In der vergangenen Woche hat das Sächsische Landesamt für Statistik zwei Zahlenwerke zur sächsischen Bevölkerungsentwicklung veröffentlicht - ein kleines und ein großes. Das kleine waren die Bevölkerungszahlen vom Mai 2014 - man kommt augenscheinlich mit dem Zählen nicht hinterher. Das andere ist eine Statistik mit Vergleichszahlen zum März, in der eine kleine, zum Nachdenken anregende Zahl steht: 0,0.

Das ist der Prozentwert, um den sich die sächsische Bevölkerung gegenüber dem Vorjahr verändert hat. Und es ist die Zahl, die zeigt, wie absurd alle Kürzungs- und Reformvorhaben der sächsischen Regierung seit 2010 waren und sind. Alle diese Vorhaben beruhen auf der regionalisierten Bevölkerungsprognose von 2011, in der die Entwicklungen von 2009 in die Zukunft fortgeschrieben wurden. Sachsens Statistiker haben sich da wirklich viel Mühe gegeben. Aber sechs Jahre sind nun einmal sechs Jahre, in denen sich eine Menge verändert hat.

Und auch das wissen die Statistiker im Landesamt in Kamenz ganz genau. In diesem Zeitraum liegt nämlich das Jahr 2010, das Jahr, in dem die ersten geburtenschwachen Jahrgänge der Nachwendezeit in der Berufsausbildung und nachfolgend auf dem Arbeitsmarkt auftauchten. Oder eben nicht auftauchten, weil sich die Jahrgänge, die jetzt in den Beruf einstiegen, so ziemlich über Nacht halbiert hatten.

Ein Effekt, den die Rechner in Kamenz 2009 und 2011 nicht wirklich ernst genommen haben. Das merkten die Leipziger Statistiker als allererste: Die für Leipzig berechneten Zahlen stimmten eindeutig nicht – die Bevölkerungszahl schnellte nach oben, und das in einem Tempo, dass man sich fragen musste: Können die in Kamenz nicht rechnen?

Können sie schon. Aber sie hatten sich so daran gewöhnt, dass ganze oder halbe Jahrgänge von Berufseinsteigern aus Sachsen jedes Jahr in den Westen abwanderten, weil es da Jobs und bessere Bezahlung gab, dass sie diese Zahlen einfach fortgeschrieben haben. Bis 2025. Sie haben einfach ignoriert, dass mit den ab 2010 halbierten Jahrgängen in Sachsens Unternehmen auf einmal eine gewaltige Veränderung eintreten würde – die der damalige Leipziger Handwerkskammerpräsident Joachim Dirschka so beschrieb: “Jetzt müssen die Unternehmen den roten Teppich ausrollen für die Bewerber. Und wir können froh sein, wenn sie zu uns kommen.”

Leipzigs Handwerksmeister haben sehr schnell gesehen, was da geschah. Es fiel nur statistisch zwei, drei Jahre nicht so auf, weil noch ein riesiger Berg von Bewerbern aus den Vorjahren abgebaut werden konnte. Aber in der Wanderungsbilanz des Freistaats wurde es schon sichtbar. Die Zahlen der Abwanderung gingen deutlich zurück. Hatten sie zuvor im fünfstelligen Bereich gelegen, wurden sie unübersehbar vierstellig. Klare Zeichen dafür, dass eben nicht mehr 13.000 bis 17.000 junge Sachsen jedes Jahr in die westlichen Bundesländer abwanderten, sondern deutlich weniger. Und zwar Jahr um Jahr deutlich weniger.

Denn ihnen ging es wie ihren Eltern: Abwandern wollten auch sie nur, wenn es in der eigenen Heimat nichts zu finden gab. So wie das seit 1990 gewesen war. Doch die Zeiten sind vorbei. Nicht nur Handwerksmeister suchen händeringend nach geeignetem Ausbildungsnachwuchs. 2013 sank der Bevölkerungsverlust des Freistaats auf 3.819. Schon diese Zahl hätte so manchen in Sachsens Regierung aufhorchen lassen können müssen. Denn tatsächlich bedeutete schon diese Zahl, dass Sachsen zum Zuwanderungsland geworden war. Denn das Minus resultierte ausschließlich aus dem Saldo von Geburten und Sterbefällen – es waren 18.136 Sachsen mehr gestorben als geboren worden waren.

Die Zahlen aus dem März 2014 zeigen nun, dass die Zuwanderung mittlerweile so groß geworden ist (auch aus den westlichen Bundesländern), dass das Geburtendefizit komplett ausgeglichen wird. Das steckt in der 0,0. Die tatsächlich sogar ein Rundungswert ist, denn tatsächlich verzeichnete Sachsen im März 2014 gegenüber dem März 2013 sogar ein Bevölkerungswachstum: um 505 Personen. Sachsen wächst wieder.

Das liegt freilich nicht am fröhlichen Kinderkriegen der Sachsen. Eine Nation wächst nur, wenn Menschen Kinder bekommen – und zwar viele. An dieser Zahl hat sich jedoch nichts geändert, die Geburtenziffer liegt immer noch bei 1,4 (Kindern pro Frau). Bei 2,1 müsste sie liegen, damit aus dem Defizit gegenüber den Sterbefällen ein Ausgleich würde. Aber Geburtenzahlen haben ja – auch darüber haben wir oft geschrieben – eine Menge mit Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten zu tun. Und mit der Offenheit einer Gesellschaft für Kinder und Familien. Da ist Sachsen noch lange nicht.

Warum wächst Sachsen aber wieder?

Weil die Zuwanderung aus dem Ausland hoch bleibt. Wären die Sachsen mit sich allein, stünde ein Bevölkerungsverlust unterm Strich: ein Minus von 10.479 für die Zeit von März 2013 bis 2014. Das Plus entstand, weil gleichzeitig die Zahl der Ausländer in Sachsen anstieg – um 10.987. Da kann man sich jetzt wie die Pegida-Anhänger fürchten, das Vaterland in Gefahr sehen und sich mit einem Plakat auf die Straße stellen. Man kann damit aber auch eine positive Politik machen, denn das sind fast alles junge, zum Teil gut ausgebildete Menschen, die in vielen Fällen den großen Wunsch haben, sich in Sachsen eine Existenz und eine Berufskarriere aufzubauen. Und zumindest in der sächsischen Wirtschaft hat man inzwischen begriffen, dass man diese Leute dringend braucht. Sonst müssen nämlich etliche Unternehmen einfach dicht machen, weil ihnen schlicht die Arbeitskräfte ausgehen.

Eine kluge Regierung entwickelt dafür funktionierende Integrations- und Qualifikationsprogramme und nutzt die Chancen, die mit der derzeitigen stabilen wirtschaftlichen Entwicklung in Sachsen verbunden sind.

Dass es vor allem die Großstädte sind, die diese Entwicklung tragen, auch das ist aus der Statistik herauszulesen. Sie sind im Grunde dreifacher Entwicklungsmotor: bei der Integration der Ausländer, als Zufluchtsort für tausende junge Sachsen aus den ländlichen Räumen, die ihr Heil in der funktionierenden Metropole suchen, und als Hochschulzentrum, was die Zuwanderung kluger junger Leute auch aus anderen Bundesländern vorantreibt.

Die Leipziger Zahlen

Leipzig wuchs von März 2013 bis März 2014 übrigens um 11.763 Personen, während die beiden angrenzenden Landkreise zusammen 2.211 Einwohner verloren. In Dresden wuchs die Bevölkerung um 5.801 Personen, in Chemnitz um 900. Alles drängt in die drei Großstädte.

533.480 Einwohner hatte Leipzig im März 2014, im Mai waren es dann schon 534.941. Eine jüngere Zahl gibt es leider noch nicht. Und wer glaubt, dass die 0,0 aus dem März vielleicht eine Eintagsfliege war, der irrt. Von  4.044.537 Einwohnern wuchs Sachsen vom März bis zum Mai 2014 auf 4.044.785. Wieder ein kleines Plus von 248 binnen zwei Monaten. Da muss sich eine Menge umstellen in der sächsischen Politik.

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Keine Kommentare bisher

Tolle Sache, das mit der Zuwanderung. Wirklich.
Wenn jetzt noch entsprechende Wohnungsbauprogramme seitens der Politik auf den Weg gebracht werden, wird es richtig gut.

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