Eigentlich sollte man im Herbst 2014 nicht mehr wirklich erklären müssen, was für ein Unfug es ist, ein Jobcenter über "Leistungsziele" zu steuern. Aber irgendwie müssen wir es doch. Immer und immer wieder. Bis irgendwann auch bei den Stadträten, die die halbjährlichen Auswertungsberichte des Jobcenters Leipzig abnicken, der Groschen fällt: Der Bericht suggeriert eine Steuerfähigkeit, die die zum Jobcenter umfunktionierte Behörde einfach nicht hat.

Was seine Ursachen im fehlenden bzw. nicht funktionierenden Instrumentarium hat. Der Versuch, den bürokratischen Moloch über die verursachten Kosten oder die Zahl der existierenden Bedürftigen zu steuern, muss scheitern. Es sei denn, man setzt stillschweigend voraus, dass die Mitarbeiter des Jobcenters eifrig sanktionieren und die Statistik bereinigen, damit die Bundesarbeitsministerin und der Leipziger Wirtschaftsbürgermeister sich freuen.

Das Leipziger Wirtschaftsdezernat legt jetzt wieder den üblichen Halbjahresbericht des Jobcenters Leipzig zur Kenntnisnahme im Stadtrat vor. Er ist nicht besser oder schlechter als der letzte aus dem Frühjahr. Da, wo man einfach ein paar Maßnahmen organisiert und die Leute dazu verdonnert, gelingt die “Zielerreichung” in der Regel, auch wenn das erreichte Ziel den Betroffenen nichts nützt.

Und wo es um eine wirkliche Reduktion der Bedürftigkeit geht, versagt die ganze Steuerei. Auch wenn man sich seit Ursula von der Leyens wilden Tagen gegenseitig immer wieder beschwört, dass eine Vermittlung der Betroffenen in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung das allerallerbeste wäre, um die Bedürftigkeit zu beenden. Das klappt aber in der Regel nicht. Auch da nicht, wo das Jobcenter nun mit breiter Brust verkündet, bei Integrationen habe man die Quote erfüllt und werde das Ziel erreichen. Das klingt wie ein Erfolg. Aber dass “Integration” im Definitionsreich der Arbeitsagentur eine Schimäre ist, haben wir ja mit schönen Zahlen aus dem Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe e.V. (BIAJ) schon einmal schön erläutert. Das tun wir an dieser Stelle nicht noch einmal. Wir äußern nur zaghaft den Wunsch, dieses “Qualitätsmerkmal” möge recht bald aus dem Selbstbeweihräucherungskanon der Jobcenter verschwinden. Es besagt nichts und gibt trügerische Sicherheit, wo keine ist.

Es gibt ein paar harte Fakten, an denen sich Integrationspolitik wirklich messen lassen muss. Sie sind alle drei mit “Ziel nicht erreicht” bewertet.

Das erste sind die Leistungen für Unterkunft und Heizung, zu zahlen an alle Bedürftigen, die in der Betreuung des Jobcenters gelandet sind.

“Das Ziel zur Begrenzung der Ausgaben für Leistungen zur Unterkunft und Heizung (LUH) wird zum Halbjahreszeitpunkt nicht erreicht”, heißt es im Bericht des Jobcenters. “Einer der Gründe liegt in der Verfehlung der Zielvorgabe zur Verringerung der Anzahl Bedarfsgemeinschaften mit LUH- Anspruch. Trotz sehr guter Integrationsergebnisse, ist es nicht gelungen, die Zielvorgabe zu erreichen. Einer der Gründe liegt darin, dass eine erfolgreiche Integration nicht zwangsläufig zur Beendigung des SGB II-Leistungsanspruches führt (geringer Verdienst deckt nicht den Bedarf zum Lebensunterhalt).” Eine verblüffende Erkenntnis aus dem Jobcenter Leipzig. Womit den Leipziger Stadträten noch einmal vorsichtig zur Mahnung mitgegeben ist: Nicht jeder Leipziger, der gezwungen ist, zum Jobcenter zu gehen, ist erwerbslos. Viele haben einen dieser tollen neuen Jobs, die die Statistik bereinigen, aber zum Leben nicht reichen.

“Ein weiterer Grund liegt in der Erhöhung der Regelleistung (2014) und der anerkannten Kosten für Unterkunft und Heizung (seit 2012), die dazu führt, dass zusätzliche Haushalte mit Niedrigeinkommen erstmals Anspruch auf SGB II-Leistungen erlangen”, erklärt das Jobcenter noch – und stellt eine wichtige Tatsache aus seiner verqueren Sicht auf den Kopf. Die Regelleistung und die Kosten der Unterkunft wurden schlicht der existierenden Inflation angepasst – so wie die Löhne der Jobcenter-Mitarbeiterinnen auch, wenn auch auf viel niedrigerem Level. Manchmal scheint man in bürokratischen Höhen zu glauben, unten bei den Leistungsempfängern würden die Kosten einfach nicht steigen, nur oben, bei unseren berühmten Leistungsträgern.Und dieses Ziel stand nicht nur von der Bundesarbeitslosenministerin vorgegeben im Plan, die Stadt Leipzig hat es sich auch gewünscht, denn die Kosten der Unterkunft landen alle bei ihr auf dem Tisch. Aber logisch, auch dieses beliebte “Ziel 1” der Stadt Leipzig wurde zum Halbjahr 2014 – trotz sinkender Arbeitslosenzahlen – nicht erreicht.

“Der Erwartungswert wird nicht erreicht”, berichtet also das Jobcenter. “Der Zielwert bemisst sich an den kumulierten Ausgaben 2014 für die Leistungen für Unterkunft und Heizung (LUH). Zum Halbjahr sollten die Leistung für Unterkunft und Heizung (LUH) den Betrag von 73,269 Millionen Euro nicht überschreiten. Die tatsächlich kumulierten Ausgaben hatten einen Umfang von 75,514 Millionen Euro. Der Zielwert wurde damit um 2,245 Millionen Euro überschritten.”

Was ja damit zu tun hat, dass der berühmte Erste Arbeitsmarkt vor allem qualifizierte und schnell verfügbare Arbeitskräfte braucht. An den Langzeitarbeitslosen oder den Menschen mit Vermittlungsbarrieren geht er auch bei guter Konjunktur fast völlig vorbei. Ergebnis: Auch das zweite Lieblingsziel der Stadt Leipzig wird verfehlt.

Das Jobcenter dazu: “Die Zielüberschreitung hängt eng mit der Zielverfehlung von Ziel 2 (Begrenzung der Anzahl Bedarfsgemeinschaften mit LUH Anspruch im JD) zusammen. Hier wurde von einem deutlichen Rückgang der Anzahl BG ?s gegenüber dem Vorjahr ausgegangen. Allerdings hat sich bereits seit Mitte vorigen Jahres der Rückgang von Bedarfsgemeinschaften (trotz hervorragender Integrationserfolge) verringert. Das Ziel ist die Verringerung der Anzahl BG ?s mit LUH-Anspruch im Jahresdurchschnitt zum Jahresende gegenüber dem Vorjahr um 1.529 auf max. 40.500 (Ist 2013 = 42.029). Die monatlichen Daten stehen erst nach einer Wartezeit von drei Monaten zur Verfügung, so dass bisher nur Daten bis April 2014 vorliegen.”

Weiter heißt es: “In der Betrachtung der bisher vorliegenden Daten und der Entwicklung aller Bedarfsgemeinschaften in diesem Jahr ist zu erkennen, dass sich der Rückgang der SGB II-Leistungsempfänger derzeit (im Vergleich zu den Vorjahren) verringert. Mit Stand April 2014 liegt der gleitende Jahreswert für die Anzahl BG ?s mit LUH Anspruch bei 41.813. Prognose zum Jahresende: Der Erwartungswert wird nicht erreicht. (Das Jobcenter wird alle Anstrengungen unternehmen, um dem Zielwert so nah wie möglich zu kommen).”

Bei der Integration von Jugendlichen (U 25) verheißt das Jobcenter zwar zum Jahresende so eine Art Zielerreichung. Aber wie gesagt: Es betrifft den Windelweichbegriff Integrationsquote, der durch wirklich belastbare Begriffe wie Vermittlung in Ausbildung oder Vermittlung in eine sozialversicherungspflichtige Erwerbsarbeit ersetzt gehört. So lange das nicht passiert, hat man es auch wieder nur mit allerlei Alibi-Kreisläufen zu tun.

“Zum Halbjahr wurde eine Integrationsquote U25 in Höhe von 11,7 % vereinbart. Erreicht wurde eine Quote von 11,6 %. Zur Zielerreichung fehlten 7 Integrationen. Bei Betrachtung der bisherigen Jahresentwicklung ist eine Zielerreichung zum Jahresende zu erwarten. Prognose zur Zielerreichung zum Jahresende: Das Ziel wird erreicht.”

Dann haben die jungen Leute zwar eine Maßnahme, aber eben noch keine Arbeit mit ordentlichem Einkommen.

Dass das Wirtschaftsdezernat angibt, die strategischen Ziele der Stadt (Familie, Arbeit) würden keine Relevanz haben für den Bericht, ist schon putzig. Tatsächlich haben sie nirgendwo mehr Relevanz als hier, denn hier beim (Nicht-)Eintritt ins Berufsleben entscheidet sich endgültig, ob die jungen Leipziger eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben und eine erfolgreiche Familiengründung haben – oder nicht.

Der Halbjahresbericht des Jobcenters Leipzig als PDF zum Download.

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