Am 4. April gab das Dezernat Umwelt, Ordnung, Sport bekannt, dass die aktualisierte Lärmkartierung der Stadt Leipzig im Internet für die Öffentlichkeit zur Verfügung steht. Die ersten Lärmkarten hatte das Umweltamt 2008 ins Netz gestellt. Die neuen haben es in sich. Auch wenn die Datenmenge erst einmal nur für ein Schulterzucken sorgt: 4,6 MB? Ist doch ein Klacks. - Denkste.

“Alle zum jetzigen Zeitpunkt verfügbaren Lärmkarten können ab sofort unter www.leipzig.de/laerm eingesehen oder heruntergeladen werden”, erklärte Heiko Rosenthal, Leipzigs Bürgermeister für Umwelt, Ordnung, Sport, die neue Informationsmöglichkeit. “Zudem wurde die seit März 2011 bestehende Online-Suchanwendung aktualisiert. Diese ermöglicht den Leipziger Bürgerinnen und Bürgern nun gegebenenfalls eine adressgenaue und grundstücksbezogene Ermittlung der Lärmbelastung.”

Bis zum 30. Juni 2012 hatte die Stadt Leipzig, dem Bundesimmissionsschutzgesetz folgend, für das gesamte Stadtgebiet Lärmkarten für den Kfz-Verkehrslärm, den Straßenbahnverkehrslärm sowie den Industrie- und Gewerbelärm im 24-Stunden- und den Nachtzeitraum erarbeitet, teilte das Dezernat Umwelt, Ordnung, Sport noch mit. Damit erfülle die Stadt Leipzig auch die diesbezüglichen Vorgaben der EU-Umgebungslärmrichtlinie.

Außerdem erfasst wurden der Flugverkehrslärm durch das Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie Sachsen sowie der Eisenbahnverkehrslärm durch das Eisenbahn-Bundesamt. Für letzteres wird mit einem Abschluss der Kartierung allerdings nicht vor Mitte 2014 gerechnet. Basierend auf der vom Eisenbahn-Bundesamt übermittelten Ergebnisse der Lärmkartierung 2008 erarbeitet die Stadt derzeit eine auf das gesamte Stadtgebiet erweiterte Lärmkarte zum Eisenbahnverkehrslärm.

So weit, so hübsch. Der Rest heißt warten.

Denn wer sich dann daran wagt, die eine oder andere der nun 19 Karten zu Lärmbelastung Tag/Nacht, Kfz-/ Straßenbahn-/ Flugverkehr und Gewerbelärm und die einzelnen Überschreitungskarten aufzurufen, landet in der Zeitschleife. Vielleicht hat man ja im Rathaus längst Supercomputer. Vielleicht sind die großen Stadtkarten dort sogar schon alle im Cache. Vielleicht hat auch jemand scharf nachgedacht und glaubte, den Leipzigern was zu gönnen, wenn man die Lärmkarten mit feinem Straßenraster in der Originalgröße ins Netz stellt und die errechneten Lärmmengen einfach drüberlegt.Das Ergebnis sieht beschaulich aus. Wer keine superstarke Standleitung ins Rathaus und einen extrastarken Computer besitzt, sitzt da und kann zuschauen, wie Leipzig sich Rasterquadrat um Rasterquadrat gemächlich aufbaut, sich Straßenzug um Straßenzug ins Bild malt und auch da und dort die ersten eingefärbten Flächen auftauchen. Wer alle Karten aufrufen will, sitzt so den ganzen Tag an seinem Rechner. Und dann kann er noch immer nicht damit arbeiten.

Dazu hilft dann nur der auf der rechten Seite zu findende Button “Zu den Lärmkarten”. Hier ist das schon seit Längerem bekannte Modul zu finden, mit dem Lärmwerte maximal im Maßstab 1:10.000 aufzurufen sind. Das geht etwas schneller, aber dafür sieht man immer nur einen Ausschnitt.

Aber auch hier wird das Problem der Lärmkarten sichtbar: Man hat es immer nur mit Berechnungsmodellen zu tun. Etwa beim Fluglärm, der Tausenden Leipzigern zu schaffen macht. Wenn man die Lärmkarte betrachtet mit den amtlichen Überschreitungswerten, dann ist es nur ein ganz winziges Häuflein Leipziger, das nächtlich von mehr als 65 Dezibel Dauerbeschallung betroffen ist. Dass 65 Dezibel längst gesundheitsschädlich sind und sich die Tagesbelastung schon mit der wechselnden Windrichtung und damit auch der Start- und Landerichtung ändern, bildet die Karte genauso wenig ab wie die Tatsache, dass der Durchschnitt die eigentlichen Lärmspitzen eher vertuscht. Denn aus den Betten gerissen werden die Leipziger ja im Norden, Nordwesten und Westen durch einzelne besonders laute Maschinen.

Die Lärmkartierung suggeriert ein Grundrauschen, das es so auch beim Kfz-, Eisenbahn- und Straßenbahnverkehr nicht gibt. Andererseits zeigt sie natürlich, dass auch das Grundrauschen an vielen Hauptverkehrsstraßen dauerhaft im gesundheitsschädigenden Bereich über 60 dB(A) liegt. Und zwar auch nachts. Zuweilen gerade da, weil die Straßen dann etwas weniger befahren sind – einige Zeitgenossen ihre Fahrzeuge dafür erst recht auf Hochtouren bringen.

Der Dauerpegel hat natürlich rechtliche Folgen, denn damit haben die Betroffenen, die so dicht an der Lärmquelle wohnen, ein gewisses Anrecht auf entsprechende passive Schutzmaßnahmen – schallisolierte Fenster etwa oder Lärmschutzwände. Fast möchte man noch nach einer Liste suchen, wie viele Leipziger nach dieser Lärmkartierung eigentlich Anspruch auf solche Schutzmaßnahmen haben. Die gibt es natürlich nicht. Denn ein faktisches Recht auf solche Hilfe bekommt man eigentlich erst in Lärmregionen, die schon heftig schädigend sind. In gewisser rudimentärer Form findet man das in der PDF-Datei “Laerm-Betroffenheit_2012”.

Da ist es durchaus bemerkenswert, wenn man lesen kann, dass über 31.000 Leipziger jeden Tag von einem Dauerlärmpegel von über 60 dB(A) betroffen sind. Ob die Zahl von nächtlich nur noch etwas über 3.000 Betroffenen so stimmt, kann man eigentlich bezweifeln. Denn Hauptstraßen wie die Lützner Straße, die Jahnallee, die Karl-Heine-Straße usw. weisen nach den Angaben der Kartierung “KFZ-Verkehrslärm – Nacht” alle Werte über 60 db(A) auf. Die ins Stadtgebiet geschlagenen Schnellstraßen wie die B2 leuchten auch nachts in einem Lila-Ton, da liegt der Lärmpegel also deutlich über 70 db(A).

Und wer sich dann den Spaß macht, zwischen Kfz- und Straßenbahn-Lärmkarte hin und her zu schalten, sieht auch einen frappierenden Unterschied. Wesentlich leiser sind die Straßenbahnen zwar auch nicht – aber ihr Lärm beschränkt sich auf die Routen, auf denen sie fahren, während der Kfz-Lärm auch in die Seitenstraßen und Wohngebiete vordringt. Was natürlich der Diskussion um verkehrsberuhigte Zonen einen deutlichen Hintergrund verpasst. In den meisten Leipziger Wohnquartieren wäre es nachts tatsächlich recht ruhig ohne aufgedrehten Kfz-Verkehr.

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Natürlich zeigen die Karten auch, dass Leipzig mit Industrie- und Gewerbelärm eigentlich kein Problem hat. Nur da und dort gibt es kleine Gewerbeinseln, die auf der Karte wie kleine Vulkane aussehen – etwa die Sternburg-Brauerei in Reudnitz oder die Gießerei in der Gustav-Ellrodt-Straße. Nur hört man in der Regel darüber keine Klagen von den Anwohnern, was auch mit der Art des Lärms zu tun haben könnte. Gerade Verkehrslärm sorgt mit einzelnen Lärmspitzen dafür, dass der Grundpegel immer wieder überschritten wird.

Wer es noch genauer wissen will, kann in der interaktiven Karte den Maßstab bis auf Block- oder Gebäudegröße verkleinern. Man erkennt dann auch, wie laut in der Regel Leipziger Kreuzungen sind. Aber auch die berühmten “Ringe” und “Tangenten”, auf die die Verkehrsplanung so schwört. 60 dB(A) sind nachts auf der Kurt-Eisner-Straße genauso die Norm wie bis zu 70 dB(A) auf der Wundstraße (B2). Da wirkt Manches aus dem Lärmaktionsplan der Stadt eher hilflos. Auch weil die so genannten “gesundheitsrelevanten Werte”, bei denen die Kommune verpflichtet ist zu handeln, mit tagsüber 70 dB (A) und nachts 60 dB (A) viel zu hoch angesetzt sind.

Das Umdenken beginnt eigentlich erst dann, wenn eine lärmarme Stadt zu einer positiv besetzten Vision für Planer und Bevölkerung wird. Bis dahin ist es noch ein sehr, sehr langer Weg.

Und wem die schwerfälligen Online-Karten zu mühsam sind, der kann die Lärmkarten auch im Technischen Rathaus (Amt für Umweltschutz, Prager Str. 118 – 136) zu den Öffnungszeiten oder nach telefonischer Terminabsprache einsehen. Die Ansprechpartner findet man hier:

www.leipzig.de/de/buerger/umwelt/laerm/ansprechpartner-20124.shtml

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