Und noch ein kostbares Stück deutscher Statistik: Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe e.V. hat sich dieser Tage einmal die sogenannte "Integrationsquote" der 410 Jobcenter in Deutschland näher angeschaut. Arbeitsagentur und Jobcenter versuchen ja immer wieder auch durch beeindruckende Integrationszahlen den Eindruck zu vermitteln, sie seien geradezu erfolgreich in ihrem Tun. Womit sie natürlich auch das ganze dahinter stehende Regelungskonvolut legitimieren.

Aber wäre es so einfach, dann wären auch die Zahlenwerke transparenter. Schröder nimmt sich den sogenannten “Kennzahlenvergleich” der Jobcenter (§ 48a SGB II) vor, in dem von der Statistik der Bundesagentur für Arbeit für 2012 insgesamt 1,130 Millionen “Integrationen” in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung (ohne “öffentlich geförderte Beschäftigung”), in voll qualifizierende berufliche Ausbildung oder in eine selbständige Tätigkeit gezählt wurden. Jeder braucht sich nur die offiziellen Arbeitslosenzahlen anschauen und sieht: Bei so einem Tempo würde es keine drei Jahre dauern, und in Deutschland gäbe es nicht nur Vollbeschäftigung, sondern auch einen echten Arbeitskräftemangel. Wir müssten wie in den 1960er Jahren Arbeitskräfte importieren.

Zahlen können so schön trügerisch sein. In diesem Fall waren sie sogar rückläufig: Denn es waren 11,1 Prozent weniger als die 1,271 Millionen “Integrationen” im Vorjahr 2011. Die sogenannte “Integrationsquote” (K2), die “Integrationen” in Bezug zum durchschnittlichen Bestand der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in den 12 Vormonaten, sank im Bundesdurchschnitt von 27,4 Prozent in 2011 auf 25,4 Prozent in 2012, die der Männer (K2_M) von 34,7 auf 30,9 Prozent, die der Frauen (K2_F) von 20,4 auf 20,2.

Paul M. Schröder: “Der Aussagegehalt der Kennzahl K2 (‘Integrationsquote’) und der dieser Kennzahl zugrunde liegenden Jahressumme der ‘Integrationen’ wird nicht selten falsch und irreführend dargestellt.”

Denn in der Regel steht auch der statistische Hinweis da: “Die Kennzahl gibt … nicht wieder, wie viele verschiedene Personen im vergangenen Jahr in ein Beschäftigungsverhältnis integriert wurden, sondern die Anzahl der Integrationen bezogen auf den durchschnittlichen Bestand an erwerbsfähigen Leistungsberechtigten.”

Und aus der Rechtsverordnung zur Festlegung der Kennzahlen nach § 48a SGB II zitiert Schröder: “Für jeden Bezugsmonat wird für einen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten nur eine Integration gezählt.” Und daraus folgt: “Deshalb ist es denkbar, dass – statistisch betrachtet – ein und dieselbe Person bis zu zwölf Mal pro Jahr in ein Beschäftigungsverhältnis integriert wird.”

Und auch die folgenden Hinweise der Statistik der Bundesagentur für Arbeit würden häufig vergessen, so Schröder: “Eine Integration in ein Beschäftigungsverhältnis oder eine Ausbildung oder in eine selbstständige Erwerbstätigkeit muss nicht zwangsläufig einen Abgang aus der Hilfebedürftigkeit zur Folge haben, da möglicherweise nicht unmittelbar oder kein bedarfsdeckendes Einkommen erzielt werden kann.” Und: “Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Kennzahl nicht abbildet, wie viele erwerbsfähige Leistungsberechtigte dauerhaft in ein Beschäftigungsverhältnis oder selbstständige Erwerbstätigkeit integriert wurden.”

Und nicht abgebildet werde auch, so Schröder, ob die Beschäftigungsverhältnisse der Qualifikation der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten entsprechen, die Arbeitszeit und die Höhe des Arbeitsentgelts. An gleicher Stelle heiße es im Widerspruch zu den zitierten statistischen Hinweisen: “Es werden ausschließlich solche Integrationen in Erwerbstätigkeit erfasst, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass Hilfebedürftigkeit auch längerfristig überwunden werden kann.”

Paul M. Schröder: “Dies trifft offensichtlich nicht zu.” Denn siehe oben: Die Arbeitslosigkeit müsste hinschmelzen wie Eis an der Sonne. Die “Integration” ist nur in den seltensten Fällen eine wirkliche Befreiung aus der Bedürftigkeit.

Schröder: “Eine Gleichsetzung von ‘Integrationen’ mit ‘Vermittlungen’ im Sinne der amtlichen Statistik oder gar mit ‘Vermittlungen von Arbeitslosen’ ist jedoch absolut falsch, wie ein Blick in die Eingliederungsbilanz des Jahres 2011 zeigt, und zudem geschichtsvergessen.” Dabei bezieht sich Schröder auf den “Statistikskandal” von 2001/2002, der dann auch zur Einsetzung der Hartz-Kommission führte.

Schröder zitiert dazu extra den ersten Satz des Auftrags der Kommission “Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt” vom 22. Februar 2002: “Das Vertrauen in die Bundesanstalt für Arbeit ist durch die aufgedeckten Fehler bei ihren Arbeitsvermittlungen schwer beschädigt.”Es ist schon erstaunlich, dass sich an der Intransparenz seitdem so wenig geändert hat. Als würde auf politischer Ebene nicht einmal begriffen, dass ein ehrlicher Umgang mit Arbeitslosigkeit und den wirklichen Integrationen in den Arbeitsmarkt auch Vertrauen in eine Institution zurückgewonnen werden könnte, die dieses Vertrauen durch die “Hartz-Reform” erst recht massiv verspielt hat.

Tatsächlich wurden laut Eingliederungsbilanz gemäß § 54 SGB II 2011 von den Jobcentern insgesamt nur 140.403 “Abgänge (von Arbeitslosen im Rechtskreis SGB II) in Beschäftigung durch Vermittlung (nur ungefördert)” gezählt – bei insgesamt 1,271 Millionen gezählten “Integrationen” im Sinne des “Kennzahlenvergleichs” gemäß § 48a SGB II.

Da scheint es eher nebensächlich, wenn dann für das Jobcenter Leipzig ein Absinken der “Integrationsquote” – die Schröder richtiger als “Integrationenquote” bezeichnet – von 24,8 auf 22 Prozent verzeichnet wird. Was eben nicht heißt, dass 22 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten so eine “Integrationsmaßnahme” bekommen haben. Das hätte ja bei rund 54.000 erwerbsfähigen Leistungsberechtigten rund 10.000 Integrationen bedeutet. Tatsächlich gab es nur 4.461 “Integrationen” im Jobcenter Leipzig. 2011 waren es noch 5.346 gewesen. Was kein Hinweis auf die Aufnahmefähigkeit des Leipziger Arbeitsmarktes ist, sondern darauf, dass einige “Integrationsinstrumente” seit 2011 drastisch zurückgefahren wurden.

Offiziell gesunken ist die Arbeitslosigkeit in Leipzig 2012 von 30.141 auf 28.663. Was aber auch nicht bedeutet, dass 1.518 Leute zusätzlich in Arbeit kamen, denn ein Teil dieser Betroffenen ging auch schlichtweg in den “Ruhestand”.

Andererseits ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Leipzig 2011 um über 8.000 gestiegen. 2011 werden es deutlich weniger gewesen sein. Der Beschäftigungsaufbau fing also im Wesentlichen den Bevölkerungszuwachs auf.

Aber all die grandiosen “Integrations”-Zahlen zeigen, dass die einstmals für die Hartz-Kommission formulierten Ansprüche nicht aufgehen. Der schon einmal so kläglich gescheiterte Versuch, die Zahlen zu schönen, geht nicht auf. Im Gegenteil: Er verstärkt bei den Betroffenen das Gefühl, verschaukelt zu werden. Darunter leiden auch die Mitarbeiterinnen der Jobcenter. Der Frust ist seit Jahren hoch, das weiß man auch im Jobcenter Leipzig. Nur die eigentlich Verantwortlichen machen immer so weiter und tun so, als könnten schön aufgehübschte Zahlen eine transparente Arbeit ersetzen.

Zum jüngsten Zahlenwerk der des BIAJ: www.biaj.de/images/stories/2013-05-21_k2-integrationen-m-w-jobcenter-2012.pdf

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