Am 28. August - nachdem man intern schon heftig diskutiert hatte - schrieb das Stadtforum Leipzig seinen zweiten Offenen Brief betreffs des geplanten Einheits- und Freiheitsdenkmals an Oberbürgermeister Burkhard Jung. Der hatte am 4. August erst via LVZ noch einmal betont, dass es kein neues Wettbewerbsverfahren geben werde. Im Herbst will er dem Stadtrat einen der überarbeiteten Entwürfe zur Beschlussfassung vorlegen.

Im ersten Verfahrensschritt fand keiner der Entwürfe die Zustimmung der Leipziger. Sie konnten zwar in der Ausstellung und im Forum im Internet ihre Meinung äußern. Doch ein regelrechtes Beteiligungsverfahren war es nicht. Die durchführende Agentur filterte ihre Erkenntnisse aus den Wortmeldungen. Die drei Preisträger wurden aufgefordert, ihre Entwürfe zu überarbeiten.

Im Juli wurden die überarbeiteten Entwürfe vorgestellt, mit den Bewertungen eines neuen Gremiums, das mit der ursprünglichen Jury nur noch in Teilen identisch war. Die Kritik des Stadtforums gehörte augenscheinlich nicht zu den Änderungswünschen, die das wettbewerbsführende Kulturamt an die drei Preisträger weitergegeben hatte. Aber um kompetente Lösungen im Stadtraum war es der Leipziger Stadtverwaltung augenscheinlich nie gegangen. Weder für ein Denkmal, das tatsächlich künstlerisch überzeugt, noch für eine Platzgestaltung, die die historischen Stärken des Stadtquartiers wieder mit Leben erfüllt.

Das Märchen von der Suche nach einem Einheits- und Freiheitsdenkmal für Leipzig, das tatsächlich Strahlkraft über Leipzig hinaus entfaltet, hat Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) denn im LVZ-Interview vom 4. August auch selbst ad absurdum geführt. Er bestätigte, dass es ihm darum nie ging, sondern tatsächlich um die einmalige Gelegenheit, 6 Millionen Euro zur Gestaltung der seit fast 60 Jahren völlig konturlosen Platzfläche des Wilhelm-Leuschner-Platzes zu bekommen.

In der Frage zum “Denkmal-Streit” sagte er es deutlich genug: “Hinzu kommt: Ich sehe nicht, woher das Geld kommen soll, den Leuschnerplatz zu gestalten. Mit dem Denkmal haben wir auch die einmalige Chance, eine Brache inmitten der Stadt zu gestalten. Die Bundesregierung hat ausdrücklich gesagt, dass sie ein zweites Verfahren ablehnt.”

Und falls es die Leipziger noch nicht gemerkt haben: In den Verträgen sei eben auch festgelegt, dass Leipzig auf den Unkosten des Wettbewerbsverfahrens sitzen bleibt, wenn nicht gebaut wird. Der Sack ist zu.

Und damit es im Herbst eine Zustimmung des Stadtrates gibt, wurde auch der “Herbstgarten”, für den es in der Forums-Diskussion die wenigste Kritik gab, durch den zweiten Wettbewerbsschritt in die jetzige Führungsposition gehievt. “Bei allen, die das Denkmal wollen, spüre ich hier die meiste Sympathie”, sagte Jung.

Also keine öffentliche Diskussion über Sinn und Unsinn dessen, was nun als Wettbewerbsergebnis da steht. Nicht nur das Stadtforum kritisierte diesen diffusen Umgang mit Platz und Denkmal. Die FAZ spottete am 29. Juli sogar über das, was jetzt als “Bürgerwunsch” präsentiert wird. “Fällt einem bei Revolution noch Stéphane Hessels ‘Empört euch!’ ein, so passt, abgewandelt, zu Wippen, Blechhockern und Apfelgärten eher eine Losung wie ‘Beruhigt euch!”, brachte sie die Berliner und die Leipziger Entwürfe auf einen Nenner.

Man könnte auch sagen: Noch nie gab es so wenig Bedarf an einem weiteren “Denkmal” für die Friedliche Revolution wie im Jahr 24 danach. Erst recht nicht in Leipzig, wo auch die FAZ mit der Säule auf dem Nikolaikirchhof und der Demokratieglocke zwei Kunstwerke zu nennen weiß, die an den Friedlichen Herbst viel eindrucksvoller erinnern als die jetzt gewünschte Apfelwiese mit der Botschaft “Keine Gewalt!” an die Marsmännchen.Die Hauptkritikpunkte des Stadtforums, in dem sich Leipziger Bürger und Fachleute seit rund zehn Jahren für die Leipziger Baukultur engagieren, zu Platz- und Denkmalgestaltung sind:

“- dass keiner der eher spielerischen Siegerentwürfe den dramatischen und welthistorisch bedeutsamen Ereignissen gerecht wird – bei denen es nicht zuletzt um Haaresbreite zu einem Blutbad gekommen wäre, die Demonstranten also für unsere Freiheit ihr Leben riskierten;

– dass die Entwürfe keinerlei Fernwirkung erzeugen, also keine Aufmerksamkeit erregen für all die Menschen, die von den damaligen Ereignissen in Leipzig gar nichts mehr wissen. Das dürfte die Mehrheit der Besucher der Stadt sein. Nicht zuletzt damit würde gerade das Hauptthema des Denkmals als Denkmal mit mindestens nationaler Bedeutung verfehlt;

– dass die jeweils nahezu die gesamte Platzfläche einnehmenden Entwürfe städtebaulich erheblich unbefriedigend sind, da sie den erst wieder neu zu schaffenden Platz dauerhaft jeder weiteren öffentliche Funktion berauben.”

Den Stadtrat fordert das Stadtforum deshalb auf, keinen der drei Entwürfe zur Umsetzung zu beschließen. “Im Nachgang dieses Beschlusses (also erst, wenn diese Tatsache geschaffen ist) insbesondere mit dem Bund und dem Land zu klären, unter welchen rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen ein Denkmal bzw. ein würdevolles dauerhaftes Gedenken im öffentlichen Stadtraum zu diesem Thema weiter mit deren Unterstützung geplant und realisiert werden könnte.”

Denn wenn man in einem Wettbewerb keine überzeugenden Ergebnisse bekommt, dann muss man auch den Mumm haben, die Verwirklichung künftigen Generationen zu überlassen. Das Stadtforum dazu: “Falls danach ein regelrechtes Denkmalprojekt mit nationalem Anspruch überhaupt nicht möglich erscheint, muss konsequenterweise auf eine Realisierung auf absehbare Zeit verzichtet werden. Dann sollen Alternativen für ein würdevolles dauerhaftes Gedenken im öffentlichen Stadtraum aktiv mit den beteiligten Bürgern geprüft werden.”

Und in der Leipziger Innenstadt gibt es mehr als genug Orte und Bauten, die direkt an den Herbst ’89 erinnern. Allen voran die Nikolaikirche selbst.

Aber wenn man Burkhard Jungs Worte richtig interpretiert, geht es weder um ein Denkmal noch um einen eindrucksvollen Platz – nur um 6 Millionen Euro, die jetzt zur Verfügung stehen und verbaut werden könnten, Hauptsache das Ding geht irgendwie als Denkmal durch. Und der Druck steht im Haushaltsplan der Stadt Leipzig: Geld für eine Platzgestaltung aus eigener Kraft ist im Stadtsäckel derzeit nicht vorhanden. Um mehr geht es am Ende nicht.

Der Offene Brief des Stadtforums als PDF zum download.

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