Regelmäßig wertet der Leipziger Quartalsbericht auch die Kriminalitätszahlen der Stadt aus. Im aktuellen Quartalsbericht tut das Lars Kreymann mit den Zahlen von 2011 und 2012, die rein statistisch um 6,7 Prozent zugelegt haben. Was aber schon beim zweiten Blick kein rein Leipziger Problem ist, sondern ein sächsisches. Denn der Personalabbau bei der sächsischen Polizei hat Folgen.

Nicht ganz zufällig war das ja auch am 28. November Thema im Landtag. Und während sich die Regierungskoalition gegenseitig lobte für den Erfolg einer blindlings durchgezogenen “Polizeireform”, haute die Opposition dem zuständigen Innenminister Markus Ulbig (CDU) die Zahlen um die Ohren.

Besonders grimmig tat es Rico Gebhardt, Vorsitzender der Linksfraktion im Landtag. “Sachsen ist Spitze, verkünden die Kolleginnen und Kollegen der Koalition und der Staatsregierung regelmäßig. Ja, wir sind Spitze in der Steigerung der Straftaten von 2011 zu 2012. Um 6,3 % haben die angezeigten Delikte zugenommen. Platz 1 in Deutschland. Gratulieren dazu verbietet sich”, schmetterte er vom Rednerpult. Und legte dann noch mit Zahlen nach, was das tatsächlich für Sachsens Bürger und Polizisten bedeutet. “Es ist eine Tatsache, dass rund 2.500 Polizistinnen und Polizisten täglich krankgeschrieben oder nur bedingt diensttauglich sind. Das bedeutet, die Personalstärke eines gesamten Polizeipräsidiums steht Ihnen nicht zur Verfügung.

Es ist eine Tatsache, dass der Krankenstand und der Anteile derer, die nur noch bedingt dienstfähig sind, im selben Maße steigt, wie Sie in unverantwortlicher Weise Personal abbauen. Die Krankentage sind von 2005 von 22,5 Tage auf 30,4 Tage im Jahr 2012 gestiegen.

Es ist eine Tatsache, dass in großer Mehrheit die von Ihnen propagierten Bürgerpolizistinnen und -polizisten die Diensteinheiten in den Revieren auffüllen müssen und eben nicht vor Ort auf der Straße bei den Menschen sind.

Doch nicht nur die Menschen leiden Not, sondern auch die Technik.

Es ist eine Tatsache, dass die Probleme beim BOS-Funk nach wie vor nicht gelöst sind. Durch Netzüberlastung und fehlende Funkmasten, z.B. in der Sächsischen Schweiz, ist die flächendeckende Nutzung ab 2014 immer noch nicht sichergestellt.

Es ist eine Tatsache, dass die Bereitschaftspolizei, an deren Struktur Sie ja derzeit erneut ‘rumbasteln’, anders kann man das nicht nennen, in immer mehr Fällen ‘artfremd’ eingesetzt wird und zur Lückenauffüllung der fehlenden Personalstrukturen dient. (…) Und es ist eine Tatsache, um ein letztes Thema anzureißen, dass Sie sich auch weiterhin einer Interventionszeitenregelung, die durchaus deliktspezifisch sein könnte, aus Gründen des Personalmangels verweigern.”

Die Rede ist noch viel länger und schöner. Wenn man ein derart offenen Auges produziertes Staatsversagen als schön bezeichnen kann. Einer Überprüfung dieser “Polizei.Reform.2020”, wie sie jetzt auch Leipzigs Polizeipräsident Bernd Merbitz mehrfach gefordert hat, verweigert sich der Innenminister bislang. Die Folgen sind natürlich zunehmende Kriminalitätszahlen. Sachsenweit die von Gebhardt genannten 6,3 Prozent, in Dresden ging es um 3,3 Prozent rauf, in Leipzig um 6,7 Prozent und in Chemnitz sogar um 13,7 Prozent. Leipzig hat mit der so genannten Häufigkeitszahl von 12.985 Fällen auf 100.000 Einwohner mittlerweile Hamburg überholt (rangiert aber weiter deutlich hinter den Messestädten Berlin, Frankfurt, Köln).Was aber auch mit Leipzigs starker Rolle als Messe- und Veranstaltungsstadt zu tun hat. Nicht ohne Grund stechen die Leipziger City mit einer Häufigkeitszahl von 237.269, Zentrum-Ost mit 55.587, Zentrum-Nord (Zoo) mit 43.139 und Seehausen (Neue Messe) mit 28.532 heraus. Denn die häufigste Kriminalitätsart in Leipzig ist typischerweise der Diebstahl. Und geklaut wird traditionell dort am häufigsten, wo sich die meisten Menschen drängen. Auf dem Weihnachtsmarkt zum Beispiel.

Aber zugenommen hat auch die Beschaffungskriminalität außerhalb dieser Veranstaltungszentren. Dabei nahmen die Autodiebstähle ab, dafür legten die Diebstähle von Fahrrädern und aus Wohnungen zu. Der Blick auf die Leipzig-Karte zeigt, dass die registrierten Straftaten auch in jenen Ortsteilen überdurchschnittlich sind, die besonders mit sozialen Problemen zu kämpfen haben. Auch dort spielt Diebstahl die Hauptrolle, was in gewisser Weise auch von der prekären Situation der Täter erzählt. Was dann erhöhte Anzeigen-Zahlen etwa in Volkmarsdorf, Lindenau, Altlindenau oder Neustadt-Neuschönefeld ergibt.

Was nicht ausschließt, dass auch in eher gediegenen Ortsteilen einige Straftaten deutlich zugelegt haben – in Holzhausen zum Beispiel, wo ein Anstieg um 65 Prozent verzeichnet wurde. Aber das von einem sehr niedrigen Straftatenlevel. In Großzschocher gab es dafür einen satten Rückgang um 51 Prozent, was die dortige Häufigkeitszahl wieder normalisierte. Dabei darf man auch nicht vergessen, dass auch solche Dinge wie Sachbeschädigung dazu gehören – manchmal fallen dann Fallzahlen schon rapide, wenn einzelnen Tätern vorläufig das Handwerk gelegt wurde.

Gewaltstraftaten bilden traditionell nur einen geringen Anteil an allen Straftaten. Gegenüber 2011 gingen sie sogar um 1 Prozent zurück. Aber zumindest beachtenswert ist der Anstieg von Vergewaltigung und sexueller Nötigung um 6,5 Prozent. Wobei zu beachten ist, dass gerade in diesem Konfliktfeld das Anzeigeverhalten eine besondere Rolle spielt. Eine starke gesellschaftliche Aufmerksamkeit für ein solches Thema kann auch die Anzeigebereitschaft deutlich erhöhen.

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2012 spielte das Treiben einer so genannten “Kinderbande” eine wichtige Rolle in Leipzigs Medien. Was ist dran? Wird Leipzig nun verstärkt von Kinder- und Jugendbanden geplagt? – Wohl eher nicht. Mit einem Kinder-Anteil von 3,6 % an allen Strafverdächtigen ist Leipzig tatsächlich typischer Durchschnitt, bei Jugendlichen und Heranwachsenden steht Leipzig sogar unterdurchschnittlich da. Was dann logischerweise den Anteil der Erwachsenen als überdurchschnittlich erscheinen lässt. Und das deutet wieder auf die nicht ganz unwichtige Rolle der prekären finanziellen Situation bei einigen erwachsenen Leipzigern hin.

Was die Kriminalitätsstatistik natürlich nicht zeigt: Wie sehr hat dieser Faktor und die mögliche Beschaffungskriminalität zum Beispiel mit den Sanktionen des Jobcenters zu tun? Das wäre eine eigene Studie wert, die man freilich von der Polizei bei ihrem immer klammeren Personalbestand nicht erwarten kann.

Ein gewisses Sensorium dafür aber könnte man so langsam von Leipzigs Verwaltungsakteuren erwarten. Jede Bürgerumfrage bestätigt, wie sehr die meisten Leipziger mit ihrem Einkommen haushalten müssen. Bei etlichen fragt man sich natürlich, wie sie das schaffen, ohne kriminell zu werden. Es ist ein kleiner Blick in das diffuse Bodenmyzel der Großstadt Leipzig, die sich so gern mit Federn schmückt, die sie nicht bezahlt hat. Und da wären wir bei dem, was man so gern die Kultur- und Kreativwirtschaft nennt.

Morgen mehr dazu an dieser Stelle.

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