Ein Jahr nach dem Aufdecken der NSU-Mordserie rufen Initiativen für den 4. November 2012 zu einem bundesweiten Aktionstag auf. "Es hat sich nicht viel geändert", sagt Renate Künast, grüne Fraktionschefin im Bundestag, über die Aufklärungsversuche im letzten Jahr. Deshalb fordert sie, "die Verfassungsschutzämter in ihrer alten Form aufzulösen".

Ein Jahr ist vergangen, seit sich die Terrorgruppe “Nationalsozialistischer Untergrund” – wohl um der gemeinschaftlichen Verhaftung zuvorzukommen – auf die bekannte Weise selbst offenbarte. Am 4. November wird das auf den Tag genau ein Jahr her sein.

Ein Jahr der öffentlichen Diskussionen, der juristischen Ermittlungen und der politischen Aufarbeitungsversuche zur rechtsextremen Bedrohung in Deutschland und zum Versagen der Sicherheitsbehörden in diesem besonders schweren Fall. Im Fall einer Mordserie von rechtsterroristischer Qualität, die von den Inlandsgeheimdiensten (die sich in der Bundesrepublik aus historischen Gründen Ämter für Verfassungsschutz nennen) und den Polizeibehörden über Jahre nicht erkannt, und somit nicht gestoppt werden konnte.

“Erschüttert” sei sie über das, was sie von Seiten der Sicherheitsbehörden in den vergangenen zwölf Monaten erfahren habe, bekannte Renate Künast, Mit-Vorsitzende der bündnisgrünen Bundestagsfraktion, am Dienstagabend auf der Mitgliederversammlung der Leipziger Grünen.

Renate Künast ist für die Fähigkeit des pointierten und zugespitzten Formulierens bekannt. Gleichzeitig weiß die gelernte Juristin wohl abgewogen zu argumentieren.
Was sie der Leipziger Parteibasis in der “Alten Schlosserei” sagte, klang ruhig. Wie das Ergebnis eines langen Abwägungsprozesses. “Es hat sich nicht viel geändert”, lautete ihre Zwischenbilanz über das Agieren der Sicherheitsbehörden auf dem Parkett der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse.

Deshalb lautet ihre Forderung klipp und klar, die Verfassungsschutzämter in ihrer alten Form aufzulösen. Nach Ansicht von Renate Künast kann nur noch ein kompletter “Neustart” helfen. Dieser solle als eine “ganz enge Neugründung” vollzogen werden: mit einem eng begrenzten Behördenauftrag zur Abwehr terroristischer Bedrohungen und rechtsextremer Bestrebungen im Inland.

“Man muss diese Strukturen auflösen und dann mit einem engen Arbeitsauftrag beginnen”, bekräftigte Künast auf Nachfrage gegenüber L-IZ ihren Vorstoß. Anders bekäme man keine neue Denke in diese Behörden. Allein schon aus beamtenrechtlichen Gründen schaffe nur die Auflösung der bestehenden Behörden den Handlungsspielraum, der zur Neuausrichtung der Dienste nötig sei. Zu diesem Handlungsspielraum gehört nach Ansicht der grünen Spitzenfrau zugleich die Einstellung neuer Leute mit neuen Fähigkeiten.

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Dabei verwies die langjährige Berliner Landespolitikerin auf eine ähnliche Vorgehensweise, die beim Berliner Landesamt schon einmal erforderlich war.

Weiter treibt Renate Künast um, dass sich Bürgerinnen und Bürger, die sich vor Ort gegen rechtsextreme Handlungen und Haltungen engagieren, explizit zu ihrer Verfassungstreue bekennen müssen. Deshalb wiederholte sie die Forderung nach Abschaffung der “Extremismusklausel”. Diese müssen Initiativen bei der Beantragung öffentlicher Fördermittel für sich und ihre Kooperationspartner unterschreiben.

Stattdessen sollten diese Initiativen und Nichtregierungsorganisationen künftig jährlich einen “alternativen Verfassungsschutzbericht” vorlegen. Dem könnte dann entnommen werden, welche Gefahren für die demokratische Verfassungsordnung in den Regionen bestehen und welche Gegenstrategien möglich sind.

Mit der hiesigen Bundestagsabgeordneten Monika Lazar und Wolfgang Wieland, grüner Obmann im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages, sind am bundesweiten Aktionstag am 4. November 2012 gleich zwei Fraktionskollegen von Renate Künast in Leipzig aktiv. Sie debattieren auf der Veranstaltung “Ein Jahr nach dem Aufdecken des NSU”, die die Vereine Friedenszentrum e.V. und Friedensweg e.V. organisieren. Die Veranstaltung in der Alten Handelsbörse am Naschmarkt beginnt am Sonntag um 17:45 Uhr.

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