Die anstehende Verhandlung um den Millionen-Skandal der Kommunalen Wasserwerke in London, Wachstum und Nachhaltigkeit, Energiemaßstäbe - wie werden die Weichen für die Zukunft gestellt? Der dritte und letzte Teil des großen L-IZ-Interviews.

Haben Sie denn schon eine Idee, wann der KWL-Prozess endlich zu Ende geht?

Das englische Recht ist sehr klar in der Terminbesetzung, im April beginnt das Trial, also die Beweisaufnahme. Wir werden in diesem Jahr vor der entscheidenden Weichenstellung stehen, ob das Gericht unserer Argumentation folgt. Und ich bin so sicher wie noch nie zuvor, dass das in England der Fall sein wird.

Anders als in Leipzig?

Ja, weil wir in England das Gesamtpaket verhandeln. Die Verhandlung in Leipzig war ein Teilaspekt, da wurde das Verhältnis der LBBW zum Konzern LVV in Abhängigkeit von UBS behandelt. Und in England geht es um den Kern: Hat die UBS falsch beraten, sind die Verträge nichtig, ist kriminelle Energie bis hin zur Falschberatung nachweisbar? Daraus abgeleitet kann man dann auch die Verträge mit der LBBW und der Depfa betrachten. In London geht es im Gesamtverfahren um alle drei Banken, die involviert sind. Das ist nicht Zweckoptimismus meinerseits, ich bin wirklich sehr, sehr zuversichtlich.

Gibt es noch eine nächste Instanz, nachdem der Highcourt entschieden hat?

Nach dem Highcourt ist Schluss. Es sei denn, man zieht vor den Europäischen Gerichtshof, aber wir gehen davon aus, die entscheidende Weichenstellung beginnt jetzt im April. Und stellen Sie sich das bitte vor, wenn wir dieses Thema zu Ende haben, der Konzern wieder frei ist von Beauflagungen, wir keine Belastung für den Haushalt in der Stadt haben, dann sind wir in einer neuen, ganz befreiten Situation, um wieder die großen Themen anzugehen, nämlich auf eigenen Füßen zu stehen.

Und den ganzen Investitionsstau abzubauen …

Richtig.

Und bei einigen sind wir ja im Verzug, beispielsweise bei den Kitas …

Ja, aber wir haben ganz viel geschafft. Wenn ich mir ansehe, dass wir keine einzige Klage haben, wir bis jetzt die Themen lösen konnten und dass in den nächsten Monaten die neuen Kitas Schritt für Schritt ans Netz gehen. Da bin ich stolz, dass wir trotz des starken Geburtenanstiegs und trotz des Zuzugs, die Situation insgesamt doch deutlich beherrschen. Es gibt immer Härtefälle, es gibt immer Einzelfälle, es gibt auch Unzufriedenheit, da die Wege lang sind. Aber im Ergebnis sprechen wir über 30.000 Familien, die einen Platz haben.

Ein weites Feld, das in das Thema Nachhaltigkeit reicht. Sie haben die Charta 2007 unterschrieben und eigentlich ist es an der Zeit, die Politik in Leipzig stärker unter diesem Label zu gestalten. Vieles ist im Moment Arbeit an Einzelprojekten, die dann manchmal nicht zusammenpassen oder auf Dauer dann erst zusammenpassen, aber die große Klammer fehlt oft.

Ich möchte Sie gerne überraschen. Ich habe in den letzten Monaten sehr intensiv an meinem Arbeitsprogramm 2020 gearbeitet. Das vorangegangene OB-Wahlprogramm war eine reduzierte, noch allgemeine Form der Zielsetzung, die jetzt mit Ober- und Unterzielen und Maßnahmen untersetzt worden ist. In zwei Klausuren habe ich das Programm bis zur redaktionellen Feinarbeit mit den Kollegen und mit den Führungskräften der Stadtverwaltung durchgesprochen.
Das Arbeitsprogramm trägt den Titel “Leipzig wächst nachhaltig”. Den Titel kennen Sie sicherlich von meinem Wahlprogramm, aber wir versuchen jetzt in diesem Arbeitsprogramm den Begriff Wachstum und den Begriff Nachhaltigkeit, was durchaus eine Spannung in sich trägt, mit Maßnahmen und der Zielsetzung bis 2020 zu untersetzen, was das Programm sein soll für die nächsten sechs Jahre. Es sind immerhin 60 Seiten geworden, die möchte ich dann insgesamt der Öffentlichkeit vorstellen.

Es ist ein guter Fahrplan geworden. Dem Thema Nachhaltigkeit ist dort nochmal eine ganz neue Dimension gewidmet. Das Stadtentwicklungskonzept, unser SEKO, ist zum einen gebunden an vier große Zielsetzungen und wird gerahmt von vier Fundamenten. Das erste Fundament sind die strategischen Ziele der Kommunalpolitik, das zweite Fundament ist die Leipzig-Charta, die verabschiedet worden ist als europäisches, urbanes Programm. Das dritte Thema ist das Thema Bürgerstadt und das vierte Thema ist im Prinzip genau die Frage “Was heißt Nachhaltigkeit?” im 21. Jahrhundert für die Entwicklung einer Großstadt?

Da nehme ich Bezug auf das Programm, das die Oberbürgermeister vieler Städte unterschrieben haben, eine Stadt sozial, ökologisch und ökonomisch zu gestalten und dass sie dem Begriff Nachhaltigkeit auch Rechnung trägt. Dieses Fundament ist sozusagen jetzt die Ausgangsbasis für die weitere Entwicklung. Sie werden diese Handschrift deutlich sehen.

Man braucht dafür auch die Leute, die das denken können. Oft litten ja ältere Mitarbeiter unter der Unfähigkeit, aus ihrer Schublade herauszukommen …

Ach, das klingt jetzt aber so sehr negativ. Ich habe eins gelernt in meinem Leben – man muss mit den Menschen arbeiten, die da sind und jeder bringt auch seine Erfahrung und seine Stärken mit. Und selbstverständlich ist unter Umständen ein Mensch, der seit vielen, vielen Jahren im bestimmten Fachbereich arbeitet, auch schwieriger aus bestimmten Bahnen herauszuholen. Es ist wichtig, Führungskräfte kommunikativ auf diesem Weg mitzunehmen. Ich habe im Moment ein sehr gutes Gefühl über die Teambildung in der Bürgermeisterrunde und habe das ähnliche Gefühl in Bezug auf viele Ämter, die hervorragend zusammenarbeiten und sich auch finden. Als Beispiel sei der Prozess um den “European Energy Award” genannt. Erst skeptisch – was ist das, was soll das, was machen wir da? Aber am Schluss des Weges, als wir dann den Preis erlangt haben, haben wir uns darauf verständigt, wir möchten auch den “Golden European Energy Award” erreichen. Daran sieht man wunderbar, wie unterschiedlichste Menschen mit unterschiedlichen fachlichen Zuständigkeiten sich zusammengefunden haben und sehr konsequent an diesem Programm arbeiten. Das trifft auch bei anderen Beispielen zu.

Es gibt natürlich auch Gegenläufiges, wie Fachlichkeiten, die aufeinanderprallen.

Selbst im Stadtrat gibt es dann die Forderungen, die Energiemaßstäbe für Neubauten zu senken …

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Das ist wirklich eine spannende Diskussion. Ist der Passivhausstandard für eine Kita wirklich der Weisheit letzter Schluss? Das ist auch eine pädagogische Frage, nicht nur eine ökonomische.

Also die Frage, wie geht das Personal damit um? Werden die Fenster aufgemacht und die Heizungen laufen trotzdem?

Genau. Wie arbeite ich mit meiner Gruppe? Habe ich grundsätzlich die Türen auf, weil innen und außen verschwimmen? Man kennt moderne Kitas, in denen die Gruppe sich sozusagen mit der Tür zum Garten in Bewegung befindet. Im Sommer ist das kein Problem …

Ich habe früher selbstverständlich als Lehrer in meinem Klassenzimmer die Situation genutzt, die Fenster mal weit aufzumachen und Luft reinzuholen. Wir stehen auf, um uns wieder sammeln zu können, um uns wieder konzentrieren zu können.

Genau das kann man in einem Passivhaus natürlich nicht machen. Das heißt, da sind tatsächlich pädagogische Fragen zu stellen und diese Diskussion ist auch noch nicht abgeschlossen. Ich persönlich bin unsicher, wir sammeln gerade Erfahrungen mit der Ostwald Schule, die erste unter Passivhausstandard ausgerichtete. Und nach zwei Jahren wird dann auch die Energiebilanz anzuschauen sein.

Jetzt haben wir noch die neue Kästner-Schule dazubekommen. Es ist ein wunderschönes Schulhaus geworden und ich bin gespannt, wie die Kleinen damit umgehen. Aber ich persönlich, um das mal zu bekennen, bräuchte als Lehrer wahrscheinlich das offene Fenster (lacht). Ich bin wirklich sehr gespannt, ob das in 10, 15 Jahren noch die Schule der Zukunft ist.

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