Prof. Kurt Faßbender, Jahrgang 1968, lehrt seit 2008 an der Leipziger Juristenfakultät. Mit L-IZ.de sprach der ausgewiesene Experte für Verwaltungsrecht über den Umgang der Leipziger Behörden mit dem NPD-Zentrum in der Odermannstraße 8.

Professor Faßbender hat die Fragen allein auf Grundlage der von L-IZ.de ermittelten Informationen zur bau- und gaststättenrechtlichen Situation in der Odermannstraße 8 beantwortet. Die Verwaltungsakten standen ihm nicht zur Verfügung.

Hat die Stadt aus Ihrer Sicht alles richtig gemacht?

Die Frage kann man so pauschal nicht beantworten. Es wird behauptet, dass die Stadt auch aus baurechtlicher Sicht Veranlassung hätte, gegen das NPD-Zentrum vorzugehen. Das erscheint mir nach Lage der Dinge noch nicht zwingend. Es gibt zwei Baugenehmigungen. Ich habe aber nur Kenntnis von den Inhalten einer. In dieser ist die Rede davon, dass das Gebäude unter anderem als Club-, Projekt- und Schulungsraum genehmigt ist. Die Veranstaltungen, über die wir hier reden, kann man im weiteren Sinne darunter subsumieren. Das heißt, in baurechtlicher Hinsicht ist auf den ersten Blick nichts zu kritisieren.

Was ist mit den Überschreitungen der Höchstpersonenzahl?

Das ist in der Tat ein Punkt, der zumindest zu kritischen Nachfragen Veranlassung gibt. Nach meinen Informationen ist das Anbaugebäude nur für eine Nutzung von 100 Personen genehmigt. Diese Personenzahl wurde nach Angaben von Innenminister Markus Ulbig (CDU) mehrfach überschritten. Das Problem ist, dass man nicht weiß, wie sich diese Personen dann verteilt haben, das heißt, ob sie nicht auch auf das Bestandsgebäude, zu dem jetzt keine baurechtlichen Informationen vorliegen, verteilt waren. Das erscheint zumindest möglich.

Es ist aber sehr unwahrscheinlich, wenn dort ein Konzert stattfindet, dass sich von den 160 Gästen die Hälfte im Nebengebäude aufgehalten hat.

Das meine ich mit dem Punkt, dass man hier kritisch nachfragen könnte und sollte. Nun gut, die Veranstaltungen sind gelaufen und es stellt sich mir so dar, dass die Stadt davon erst nachträglich durch diese Anfrage im Landtag Kenntnis erhalten hat. Deshalb wird man aber zumindest für die Zukunft schauen müssen, dass die entsprechenden baurechtlichen Auflagen auch eingehalten werden.

Ist es denn für Sie aus der Distanz nachvollziehbar, dass die Stadt bei der Ortsbegehung vergangenen Dezember nur den Anbau in Augenschein genommen hat?

Es ist zumindest erstaunlich, aber nicht rechtlich bedenklich. Sie stellen darauf ab, dass es im Altbau einen Schankraum gebe. Das ist baurechtlich kein zwingender Grund, sich den Altbau anzuschauen. Dieser Tatbestand wäre nur relevant, wenn damit eine gewerbliche Nutzung einherginge. Mir fehlen die Informationen, dass man das bejahen könnte.Aber das Vorgehen der Stadt ist schon bizarr?

So mögen Sie das sehen. Rechtlich ist es so, dass die zuständigen Behörden gewisse Spielräume haben. Dies gilt auch hinsichtlich der Frage, was im Einzelfall zweckmäßig ist. Darüber kann man hinterher geteilter Meinung sein, aber das ist noch kein zwingendes Indiz für rechtswidriges Verhalten.

Im NPD-Zentrum wurden augenscheinlich alkoholische Getränke zum Kauf angeboten. Uns liegen Informationen vor, wonach dort auch Kneipenabende stattgefunden haben sollen. Wie ist das im Hinblick auf das Gaststättenrecht zu bewerten?

Wir haben im Gaststättengesetz des Bundes eine besondere Bestimmung für Vereine, die in der Sache auf eine Privilegierung hinausläuft. Seit Juli 2011 gilt für Leipzig jedoch das neue Sächsische Gaststättengesetz, das ausdrücklich auch für Vereine und Gesellschaften, die nicht ein Gaststättengewerbe betreiben, eine Anzeigepflicht vorsieht. Das ist in der Tat eine Anforderung, die meines Erachtens zu beachten ist.

Die Stadt Leipzig bestreitet dies.

Sie haben mir mitgeteilt, dass die Stadt Leipzig die Anwendbarkeit bestreitet mit Blick auf die fehlende öffentliche Zugänglichkeit. Hier ist das Gesetz nicht ganz klar gefasst, weil nicht hundertprozentig klar ist, ob die öffentliche Zugänglichkeit Voraussetzung für die Anzeigepflicht ist.

Im Gesetz ist von “bestimmten Personenkreisen” die Rede. Wie ist das zu verstehen?Wenn man fordert, dass der Alkoholausschank in einem Betrieb erfolgt, der öffentlich zugänglich ist, so wird man bei bestimmten Veranstaltungen des NPD-Zentrums davon ausgehen müssen, dass diese Voraussetzung erfüllt ist. Das soll ein Negativkriterium sein, das nur dann nicht erfüllt ist, wenn die Getränke nur an ganz bestimmte Personen ausgeschenkt werden. Wird eine Veranstaltung öffentlich angekündigt, dann muss man die öffentliche Zugänglichkeit bejahen – selbst wenn die Veranstaltung durch ein vorheriges Verabredungsverfahren organisiert wird.

Wenn der Veranstalter seine Gäste telefonisch zu einem bestimmten Treffpunkt lotst, wie das in der rechten Szene üblich ist, müsste er den Alkoholausschank vorher anzeigen?

Das würde ich so sehen. Entscheidend ist, ob die Veranstaltung vorher öffentlich angekündigt wurde. Insoweit kann man beispielsweise eine Parallele zu Diskotheken ziehen. Dort kann man die öffentliche Zugänglichkeit auch nicht verneinen, weil der Türsteher sagen kann: “Du darfst nicht rein.”

Heißt das, die Stadt hat den Betreibern des NPD-Zentrums einen Freibrief erteilt?

So weit würde ich nicht gehen wollen. Das ist ein relativ junges Gesetz. Diese gesetzliche Anzeigepflicht an Vereine ist sehr weitreichend. Da wird sich Manches im tatsächlichen Vollzug erst einspielen müssen. Deshalb warne ich vor vorschnellen Schlüssen.

Welche Möglichkeiten hat die Stadt Leipzig, um das Gaststättengesetz dort durchzusetzen?

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Der Gesetzgeber hat die Möglichkeiten der rechtlichen Durchsetzung der Anzeigepflicht für Vereine nicht so hoch aufgehängt, wie das für das Gewerbe der Fall ist. Die zuständige Behörde hat aber Überwachungsbefugnisse. Sie kann auch den Betrieb untersagen, wenn die Anzeige nicht, nicht rechtzeitig, nicht wahrheitsgemäß oder nicht vollständig erstattet wird.

Mit anderen Worten: Die Stadt Leipzig könnte den Betreibern in der Odermannstraße jetzt verbieten, dort Bier auszuschenken?

Bei Veranstaltungen, die vorher öffentlich angekündigt werden und bei denen der Personenkreis vorher alles andere als fest steht, besteht diese Möglichkeit. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit müsste die Behörde jedoch zunächst einen Verstoß gegen die Anzeigepflicht rügen und ein solches Verbot vorher androhen.

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