Das mit der Demografie hatten die letzten sächsischen Regierungen nicht wirklich auf dem Schirm. Jahrelang fand man sich einfach damit ab, dass die ländlichen Regionen verödeten, die jungen Leute abwanderten und die Einwohnerzahl ständig fiel. Bis 2015. Da wuchs sie wieder, weil tausende Menschen Zuflucht auch in Sachsen fanden. Doch das war ja bekanntlich auch der Zeitpunkt, an dem die grauhaarigen Menschenfeinde begannen, ihr falsches Bild vom „vollen Boot“ zu verbreiten.

Und damit sogar gesellschaftliche Dominanz in wichtigen Debatte erreichten. Obwohl Sachsen eindeutig das Problem hat, dass zu wenige junge Menschen nachwachsen, der Wirtschaft die Arbeitskräfte ausgehen und die ländlichen Regionen auch emotional kippen. Als hätten sich die dort Lebenden alle damit abgefunden, dass es um sie immer einsamer und grauer wird.

Es hat lange gedauert, bis sich auch die Meldungen des Statistischen Landesamtes änderten und dort das Bevölkerungswachstum wieder als positiv wahrgenommen wurde.

Nur: Was erreicht Statistik, wenn die Politik die Weichen nicht umlegt?

Am 4. Dezember veröffentlichten die sächsischen Statistiker in Kamenz wieder ein paar frische Zahlen, in denen der positive Bevölkerungstrend der Jahre 2012 bis 2018 noch einmal sichtbar wurde.

Eine kurze Phase des Wachstums

„Die Bevölkerung stieg in Sachsen zwischen 2012 und 2018 um 27.733 Einwohner (0,7 Prozent). Ausschließlich die drei Kreisfreien Städte Chemnitz (+2,5 Prozent), Dresden (+5,6 Prozent) und Leipzig (+12,9 Prozent) hatten eine Bevölkerungszunahme zu verzeichnen. Ursache für das Wachstum waren hier die hohen Wanderungsgewinne, bei Dresden und Leipzig wurde zusätzlich ein Geburtenüberschuss in diesem Zeitraum registriert.

Dagegen ging die Bevölkerung in allen Landkreisen im Freistaat Sachsen zwischen 0,1 und 4,9 Prozent zurück. Die hohen Geburtendefizite in allen Landkreisen konnten nicht durch Wanderungsgewinne ausgeglichen werden. Der Erzgebirgskreis hatte als einziger Kreis in diesem Zeitraum sogar Wanderungsverluste zu verzeichnen.

Besonders junge Menschen zieht es in die großen Städte. Im Zeitraum 2013 bis 2018 wurde dies vor allem für die Kreisfreie Stadt Leipzig mit einem Wanderungsgewinn von 42.682 Personen im Alter von 20 bis unter 40 Jahren deutlich. Die Stadt gewinnt dabei junge Menschen aus den anderen Gemeinden des Freistaates und dem Ausland. Besonders attraktiv ist die Stadt Leipzig für junge Menschen aus dem Bundesgebiet mit Wanderungsgewinnen von 22.708 Personen im Zeitraum 2013 bis 2018.

Die Kreisfreie Stadt Dresden kann dagegen Wanderungsgewinne in dieser Altersgruppe nur gegenüber dem Ausland und den anderen Gemeinden Sachsens verzeichnen. Auch die Entwicklung des Durchschnittsalters ist ein Indiz dafür, dass es junge Menschen besonders häufig in große Städte zieht.

Seit Beginn des Betrachtungszeitraums 2012 liegt das Durchschnittsalter der Kreisfreien Städte Dresden und Leipzig deutlich unter dem sächsischen Durchschnitt. Das Durchschnittsalter in der Stadt Leipzig ist seit 2012 sogar um 1,3 Jahre auf 42,3 Jahre gesunken. In den Landkreisen stieg es dagegen zwischen 0,6 und 1,1 Jahre an.“

Ernüchterung im Jahr 2019

Und das alles passierte mehr oder weniger ungesteuert. Das Thema Demografie spielte seit dem Rücktritt Georg Milbradts vor zehn Jahren kaum noch eine Rolle. Im Gegenteil. Die Regierungen Tillich setzten die Politik, die gerade den Kommunen die finanziellen Spielräume nahm, ohne mit der Wimper zu zucken fort und riskierte damit, dass immer mehr Landkreise abdrifteten, während die neuen Arbeitsplätze in den Großstädten entstanden und dort wieder die Gelder für sozialen Wohnungsbau fehlten.

Das wird sich übrigens mit der neuen Regierung erstmals spürbar ändern, denn sie schafft jetzt endlich ein Strukturministerium, das sich genau darum kümmern soll, die Strukturen in den ländlichen Räumen wieder zu stärken.

Im Koalitionsvertrag heißt es zu dem Thema: „Ganz Sachsen verändert sich. Nicht nur in den Braunkohleregionen, im gesamten Land sind tiefgreifende Wandlungsprozesse wie die demografische Entwicklung oder die Veränderung in der Automobilindustrie im Gang. Die demografische Entwicklung stellt in einigen Regionen wie der Lausitz oder in Südwestsachsen sowie in weiteren ländlichen Regionen eine der größten Herausforderungen für die künftige Entwicklung dar. Wir wollen mit gezielter Strukturentwicklung und durch Anpassung der Wirtschafts- und Ansiedlungspolitik darauf eine Antwort geben.“

Wobei die Meldung des Statistischen Amtes wieder die jüngeren Entwicklungen ausblendet. Denn tatsächlich hat die letzte sächsische Regierung den Bevölkerungszuwachs wieder mit einigen falschen Weichenstellungen gebremst und umgekehrt. Dazu gehört die engherzige Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus genauso wie die martialische Abschiebepolitik, eine jahrelang sehr unüberlegte Bildungspolitik und ein fehlendes Verständnis für die heutige Rolle der Großstädte und das Arbeitsplatzangebot für junge Eltern.

Denn wer sonst soll die Kinder bekommen? Die grantelnden alten Männer aus der Provinz? Ganz bestimmt nicht.

Leipzig wächst noch, die angrenzenden Landkreise profitieren

Und während die Zahlen für 2018 noch ein Bevölkerungswachstum suggerieren, ist in Sachsen längst wieder die Fehlentwicklung der Vorjahre eingekehrt. Allein in den ersten acht Monaten des Jahres 2019 verlor der Freistaat 6.097 Einwohner. Allein die Landkreise verloren 6.455 Einwohner. Und unter den drei Kreisfreien Städte ist es eigentlich nur noch Leipzig, das weiter wächst. Leipzig hatte im August ein Bevölkerungsplus von 1.284 Einwohnern.

Aber auch dieses Wachstum ist gegenüber den Vorjahren geschrumpft. Der Grund liegt auf der Hand: Es gibt nicht mehr so viele junge Leute, die aus den ländlichen Regionen zuwandern könnten. Und gleichzeitig ist das preiswerte Wohnungsangebot in Leipzig drastisch geschrumpft. Eine Entwicklung, die seit drei Jahren sichtbar ist: Junge Familien wandern in die Nachbargemeinden in den Landkreisen Leipzig und Nordsachsen ab.

Was Nordsachsen sogar ein kleines Plus von 247 Einwohnern verschafft, im Landkreis Leipzig waren es im August 452 Einwohner. Davon profitieren Städte wie Markranstädt, Kitzscher, Machern und Pegau, die relativ gut an die Großstadt angebunden sind, sodass sich für die Erwerbstätigen auch das Pendeln lohnt. In Nordsachsen sind es insbesondere Schkeuditz und Rackwitz, die profitieren.

Womit man schon eine wichtige Grundstruktur vor sich hat, die in den nächsten Jahren zwingend gestärkt werden muss: das Strukturnetz mit den Großstädten in der Mitte. Wer diese Kerne stärkt, stärkt zumindest erst einmal drei wichtige Regionen. Was noch nicht die demografischen Grundprobleme löst, die alle mit dem Thema Familie und Integration zusammenhängen.

Die Wanderung in die großen Städte geht weiter

Die Wanderung in die großen Städte geht weiter

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