Adipositas – also krankhaftes Übergewicht – ist eine „Wohlstandskrankheit“. Wohlgemerkt: in Gänsefüßchen. Denn sie entsteht zwar in einer Wohlstandsgesellschaft, trifft darin aber vor allem diejenigen, die künstlich arm gehalten werden. Auch das macht die „Bürgerumfrage 2018“ wieder sichtbar. Seit Jahren fragen die Leipziger Statistiker nämlich auch nach Gewicht und Größe der Befragten.

Und der Body-Mass-Index (BMI) wächst und wächst. 2017 schien er erstmals wieder etwas zu schrumpfen. Aber 2018 nahm er wieder zu, sprang bei den Männern von 26,3 auf 26,5, bei den Frauen von 24,9 auf 25,1. Das ist zwar statistisch gerade so an der untersten Grenze des Übergewichts.

Aber Normalgewicht hatten 2017 tatsächlich nur 49 Prozent der Leipzigerinnen und Leipziger. Und daran hat sich 2018 auch nichts geändert. 49 Prozent aber hatten Übergewicht, allein 16 Prozent sogar Adipositas.

Die Auswertung der „Bürgerumfrage 2018“ betont zwar, dass das Übergewicht vor allem mit dem Alter steigt.

Aber diese Interpretation setzt den falschen Schwerpunkt, denn unter Übergewicht leiden auch schon 29 Prozent der 18- bis 34-Jährigen, 7 Prozent sogar unter adipösem Übergewicht. Ein Übergewicht, das schon früh angelegt wird in der Kindheit und das einerseits natürlich mit fehlender Bewegung zu tun hat (für die der menschliche Körper gar nicht geschaffen ist), andererseits aber auch mit unserer falschen Ernährung, die ja nicht nur mit all den Fleischmassen zu tun hat, die unter tier- und menschenunwürdigen Bedingungen hergestellt werden.

Haupttreiber bei der Anlage ungesunder Fettpolster sind all die Fertigprodukte, die die Supermarktregale füllen, die immer noch den Ruf haben, den Hunger schnell und lecker zu stillen, das aber in Wirklichkeit nicht tun. Also nehmen wir Unmengen an Salz, Fett und Zucker zu uns, mit denen unser Körper nichts anfangen kann.

Übergewicht der Leipziger/-innen im Zeitvergleich. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2018
Übergewicht der Leipziger/-innen im Zeitvergleich. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2018

Und gerade Produkte für Kinder und Jugendliche sind mit diesen Gesundheitskillern aufgepeppt – von sämtlichen Angeboten im Süßigkeitenregal über Fertigpizzen und Hamburger bis zu den mit Zucker übersättigten Limonaden.

Wenn dann auch noch fehlende Bewegung dazukommt, wird das Ganze zur Fettbombe, lagern sich all die unverwertbaren Kalorien überall im Körper ab und die so Aufgewachsenen schleppen ihr Leben lang eine wachsende Last mit sich, die meist im mittleren Alter schon weitere Folgekrankheiten nach sich zieht, die die Betroffenen noch immobiler machen.

Was besonders bei den Arbeitslosen sichtbar wird, dieser von arroganten Besserverdienern immer wieder kriminalisierten Gruppe, die bekanntlich auch psychisch leidet unter der Arbeitslosigkeit und den fortwährenden Erniedrigungen in der Antragstellung. Von ihnen haben 22 Prozent Adipositas, ein Wert, den dann nur noch die Rentner übertreffen.

Was nicht heißt, dass die Menschen im Erwerbsleben gesünder leben. Auch sie stopfen ihren Frust meist mit dicken Kalorienrationen in sich hinein, sitzen oft auch bewegungslos in Sitzjobs herum und tragen zu 47 Prozent Übergewicht mit sich herum (13 Prozent Adipositas).

Und etliche scheinen zu wissen, was das mit ihrer Gesundheit anrichtet.

Gerade in den Jahrgängen im Erwerbsleben ist der Anteil derer, die regelmäßig Sport treiben, über die Jahre permanent gestiegen. Bei den 35- bis 49-Jährigen seit 2013 von 52 auf 60 Prozent, bei den 50- bis 64-Jährigen von 47 auf 49 Prozent. Die Stadt ist also auf dem richtigen Weg, wenn sie überlegt, mehr Angebote für den Freizeitsport zu schaffen. Wobei das oft einfach nur vernünftige Lauf-, Walk- oder Wanderstrecken sein müssen. Bewegung mindert eindeutig das Übergewicht.

Andererseits macht sie aber auch nur Sinn, wenn die Dickmacher weitgehend aus dem Essen verschwinden, der tägliche Speiseplan also wieder natürlicher, einfacher und „unfertiger“ wird.

Wie gefährlich es ist, das irgendwann schleifen zu lassen, nur weil es einem die Mühe nicht wert scheint, zeigt der unbarmherzige Sprung von den 35- bis 49-Jährigen zu den 50- bis 64-Jährigen. Sind in der ersten Gruppe „nur“42 Prozent übergewichtig, sind es in der zweiten Gruppe schon 66 Prozent. Besonders stark nimmt hier die Adipositas von 7 auf 29 Prozent zu.

Was sich Leipziger/-innen im Arbeitslosenbezug alles nicht leisten können. Grafik: Stadt Leipzig / Bürgerumfrage 2018
Was sich Leipziger/-innen im Arbeitslosenbezug alles nicht leisten können. Grafik: Stadt Leipzig / Bürgerumfrage 2018

Man muss ja nicht ins Fitnessstudio gehen. Das machen ja die Knochen und Gelenke oft schon nicht mit. Aber man sollte wohl doch möglichst viel in Bewegung bleiben. Und da hilft wieder der Blick in die Verkehrsmittelwahl. Bei den 34- bis 49-Jährigen fahren immerhin noch 58 Prozent regelmäßig Fahrrad, bei den 50- bis 64-Jährigen sind es nur noch 45 Prozent. Die Leipziger/-innen werden also schon im frühen Alter zunehmend immobiler.

Zumindest der sowieso schon gefährdete Teil. Denn natürlich erzählt die Statistik auch davon, dass es fast der Hälfte gelingt, mobil zu bleiben und das Körpergewicht wenigstens bis 50 im Normalbereich zu halten. Und während der Anteil der Übergewichtigen bei den 35- bis 49-Jährigen sogar von 48 auf 42 Prozent sank, ist er bei den 50- bis 64-Jährigen übers Jahr von 59 auf 64 Prozent gestiegen, bei den 65-bis 85-Jährigen sogar von 66 auf 73 Prozent.

Und das hat eben nicht nur mit fehlender Bewegung und falscher Ernährung zu tun, sondern auch mit Geld. Denn bei Menschen mit Einkommen unter 800 Euro im Monat (ohne Schüler und Studenten) weisen 27 Prozent Adipositas auf (Übergewicht insgesamt: 49 Prozent), bei Menschen mit 800 bis unter 1.400 Euro Monatseinkommen auch noch 20 Prozent (Übergewicht insgesamt: 59 Prozent).

Das heißt: Diese Einkommensgruppen können sich eigentlich kaum gesund ernähren, weil für gesunde Lebensmittel augenscheinlich das Geld nicht da ist. Also decken sie sich wahrscheinlich allesamt billig im Supermarkt ein.

Das alles etwas mit Vorsicht formuliert, aber die Interpretation liegt nahe. Wer so zum Sparen verdonnert ist wie diese niedrigen Einkommensgruppen, der spart auch am Lebensnotwendigen. Und dann blättern wir eben noch einmal zurück zu dem, was sich Leipziger Arbeitslosenhaushalte leisten können, und sehen: 55 Prozent dieser Haushalte gaben an, dass das Geld für Lebensmittel eigentlich nicht reicht.

Was man zwar 2005 schon wusste, als auf Wunsch der Bertelsmannstiftung „Hartz IV“ eingeführt wurde. Aber die Folgen sieht man wahrscheinlich wirklich erst, wenn man tatsächlich gezwungen ist, mit so wenig Geld über den Monat zu kommen.

Leipziger Einkommen gehen wieder auseinander und die Armutsquote steigt

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