der Statistik steht.

All das deutet darauf hin, dass Sachsen im Jahr 2025 immer noch deutlich über 4 Millionen Einwohner haben wird (mit den Einschränkungen, die sich möglicherweise aus dem Zensus 2011 ergeben). Und dass die drei Kreisfreien Städte in dieser Zeit weiter wachsen werden. Was auch die Wahlstatistik verändern wird.

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