Was passiert eigentlich in einem Land, in dem Politiker verfangen sind in den neoliberalen Vorstellungen von Wirtschaft? In dem immer wieder Wahlkämpfe mit Steuersenkungsversprechen betrieben werden und den Wählern eingeredet wird, zu viel Bürokratie und Regulation wären schuld daran, dass die Wirtschaft nicht läuft?

Es passiert genau das, was in Deutschland seit zwei Jahren zu beobachten ist: Trotz fehlendem Fachpersonal in vielen Branchen steigen die Arbeitslosenzahlen. Und nun sinkt auch noch die Zahl der Erwerbstätigen, rechnen Sachsens Statistiker vor.

„Im 3. Quartal 2025 gab es rund 2,050 Millionen Erwerbstätige in Sachsen“, meldete das Landesamt für Statistik am Donnerstag, dem 11. Dezember. „Im Vergleich zum Vorjahresquartal verringerte sich ihre Zahl um knapp 17.500 Personen oder 0,8 Prozent. Deutschlandweit war die Erwerbstätigenzahl im Vergleichszeitraum nahezu unverändert.

Die Entwicklung in den westdeutschen Ländern zeigte ebenfalls keine Veränderung. Im Gegensatz dazu verringerte sich die Zahl der Erwerbstätigen in den ostdeutschen Ländern um 0,5 Prozent und Sachsen hatte bundesweit den stärksten absoluten Rückgang.“

Was natürlich nur die Kurzfrist-Betrachtung ist. Die Grafik mit den Zahlen seit 2020 zeigt, dass die Zahlen der Erwerbstätigkeit auf Bundesniveau, in Ostdeutschland und Sachsen die ganze Zeit parallel zueinander liefen. Das Problem ist also kein allein auf Sachsen Beschränktes.

Hier schlägt nur ein Effekt besonders deutlich zu: die starke Überalterung der Gesellschaft. Sachsen verliert nicht nur Arbeitskräfte, weil sie arbeitslos werden. Sondern auch, weil sie sich in den Ruhestand verabschieden. Und zwar zahlreicher, als junger Nachwuchs ins Arbeitsleben eintritt.

Es ist nicht bloß wirtschaftliche Unsicherheit

„Der Rückgang der Erwerbstätigen in Sachsen um 17.500 Personen gegenüber dem Vorjahr ist ein Alarmsignal“, kommentierte am Donnerstag der sächsische DGB-Chef Markus Schlimbach die Zahlen.

„Dass der Rückgang der Erwerbstätigen in Sachsen in absoluten Zahlen bundesweit am höchsten ist, macht den besonderen Handlungsdruck deutlich. Während der Abbau der Beschäftigung in der Industrie steigt, findet der Aufbau der Beschäftigung im Dienstleistungsbereich nicht in dem Maße statt, wie in anderen Bundesländern. Auch die Arbeitsmarktdaten zeigen seit Monaten einen höheren Zugang an Arbeitslosen im Vergleich zu den Abgängen von Arbeitslosen in die Erwerbstätigkeit.

Die wirtschaftliche Unsicherheit ist auf dem Arbeitsmarkt angekommen und schlägt auf die Beschäftigung durch. Das zeigen auch die steigenden Entlassungen in der Industrie. Die Unternehmen und die Beschäftigten brauchen jetzt Sicherheit. Es muss zügig gehandelt werden, um die Industrie zu stabilisieren und Planungssicherheit zu schaffen. Beispielsweise durch die Einführung des beschlossenen Industriestrompreises.“

Man merkt: Auch Gewerkschafter haben die üblichen Bilder in Kopf, wie Wirtschaft funktioniert.

Und die Statistiker legten ja eine Steilvorlage für diese Interpretation hin, als sie analysierten: „Aktuell betrafen die Verluste in Sachsen im Vergleich zum 3. Quartal 2024 alle Personengruppen der Erwerbstätigen. Die Zahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne marginal Beschäftigte verringerte sich um 0,8 Prozent bzw. knapp 14.000 Personen.

Die marginale Beschäftigung (geringfügig entlohnte und kurzfristig Beschäftigte sowie Personen in Arbeitsgelegenheiten) zeigte ein Minus von 1,4 Prozent bzw. 2.300 Personen. Bei den Selbstständigen und mithelfenden Familienangehörigen trat gegenüber dem Vergleichsquartal 2024 ein Rückgang um 0,9 Prozent bzw. 1.500 Personen ein.

Zur Entwicklung der Beschäftigtenzahlen nach Wirtschaftsbereichen. Grafik: Freistaat Sachsen, Statistisches Landesamt
Die Entwicklung der Beschäftigtenzahlen nach Wirtschaftsbereichen. Grafik: Freistaat Sachsen, Statistisches Landesamt

Im 3. Quartal 2025 waren in Sachsen alle Branchen mit Ausnahme der Land- und Forstwirtschaft sowie des Wirtschaftsbereichs öffentliche und sonstige Dienstleistungen einschließlich Erziehung und Gesundheit (+0,5 Prozent) von den Verlusten an Erwerbstätigen betroffen.

Im produzierenden Gewerbe verringerte sich die Zahl der Erwerbstätigen im Vergleich zum Vorjahresquartal um 2,1 Prozent. Innerhalb dieses Bereiches dominierten die Verluste im verarbeitenden Gewerbe in Höhe von 2,8 Prozent bzw. 9.500 Personen. Im Baugewerbe betrug der aktuelle Rückgang 1,3 Prozent.

Innerhalb aller Dienstleistungen fiel der Rückgang im Bereich Grundstücks- und Wohnungswesen, Finanz- und Unternehmensdienstleistungen mit -1,8 Prozent noch stärker aus, als im Bereich Handel, Verkehr, Gastgewerbe, Information und Kommunikation (-0,9 Prozent). Der Arbeitskreis Erwerbstätigenrechnung der Länder präsentiert diese aktuellen Ergebnisse für alle Länder in Deutschland.“

Wenn der Staat knausert

Nur: Liegt das tatsächlich am Produktions- und Exportrückgang der Industrie? Oder machen diese Zahlenspiele einfach blind dafür, dass sich der Staat in Deutschland mittlerweile auf allen drei Ebenen (Bund, Länder und Kommunen) kaputtspart? Seine Investitionen schon seit Jahren zurückgefahren hat?

Und stattdessen über ein lächerliches 500-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm debattiert wird, das sich über zehn Jahre erstreckt und die Einsparungen nicht einmal auffängt?

Sachsen hat im aktuellen Haushalt allein zwei Milliarden Euro gestrichen, die als Investition im Land fehlen. Städte wie Leipzig machen Schulden, obwohl auch sie ihr Investitionsprogramm drastisch zusammengestrichen haben. Weniger Investitionen aber bedeuten nun einmal weniger Geld im Wirtschaftskreislauf. Genau das ist es, was den Unternehmen in allen Branchen fehlt. Und was ihnen die Spielräume nimmt, Personal zu binden, das sie eigentlich dringend brauchen.

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