Leipzig ist eine zweigeteilte Stadt - eine Stadt der Gewinner einerseits, die an den Einkommenssteigerungen der letzten Jahre immer partizipiert haben und sich auch Mieten leisten können, wie sie mit 6,50 Euro je Quadratmeter aufwärts auch in westlichen Großstädten eher normal sind - und auf der anderen Seite der größere Teil, der entweder ganz auf Unterstützung durch Sozialtransfers angewiesen ist oder Teil jener Stadtgesellschaft, für die Niedriglöhne Alltag sind.

Das Thema ist im Prinzip für alle Städte und Kreise der Bundesrepublik eines. In den Kurzinformationen gleich vorn im neuen Quartalsbericht der Stadt geht das Amt für Statistik und Wahlen kurz auf eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg ein. Das ist eine Institution der Arbeitsagentur und beschäftigt sich auch mit all den Phänomenen, die in den Arbeitsmarktberichten sonst nicht auftauchen.

Unter anderem auch, weil das Zahlenmaterial dafür zum Teil ein bisschen angejahrt ist. In diesem Fall stammen die Zahlen aus dem Jahr 2009. Im Quartalsbericht fand die Studie zu den Niedriglöhnen in Deutschland deshalb Aufnahme, weil sie am 8. Juli erst publiziert wurde. Dabei haben die Autoren der Studie zwei Dinge untersucht – zum einen den Niedriglohnanteil in den Kreisen. Das sagt schon einiges aus darüber, wie gut es den Kommunen geht – oder wie schlecht. Das Ergebnis ist entsprechend: Unübersehbar leuchtet der gesamte Osten in sattem Rot und Orange. Während in den meisten Kreisen der westlichen Republik der Anteil der Niedriglohnempfänger zwischen 10 und 20, da und dort auch um die 25 Prozent liegt, kommen Kommunen im Osten der Republik auf Werte von 24 Prozent aufwärts. 30 oder 40 Prozent sind sogar die Regel, einige Kreise kommen sogar auf über 50 Prozent. Der Spitzenwert von 64 Prozent liegt ebenfalls im Osten.

Normalerweise sind das die Zahlen, mit denen auch die bundesdeutsche Politik arbeiten muss, wenn sie über die Transfers innerhalb der Republik diskutiert. Denn das Einkommensniveau, das hier abgebildet ist, bestimmt zwangsläufig auch das Niveau des Steueraufkommens – und damit die Finanzkraft der Länder. Der Osten ist ja nicht deshalb Transfergebiet für den innerdeutschen Solidarausgleich, weil die ganzen Leute hier wie sehnsüchtig auf die Ankunft der Deutschen Einheit warten, sondern weil sie nach wie vor Einkommen erzielen, die nur 80 Prozent der Einkommen West betragen, und die Länder entsprechend wenige Steuern einnehmen. Der Solidarpakt gleicht ja nicht die Einkommen aus, sondern die Finanzmittel der Länder.

Unter den Großstädten, die das IAB gesondert ausgewertet hat, tauchen nur drei ostdeutsche Großstädte auf. Sie haben alle drei deutlich höhere Anteile an Niedriglohnbeziehern als etwa München (14,2 Prozent) oder Hamburg (18,0 Prozent), aber auch deutlich höhere als etwa die Ruhrpott-Städte Dortmund (16,2 Prozent) oder Essen (14,6 Prozent). Berlin liegt mit 28,7 Prozent schon deutlich drüber, Dresden mit 32,8 Prozent und Leipzig mit 35,4 Prozent noch deutlicher.

Der Blick auf die Deutschlandkarte zeigt aber auch, dass die ostdeutschen Großstädte mit solchen Werten sogar noch positiv aus den noch wesentlich dunkleren Bereichen der östlichen Landkreise herausragen. Die meisten Landkreise Sachsens kommen auf Werte zwischen 39 und 46 Prozent, einige im Erzgebirge und in der Lausitz liegen sogar noch deutlich drüber.
Die IAB-Autoren haben aber auch noch kleinteiliger analysiert und die Spreizung innerhalb der Großstädte betrachtet. Und da sind wir bei einem der Wörter, die Leipzigs Stadtspitze bislang meidet wie der Teufel das Weihwasser. Segregation heißt es.

Wenn, dann gesteht Leipzigs Verwaltung so ein bisschen beginnende Segregation, also Entmischung der sozialen Schichten in eigenen Ortsteilen zu. Meist denkt man dann an die armen Teufel in der Ostvorstadt. Aber damit würde man die Sache falsch herum denken. Zwar werden Haushalte mit niedrigen Einkünften verdrängt, wenn Viertel aufgewertet und teurer werden. Aber den Anfang mit der Entmischung machen nicht die armen, sondern die reicheren Stadtbewohner. Oft ganz unbewusst. Sie haben einfach das flüssige Geld, um sich Wohnen in attraktiveren Stadtvierteln leisten zu können. Das sind oft ganz klassische Adressen, gern mit viel Grün, mit Villenanteil, Nähe zu Wasser und Parks, ruhig, aber dennoch zentral, möglichst weit weg von Hauptverkehrsstraßen und gern auch nobel.

Ihre Wohnviertel werden dann das, was ein Beitrag im Quartalsbericht als “Mittelschichtinseln” beschreibt. Hier gehen Haushalte, die eh schon knapp leben, gar nicht erst auf Wohnungssuche, weil sie sich die Preise gar nicht (mehr) leisten können. So herum beginnt dann der Segregationsprozess. Die Bewohner mit den schlechten Löhnen, die Niedriglöhner, landen dann fast zwangsläufig in Vierteln, in denen das Mietniveau deutlich niedriger ist. Und da sind sie dann ganz unverhoffter- und auch unverschuldeterweise “unter sich”.

Die IAB-Autoren haben nun zumindest für die Großstädte einen Segregationsindex ausgerechnet. Dazu haben sie diesmal den Medianlohn in den einzelnen Städten zur Grundlage genommen und auf die Ortsteile heruntergebrochen. Wenn der Medianlohn überall gleich ist, ergibt sich auf einer Skala von 0 bis 100 der Wert 0. Die Stadt ist nicht entmischt, Finanziell starke Haushalte leben überall genauso verteilt wie die ärmeren Haushalte.

Je größer die Abweichung von 0 ist, umso größer ist die innerhalb der Stadt existierende Segregation. Für Leipzig haben die IAB-Autoren zwar keine extra Karte gemalt. Aber der Wert spricht für sich. Mit 19,3 hat Leipzig schon im Jahr 2009 eine höhere Segregationsziffer als jene Städte, die in letzter Zeit häufiger Thema für Gentrifizierungs-Debatten waren. Berlin kommt nur auf einen Wert von 18,4, Hamburg auf 18,0 und München auf 14,2. Nur die Bankenstadt Frankfurt hat mit 20 einen höheren Wert.

Dresden liegt bei 17,2. Womit dann auch ein anderer Trugschluss vom Tisch wäre: Dass Städte mit einem sowieso schon geringeren Einkommensniveau auch eine geringere soziale Spreizung innerhalb der Stadt haben. Für Leipzig stimmt das eindeutig nicht. Man versteckt das nur ein bisschen – vielleicht aus Scham.

Das Einzige, was die Lage in Leipzig bislang entspannt hat, war der große Leerstandspuffer, der Menschen mit kargen Einkünften immer noch Raum zum Ausweichen ließ. Sie waren auch nicht gezwungen nach Grünau zu ziehen oder irgendwo an laute Hauptstraßen. Aber das war 2009. Seitdem ist Leipzig um über 30.000 Einwohner gewachsen. Und natürlich sind es zuerst jene, die “weichen müssen”, die sich zu Wort melden und um Hilfe rufen. Und weichen müssen sie zuerst aus jenen Vierteln, wo sie vor 10 und 15 Jahren die Pioniere waren, die erst einmal die ersten Entwicklungen angestoßen haben, so dass die Viertel auch für betuchtere Mieter attraktiv wurden. Mit den oben geschilderten Effekten.

Die Viertel der Reichen haben sich längst etabliert. Mittlerweile gehören das Waldstraßenviertel, Teile des Musikviertels, der West- und der Südvorstadt dazu. Es sind nicht immer komplette Ortsteile, oft nur Straßenzüge, die wieder zum bevorzugten Wohnort der Besserverdienenden werden – wie die Bebelstraße im Süden. Deswegen werden die wachsenden Unterschiede oft auch nicht sichtbar, wenn Leipzigs Statistiker die Karten malen zu Arbeitslosen, Hartz-IV-Empfängern und so weiter. Dennoch verraten diese Karten schon einiges über die fortschreitende Entmischung Leipzigs.

Dazu morgen mehr an dieser Stelle.

Der Statistische Quartalsbericht II / 2014 ist im Internet unter http://statistik.leipzig.de unter “Veröffentlichungen” einzusehen. Er kann zudem für sieben Euro (bei Versand zuzüglich Versandkosten) im Amt für Statistik und Wahlen erworben werden.

Postbezug: Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen, 04092 Leipzig

Direktbezug: Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen, Burgplatz 1, Stadthaus, Zimmer 228

Zur Studie des IAB zum Niedriglohn:
http://www.iab.de/194/section.aspx/Publikation/k140626j03

Direkt zur Studie:
http://doku.iab.de/kurzber/2014/kb1214.pdf

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