Am Donnerstag, 8. August, veröffentlichte das Statistische Landesamt die Ergebnisse der repräsentativen Wahlstatistik zur Europawahl. Die liegt ja nun schon ein wenig zurück, dafür steht die Landtagswahl am 1. September vor der Tür. Aber diese Wahlstatistik zeigt auch ein wenig, wie sich das Wahlverhalten der Sachsen in den vergangenen fünf Jahren verändert hat.

Zur Analyse der Wahlergebnisse unter geschlechts- und altersspezifischen Aspekten kam bei der Wahl zum 9. Europäischen Parlament am 26. Mai 2019 in 126 Urnen- und 16 Briefwahlbezirken ein gesondert gekennzeichneter Stimmzettel zur Anwendung, teilt das Statistische Landesamt mit. Folglich ließ sich das Wahlverhalten von rund vier Prozent der Wahlberechtigten in etwas mehr als drei Prozent der Wahlbezirke näher untersuchen.

Auf der Grundlage dieser Stichprobe erfolgte die Hochrechnung für den Freistaat Sachsen.

Dabei zeigt sich unter anderem, dass die Überalterung in Sachsen die Wahlen mittlerweile sehr stark beeinflusst: Ein Viertel der Wahlberechtigten war über 70 Jahre alt und deren Wahlbeteiligung (ohne Briefwahl) lag mit fast 46 Prozent nur knapp unter dem sächsischen Durchschnitt von 50,4 Prozent.

Das ist auch deshalb interessant, weil gerade die ältesten Wähler ihren Parteien auch besonders die Treue halten. Und das betrifft sowohl die CDU, Die Linke als auch die SPD, die von Wählern über 70 Jahre weniger Stimmen erhielten als vor fünf Jahren. Was ja auch heißt: Alle drei Parteien müssen explizit auch Wahlkampf für die Senioren machen. Hier bekommen sie nach wie vor viele der für sie so wichtigen Stimmen.

Was nicht heißt, dass die rechtspopulistische Protestpartei AfD von den Jüngeren gewählt wird. Die holte ein ganzes Wählerspektrum vor allem aus all den Jahrgängen ab, die die 1990er Jahre noch bewusst und zumeist im Arbeitsleben erlebt haben. Das betrifft besonders die Altersgruppen 35 bis 45, 45 bis 60 sowie 60 bis 70 Jahre. Also vor allem Menschen, die die Deindustrialisierung Sachsens im Erwerbsalter miterlebt haben. Was aber nicht heißt, dass sie heute arm, arbeitslos und chancenlos sind. Oft haben sie sogar gut bezahlte und sichere Jobs und fürchten trotzdem (oder gerade deshalb), dass dieser Status im Leben durch neue Krisen und gesellschaftliche Umbrüche gefährdet sein könnte.

Wobei die Europawahl eben auch zeigte, dass 25 Prozent wohl das aktuelle Niveau der AfD bei Wahlen in Sachsen ist. Zur Europawahl waren es 25,3 Prozent. Die höchsten Zuwächse erreichte die AfD mit 19,1 Prozent in der Gruppe der 45- bis 60-Jährigen. Bei den unter 25-Jährigen waren es hingegen nur 4 Prozent. Und die Auswertung zeigt auch, dass es vor allem die CDU ist, mit der die AfD um die Meinungshoheit bei den älteren Arbeitnehmern ringt: Im Vergleich zur Europawahl 2014 verzeichnete die CDU Stimmenverluste von über zehn Prozent bei den unter 60-Jährigen. Und die wanderten in der Regel zur AfD ab.

Die jungen Wähler, die künftig ausbaden müssen, was die Älteren in den vergangenen Jahren angerichtet haben (Stichwort: Klimawandel), bevorzugen freilich Parteien, die sich wirklich mit Lösungen für die brennenden Probleme beschäftigen. So punkteten die Grünen bei der Jugend (18 bis 25 Jahre) mit fast 10 Prozent Stimmenzuwachs.

Und die Europawahl zeigte auch wieder, wie wichtig es ist, dass junge Wähler sich nicht entmutigen lassen und trotz des Übergewichts der Alten zur Wahl gehen. Die Gruppe mit den Erstwählern (18 bis 21 Jahre) umfasste zwar nur zwei Prozent der Wahlberechtigten, aber ihre Wahlbeteiligung war überdurchschnittlich mit 53,5 Prozent.

Die meisten Nichtwähler (18 Prozent) fanden sich übrigens in der Gruppe „Frauen über 70 Jahre“. Folglich verzeichnete man dort die niedrigste Wahlbeteiligung (42,3 Prozent) bei den Urnenwählern, so das Landesamt für Statistik. Den stärksten Gebrauch von ihrem grundgesetzlich verbrieften Recht auf Stimmabgabe (57,2 Prozent) machten Frauen zwischen 45 und 50 Jahren. Was übrigens dazu führte, dass der Stimmenanteil der AfD in dieser Gruppe um 13 Prozent zulegte. Bei den gleichaltrigen Männern waren es freilich sogar 24 Prozent.

Aber Frauen in dieser Altersgruppe wählten auch deutlich mehr Grün (+ 6 Prozent), dafür deutlich weniger CDU, Linke und SPD als beim letzten Mal. Ein Vorgang, der sich auch in anderen Altersgruppen so ähnlich wiederfindet. Er erzählt vom politischen Auseinanderdriften des Freistaats. Denn die Hochburgen der AfD liegen fast sämtlich in den ländlichen Regionen, während die Großstädte stärker zu Hochburgen von Grünen und Linken werden.

Aber am ratlosesten scheinen derzeit ausgerechnet die Senioren zu sein. Mit 48,4 Prozent der ungültigen Stimmen wurden diese zum überwiegenden Teil von Wahlberechtigten über 70 Jahre abgegeben. In etwas mehr als der Hälfte der Fälle wurde dabei ein leerer bzw. durchgestrichener Stimmzettel in die Urne geworfen.

Fällt das Land auseinander oder zeigt sich im Flickenteppich das Ende einer überholten Politikära?

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