Natürlich ist die Zahl fiktiv. 15 Kilometer beträgt der durchschnittliche Weg der Leipziger von zu Hause zur Arbeit. Aber Andrea Schultz aus dem Amt für Statistik und Wahlen der Stadt Leipzig wollte es unbedingt einmal wissen und hat die Daten aus der "Bürgerumfrage 2013" ausgewertet. Immerhin gab's ja mal wieder was zu überbieten: 12 Kilometer aus einer Auswertung des Landes Baden-Württemberg.

Das hat 2008 mal die Daten für alle Großstädte in Baden-Württemberg ausgewertet. Was insofern interessant ist, als dass in modernen Wirtschaftsräumen nun einmal starke Verflechtungen bestehen. Man wohnt immer seltener genau da, wo auch die “Fabrik” steht, in der man arbeitet. Das war vor 100 Jahren mal so, als die Plagwitzer in Plagwitzer Fabriken malochten, die Leutzscher in Leutzscher Fabriken und die Malocher aus dem Leipziger Osten oft genug in den Druckerpressen des Grafischen Viertels. Man ging zu Fuß zur Arbeit oder fuhr mit dem Fahrrad. Straßenbahnfahrten waren – gemessen am Lohn – teurer als heute, Autos tatsächlich ein Luxus.

Das ist jetzt anders. Wer einen Arbeitsplatz findet, der mit Auto, Bus, Straßenbahn oder S-Bahn gut zu erreichen ist, der nimmt auch ein paar Kilometer Fahrstrecke auf sich. Jeden Tag. Und die Pendlerzahlen verraten es ja auch: Die Leipziger haben zwar zu 73 Prozent ihren Arbeitsplatz innerhalb des Stadtgebietes – aber das Stadtgebiet ist groß. Selbst BMW, Messe, VNG liegen drin. Aber selbst wer in den peripheren Ortsteilen wohnt, muss oft genug dutzende Kilometer fahren jeden Tag, wenn er zum Beispiel in der Innenstadt arbeitet – dort liegen immerhin 12 Prozent der täglichen Fahrtziele. Man sieht es diesem kleinen Stadtzentrum gar nicht an – aber hier ist eine der wichtigsten Leipziger Jobmaschinen zu finden.

Keine Überraschung: Je länger der tägliche Arbeitsweg ist, umso höher ist in der Regel auch das persönliche Einkommen. Denn nur wer genug Geld verdient, kann sich auch alle drei Dinge leisten: einen schönen Job, eine tolle Lage der Wohnung und auch noch die täglichen Fahrten hin und her.

Natürlich ist das nur eingeschränkt so einfach zu sagen. Am weitesten fahren im Durchschnitt Vor- und Facharbeiter/innen – also all die Leute, die heute mit einer guten Fachqualifikation gefragt sind. Sie kommen auf 35 Kilometer Arbeitsweg am Tag.

Kleine Einschränkung: Es sind nur die Leipziger Facharbeiter, die hier erfasst sind und zur Arbeit bis nach Leuna oder Halle fahren.

Nächste Einschränkung: Es ist auch nur der Durchschnitt.

5 Prozent aller befragten Leipziger haben tägliche Arbeitswege von mehr als 80 Kilometer Länge, 45 Prozent haben nicht einmal 5 Kilometer Weg.

Bis 15 Kilometer, so nimmt Andrea Schultz an, liegen Wohn- und Arbeitsort in der Regel beide noch im Stadtgebiet. Männer fahren im Schnitt weiter als Frauen – 21 zu 9 Kilometer ist das Verhältnis. Aber die Statistik macht auch sichtbar, dass die meisten Arbeitsstellen in und um Leipzig eben mit dem ÖPNV doch nicht einfach zu erreichen sind. 51 Prozent der Erwerbstätigen fahren deshalb mit dem Auto zur Arbeit, 23 Prozent mit ÖPNV, 18 Prozent mit dem Fahrrad.

Warum sie das Auto nehmen, macht die Auswertung von Andrea Schultz sichtbar: Arbeitswege mit Auto sind im Schnitt 20 Kilometer lang. Was natürlich heißt: Die Leute wohnen in der Stadt und fahren zur Arbeit raus in die geschäftige Peripherie.

Während Arbeitswege mit Straßenbahn und Bus im Schnitt nur 6 Kilometer lang sind, mit Fahrrad sogar nur 3 Kilometer. Die Entfernung macht’s also. Und natürlich die Bezahlung. Für ein besseres Gehalt pendelt man auch weiter. Auf 24 Kilometer kommen jene Befragten im Schnitt, die mehr als 2.000 Euro Einkommen haben. Bei 1.400 bis 2.000 Euro sind’s immer noch 16 Kilometer. Aber selbst die Niedriglöhner, die mit 800 Euro abgespeist werden, kommen auf 12 Kilometer.

Eindeutig zeigt die Auswertung aber auch, dass die Leipziger mit sinkender Entfernung deutlich stärker geneigt sind, auf andere Verkehrsmittel zu wechseln. Bei 84 Prozent der Radfahrer beträgt die Entfernung zur Arbeitsstelle weniger als 5 Kilometer. Das trifft aber auch auf 35 Prozent der Autofahrer zu.

Aber da kommt ein Fakt zum Tragen, den Andrea Schultz natürlich aus den Daten nicht herauslesen konnte, denn nur Arbeits- und Wohnort sind verifizierbar, nicht aber all die zusätzlichen Wege, für die man dann oft genug doch das Auto braucht – man denke nur an die heißen Kämpfe um wohnortnahe Kindertagesstätten und Schulen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass in diesen 35 Prozent auch die vielen Leipziger “Elterntaxis” mit drin stecken.

Und es gibt ja unter den Auspendlern auch nicht nur Leipziger, die etwa in Schkeuditz oder Halle arbeiten. Es gibt auch viele, die das Feld “verschiedene Arbeitsorte” angekreuzt haben, deren Job selbst mobil ist und die wohl auch oft genug mit Betriebswagen unterwegs sind. Das waren immerhin 11 Prozent der befragten Erwerbstätigen. Handwerker gehören zum Beispiel hierher. Was dann wieder einen neuen Aspekt des Berufsverkehrs beleuchtet, der so auf einmal zum Wirtschaftsverkehr wird.

Ein ganz heißes Eisen, wie man weiß. Aber die Analyse von Andrea Schultz zeigt auch, wie komplex das Thema ist. Und dass die Leipziger für ihren Job sogar noch ein bisschen mobiler sind als die Schwaben. Was schon ein bisschen überrascht.

Aber andererseits ist Leipzig ja das Herz einer zaghaft keimenden Metropolregion. Wie geht es der überhaupt?

Mehr dazu morgen an dieser Stelle.

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