"Insgesamt 32.364 Gewerbeanmeldungen und 32.611 Gewerbeabmeldungen wurden 2012 von den sächsischen Gewerbeämtern registriert. Das waren nach Angaben des Statistischen Landesamtes 10,9 Prozent bzw. 1,8 Prozent weniger als im Jahr 2011. Erstmalig seit 1990 wurden weniger Gewerbe an- als abgemeldet", meldet das Statistische Landesamt am Dienstag, 9. April. Ganz trocken. Als müssten bei solchen Zahlen nicht alle Alarmsirenen schrillen. Denn dasselbe melden Hessen, Thüringen, Sachsen-Anhalt. 10,9 Prozent weniger Gewerbeanmeldungen - das ist eigentlich ein Erdrutsch.

Ist es von den Zahlen her schon. Doch wenn das in der ganzen Bundesrepublik passiert, muss was dahinter stecken. Meist ist es eine kleine Gesetzesnovelle, eine Verfahrensänderung, ein Federstrich. In diesem Fall ist es ein entlarvender Federstrich. Passiert am 27. Dezember 2011. Da wurde das nächste Stück Restbestand der einstigen “Agenda 2010” geschliffen. Wer das Ursprungspaket dessen, was Peter Hartz und seine Truppe seinerzeit Bundeskanzler Gerhard Schröder in die Hand drückten, mit dem vergleicht, was in den Folgemonaten und -jahren daraus gemacht wurde, der sieht, wie ein austariertes Gesamtsystem immer mehr zum Sanktionsinstrument gegen Bedürftige gemacht wurde. Was heute noch übrig ist, sind die Restbestände. Im Grunde das Grundgerüst einer feudalen Sanktionspolitik, die alle Punkte, an denen einst noch Eigeninitiative, Engagement, Mut und unternehmerischer Wille gefördert wurden, eliminiert hat.

Die Gesetzesänderung vom Dezember 2011 gehört dazu. Ein kleiner Federstrich änderte das “Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt”, indem er aus dem Anspruch von Arbeitslosen, auf einem selbstgewählten Weg in die Selbständigkeit gefördert zu werden, eine Ermessensentscheidung der Sachbearbeiter macht. Das war vorher in Teilen auch der Fall. Doch jetzt sind es die Jobcenter allein, die bewerten dürfen, ob eine Unternehmensidee tragfähig ist oder nicht. Und da gleichzeitig der Vorrang in Vermittlung in eine geregelte Beschäftigung gilt, können die Sachbearbeiter auch einfach abwägen – welche Zukunft hat der durchaus risikoreiche Weg in die Selbstständigkeit gegen einen Job als Paketpacker oder Flugzeugbelader?

Das Amt denkt quasi stellvertretend für den Betroffenen und entscheidet für ihn, was richtig ist. Das Ergebnis ist die jetzt vorliegende Statistik.

“Mehr als drei Viertel der Meldungen (77,8 Prozent der Anmeldungen und 81,3 Prozent der Abmeldungen) betrafen Einzelunternehmen. Die GmbHs kamen an zweiter Stelle mit rund 13 bzw. gut 10 Prozent der Gewerbean- und -abmeldungen. Die häufigsten Anmeldungen entfielen auf den Handel; einschließlich Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen (21,6 Prozent), gefolgt von den Wirtschaftsbereichen Erbringung sonstiger wirtschaftlicher Dienstleistungen (15,3 Prozent) sowie dem Baugewerbe (15 Prozent)”, teilt das Statistische Landesamt zur Struktur der Anmeldungen mit. “Der größte Teil der Anmeldungen (83,6 Prozent) erfolgte mit der Absicht der Neuerrichtung eines Gewerbebetriebes. Gut 10 Prozent der Gewerbeanmeldungen wurden wegen Zuzug von Gewerbebetrieben aus anderen Gewerbeamtsbezirken abgegeben und reichlich 6 Prozent auf Grund der Übernahme eines bereits bestehenden Betriebes (durch Kauf, Erbfolge, Pacht, Rechtsformwechsel oder Gesellschaftereintritt).”Das ist eigentlich das klassische Feld der Gewerbemeldungen. Auf dem 2012 gemeldeten Niveau von 32.364 Gewerbeanmeldungen (2011: 36.331) wird sich das Ganze in Sachsen wohl wieder einspielen. Die Differenz von fast 4.000 Anmeldungen, die 2012 wegfielen, wird so in etwa dem entsprechen, was ohne die Gesetzesänderung von 2011 an Versuchen einer Neugründung in die Selbstständigkeit noch dazu gekommen wäre. Das Problem der meisten Neugründungen aus der Arbeitslosigkeit heraus war aber von Anfang an, dass die gewährte Unterstützung des Jobcenters nur eher eine Beihilfe zum Lebensunterhalt und eine finanzielle Unterstützung zur Gründungsberatung war. Schon bei der Grundausstattung der neuen Ich-Unternehmer haperte es zumeist. Entsprechende Förderprogramm existieren bis heute nicht.

“Beinahe 83 Prozent der Gewerbeabmeldungen erfolgten wegen der Aufgabe des Gewerbebetriebes; 10,8 Prozent wurden wegen Fortzug eines bestehenden Gewerbebetriebes in einen anderen Gewerbeamtsbereich angezeigt und 6,2 Prozent wegen der Übergabe eines weiterhin bestehenden Betriebes (durch Erbfolge, Verkauf, Verpachtung, Rechtsformwechsel oder Gesellschafteraustritt)”, bilanziert das Statistische Landesamt noch.

Aber allein die Zahl der Gewerbeabmeldungen betrachtet, scheint sich die Wirtschaft in Sachsen weiter zu stabilisieren, denn die Zahl ging von 33.220 auf 32.611 zurück. Und da hier die Zahl derer, die den Versuch, mit Gründungszuschuss ein eigenes Unternehmen auf die Beine zu stellen, mit der Gewerbeabmeldung wieder beendeten, nicht gesondert erfasst wird, könnte die Zahl auch in den nächsten Jahren weiter rückläufig sein. Ein Experiment, das nie wirklich ernst gemeint war, geht zu Ende.

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