Im Leipziger Ringcafé soll am 22. Mai 2013 ein neues internationales Parteiennetzwerk entstehen. Gastgeberin der Gründung der "Progressive Alliance" ist die SPD, die in der Messestadt just ihren 150. Geburtstag feiert. Etwa 40 Parteien machen mit: neben den klassischen Sozialdemokratien und Mitte-Links-Parteien auch die Democratic Party der USA.

Karl Marx (1818 – 1883) ist der “Pate der Sozialdemokratie”. So lernt es der Besucher einer Ausstellung, die seit dem 7. Mai 2013 im Leipziger Neuen Rathaus zu sehen ist. Die Ausstellung der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung widmet sich 150 Jahren deutscher Sozialdemokratie.

Der Philosoph aus Trier hat der Welt manch wirkmächtiges Buch und manch noch heute präsenten Slogan hinterlassen. So auch “Proletarier aller Länder, vereinigt Euch” – den oft bemühten Schlusssatz des Kommunistischen Manifests. Diese Programmschrift brachten Marx und sein Mitstreiter Friedrich Engels (1820 – 1895) punktgenau zum Beginn des europäischen Revolutionsjahres 1848 auf den Markt.

Dieser theoretischen Grundlegung des proletarischen Internationalismus folgten praktische Schritte: in Gestalt der Gründung der Internationalen Arbeiterassoziation 1864 in London, die als Erste Internationale in die Geschichte der Arbeiterbewegung einging.

Nationalismus versus Internationalismus

Das große revolutionäre Thema auf dem europäischen Festland war 1848 hingegen der Ruf nach demokratischen Nationalstaaten. Das klappte bekanntermaßen nicht allerorten. Und in den nächsten gut 100 Jahren sollte der Nationalismus durch Europa noch eine gewaltige Blutspur ziehen.

Gleichwohl hielten die sozialdemokratischen Parteien in den europäischen Nationalstaaten an ihrem internationalistischen Anspruch fest. Manifest wurde das in der Gründung der Zweiten Internationale am 14. Juli 1889 in Paris. Der Ort und der Termin am französischen Nationalfeiertag waren Symbol: Die Arbeiterparteien stellten sich in die Tradition der Französischen Revolution von 1789 und deren universaler Werte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Das war das Kontrastprogramm zum vorherrschenden Nationalismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
Ein solcher Zusammenschluss sozialdemokratischer Parteien war ohne die deutsche Schwesterpartei undenkbar: allein ihrer Mitgliederstärke, intellektuellen Potenziale und finanziellen Möglichkeiten wegen.

Und da ist noch eine andere Symbolik: Die Wiedergründung als Sozialistische Internationale fand im Sommer 1951 in Frankfurt am Main statt. Eine deutsche Institution als Gastgeberin und gleichberechtigtes Mitglied einer internationalen Gemeinschaft – das war so relativ kurz nach dem Grauen des Zweiten Weltkrieges und der Niederringung der NS-Herrschaft eher die Ausnahme. Und ein Wechsel auf eine gemeinsame demokratische Zukunft.

Mühen um einen Gegenentwurf zum Neoliberalismus

Doch von all dem wird bei der Festivitäten rund um den 150. Gründungstag der SPD in zwei Wochen in Leipzig wohl nicht so viel die Rede sein. Denn die deutsche Sozialdemokratie hat ihr Engagement in der Sozialistischen Internationale (SI) auf so etwas wie “ruhende Mitgliedschaft” zurückgeschraubt.

Warum das so ist, beschreibt SPD-Chef Sigmar Gabriel in durchaus drastischen Worten. “Es ist dringender denn je, wieder einen Zusammenschluss der progressiven Kräfte auf internationaler Ebene zu erreichen. Denn nur so können wir dem von den Neo-Konservativen und Neo-Liberalen dominierten politischen Diskurs etwas entgegensetzen”, so Gabriel im letzten Dezember auf einer internationalen Parteienkonferenz in Rom.

Mitgemacht beim Tanz um das goldene Kalb des Börsenkapitalismus haben bekanntermaßen auch andere. Auch insofern tut eine Selbstvergewisserung der linken Mitte Not.
Doch von der einer Reanimisierung der Sozialistischen Internationale versprachen sich die Anwesenden der römischen Zusammenkunft offenbar keine Lösung des Problems. Sie bereiteten stattdessen die Gründung einer “Progressive Alliance” als neuem internationalem Parteiennetzwerk vor.

“Die Sozialistische Internationale ist keine Stimme der Freiheit mehr”

Damit ist hingegen nur die eine Seite der Medaille benannt. “Die SI ist keine Stimme der Freiheit mehr in der Welt”, schrieb Gabriel im März 2012 in einem Namensbeitrag in der Frankfurter Rundschau. Die Sozialistische Internationale tat damals sich gerade schwer damit, die arabischen Parteien aus ihren Reihen auszuschließen, deren Herrschaft gerade Menschen mit Massendemonstrationen im Arabischen Frühling beendeten. Und auch den einen oder anderen afrikanischen Staatschef in den Reihen der SI hält Gabriel nicht unbedingt für einen lupenreinen Demokraten.

Da kommt das SPD-Jubiläum in Leipzig als Ort für einen inhaltlichen Schnitt und organisatorischen Neuanfang fast wie gerufen. Noch dazu, wenn sich die Parteienvertreter in einem Gebäude an jenem Innenstadtring treffen wollen, der im Herbst 1989 erfolgreichen demokratischen Massenprotest erlebte. Ganz nah am damaligen Karl-Marx-Platz.

Vertreter von etwa 40 Parteien werden am 22. Mai 2013 zum Gründungsakt erwartet. Sie spiegeln die multipolare Struktur der heutigen Welt.

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“Demokratie und Freiheit” ist die Gründungskonferenz überschrieben.

Ein Novum stellt die Mitarbeit der US-Demokraten in dem neuen Netzwerk dar. So sehr und so gern linksliberale Denkanstöße aus den USA und erfolgreiche Wahlkampftechniken der Democratic Party von Europas Sozialdemokraten seit Jahrzehnten auch antizipiert werden – eine parteipolitische Vernetzung unterblieb bislang. Irgendwie schwang da wohl immer die alte, unbeantwortete Frage mit, warum es in den USA keinen Sozialismus gibt. Eine Klammer für gemeinsames progressives Denken scheint nun offenbar gefunden.

Da ist es dann eigentlich nur eine Fußnote, dass das Ring-Cafe im sogenannten Zuckerbäckerstil der Stalin- und Ulbricht-Jahre entstand. Heute residiert dort im Erdgeschoss die Freie Evangelische Gemeinde Leipzigs.

www.spd.de/aktuelles/84610/20121217_progressive_alliance.html

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