70 Stadträte sollen es sein, wenn heute 18 Uhr die Wahllokale schließen. Doch so einfach wie es klingt, ist die Zahlenarithmetik bei den Wahlen zum Stadtparlament nicht. Da es um eine Personenwahl geht, könnte es durchaus Überraschungen geben - zukünftige Stadträte der nächsten fünf Jahre lauern auf hinteren Listenplätzen und scheinbar gut positionierte Kandidaten werden nach hinten durchgereicht. Weshalb sich ab 18 Uhr im Großen Saal des Rathauses wie üblich bei Wahlen wieder alle Augen auf die Leinwand an der Stirnseite des Raumes richten werden. 70 zu 681 oder knapp 1 zu 10 stehen die Chancen, am 18. Juni bei der nächsten Ratssitzung mitzuentscheiden.

Gingen vor fünf Jahren noch 173.986 Wahlberechtigte mit gefaltetem Zettel Richtung Einwurfschlitz, dürften es auch aus mehreren Gründen diesmal numerisch mehr sein. Jahr um Jahr hat seit 2009 die Messestadt einen jährlichen Zuwachs von knapp 10.000 Bewohnern erlebt, davon sind grob überschlagen diesmal rund 20.000 wahlberechtigt. Auch diese Neu-Leipziger werden eine Rolle spielen, wenn es um die Wahlbeteiligung geht.

Im Leipziger Stadtrat existiert bis dato das, was man eine linke Mehrheit nennen könnte – wäre es mit den Richtungsangaben so einfach. Durch zwei Austritte aktiver Stadträte, Dieter Deißler und Udo Berger (WVL) aus der CDU-Fraktion war die Linke zuletzt die stärkste Kraft mit 17 Stadträten. Die geschwächte Fraktion der CDU folgt mit 16 und die SPD mit 14 Sitzen im Kommunalparlament. Summiert man die 11 Grünen-Räte noch hinzu hat das sogenannte linke Spektrum im Leipziger Rathaus mit 42 von gesamt 70 Stimmen ein gewisses Übergewicht, doch bislang stimmt die SPD-Fraktion stark nach den Vorschlägen der Verwaltung. Kein Wunder, mit Burkhard Jung stellen sie den Oberbürgermeister.

Verändern könnte heute gerade durch die “Neulinge” und sogenannten Kleinen einiges. Erstmals klopft die AfD mit dem stärksten Stadtverband Sachsens an die Rathauspforte und könnte aufgrund ihrer Zusammensetzung vor allem bei der CDU Stimmen wildern gehen. In den vergangenen Monaten gab es einige Übertritte von den Christdemokraten hin zur Alternative für Deutschland und das Protestpotenzial der NPD scheint ebenfalls zur Verfügung zu stehen. Rund 17.000 Leipziger hatten den Kandidaten der Rechtspartei 2009 ihre Stimmen gegeben, doch die beiden Stadträte welche die Partei stellte, sind älteren Semesters. Viel bewirken konnten sie zudem nicht in der zurückliegenden Legislatur, der Parteiaustritt Rudi Gerhardts tat sein Übriges.

Begreifen die Leipziger also ihr Stadtparlament als den nahesten Ort der politischen Mitgestaltung? Dann müsste es diesmal eng für die letztlich wirkungslose Entsendung von NPD-Kandidaten ins Neue Rathaus werden. Dafür könnte die AfD vom, oft von außen als Stillstand empfundene Agieren des Stadtrates in Zeiten knapper Haushaltskassen partizipieren.
Daneben macht sich als weitere Besonderheit die mit 66 Kandidaten ungewöhnlich stark aufgestellte Wählervereinigung (WVL) auf, vielleicht sogar erstmals eine eigene Fraktion bilden zu können. Mit Berger, Hantschick (Die Linke), Deißler und König (Grüne) hatten sie – noch verteilt im Ratssaal bereits vier aktive Stadträte auf ihren Kandidatenlisten.

Diese Fraktionsstärke beginnt ab vier Stadträten, eine Zahl, welche die FDP noch bei der letzten Wahl exakt erreichte und seither eine durchaus rührige Opposition im Stadtrat stellt. Sofern es diese überhaupt im “Leipziger Modell” gibt, besteht sie eigentlich aus FDP und CDU, wobei jedoch letztere bei vielen Sitzungen eher mit fehlenden Vorschlägen, wie zuletzt zum Leipziger Haushalt und das schwankende Verhältnis zu rechtsradikalen Umtrieben rings um Asylbewerberheime und den geplanten Moscheebau in Gohlis glänzte. Im Vergleich dazu haben vor allem Reik Hesselbarth und René Hobusch seitens der FDP für teils erstaunlichen Gegenwind am Rednerpult gesorgt.
Ganz gegen den Trend der bundesweiten FDP konnten die Liberalen im Leipziger Wahlkampf auf eine erstaunliche Zahl verweisen. Da sie wie auch Piraten und Grüne ihre Listen für alle Bürger geöffnet hatten, konnte man 100 Kandidaten aufstellen, welche für die FDP die Ärmel hochkrempeln wollen.

Die Piraten sind in ihrem ersten Kommunalwahlkampf die Überraschungseier, die es mit viel Mühe schafften, durch Unterschriftensammlungen überhaupt antreten zu können. Dagegen hätten die Grünen ihre Kandidatenlisten etwa 1,5 mal vollbekommen. Wie sich die zuletzt heftigen Diskussionen rings um Naturschutz im Auwald bis hinaus ins Neuseenland auswirken, wird man heute ab 18 Uhr erfahren.

Bei der Linken dürfte hingegen nicht viel abbrechen, da sie mit durchweg bekannten Gesichtern an den Start geht. Vielleicht sind Linke und Grüne die beiden einzigen Parteien, die bereits jetzt ahnen können, dass sie ihre Anzahl von 11 und 17 Stadträten beibehalten werden?

Wahlpartys

Zu Wahlpartys haben bislang drei Parteien geladen. Die Leipziger Grünen mögens diesmal spartanisch, aber herzlich. Wer Lust hat, mit den zukünftigen Stadträten zu feiern oder gemeinsam den Frust herunterzuspülen, sollte ein paar Dinge mitbringen. Ab 17:30 Uhr veranstalten die Grünen im Neuen Rathaus im Raum 259, direkt neben dem Ratsplenarsaal ein sogenanntes Mitbringbuffet. Alternativ ist heute Abend auch der Ratskeller mit einem kleinen gastronomischen Angebot – nicht kostenlos – vor Ort. Dafür würde in der Kneipe “Kleine Träumerei” diesmal keine Wahlparty stattfinden.

Die FDP scheint auf nettes Wetter zu hoffen – sie hat als Ort ihrer Wahlparty die Nonnenmühlgasse 1 – am Martin Luther-Ring, direkt via á vis des Neuen Rathauses angegeben. Die Piraten werden es urig angehen und haben per se nach ihrer ersten Kommunalwahlbeteiligung einen Grund zum Feiern. Ab 20:00 Uhr möchte man dies im Morrisons Pub in der Ritterstraße tun.

Ab 17 Uhr wird die L-IZ wie gewohnt mittendrin statt nur dabei sein. Dann gibt es Zahlen, kleine Geschichten, erste Interviews und Stimmungsbilder aus dem Neuen Rathaus zur Kommunalwahl 2014 in Leipzig und ein paar Seitenblicke auf Europa.

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