Dass sogenannte Europa-Kritiker bei der Wahl im Mai derart viel Zuspruch bekommen haben, hat eine Menge mit der Art zu tun, wie in der EU Politik gemacht wird. Während die Staatenorganisation in der Außenpolitik eher blass aussieht, fokussiert sich die EU-Kommission auf wirtschaftliche Themen. Doch während die Schuldenkrise noch immer mehrere Staatshaushalte blockiert, wird hinter verschlossenen Türen ein neues Freihandelsabkommen mit den USA verhandelt.

Es ist das Abkommen namens TTIP = “Transatlantic Trade and Investment Partnership”. Oder in der deutschen Übersetzung: Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft. Es soll nicht nur die beiden wichtigsten Wirtschaftsräume der Erde verzahnen, es hebt die Entscheidungen über wirtschaftliche Rahmenbedingungen auf eine neue, noch höhere Ebene. Schon jetzt spüren die EU-Bürger, wie wenig Einfluss sie überhaupt noch auf wirtschaftliche Rahmensetzungen haben. Und dass dieser Einfluss gegen Null tendieren wird, wenn das TTIP erst einmal umgesetzt ist, ist absehbar. Und zu recht befürchten nicht nur NGOs (nichtstaatliche Organisationen), dass auch wichtige tradierte Strukturen wie die öffentliche Daseinsvorsorge in Europas Städten zur Disposition stehen.

Die Leipziger Linksfraktion hat jetzt einen Antrag in den Stadtrat eingebracht, der Leipzigs Oberbürgermeister auffordert, sich in allen zur Verfügung stehenden Gremien gegen das TTIP auszusprechen. Beschlossen werden soll der Antrag dann im September schon vom neu gewählten Stadtrat.

Vier Vorschlagspunkte enthält der Antrag:

1. Die Stadt Leipzig lehnt eine weitere Liberalisierung des internationalen Dienstleistungshandels ab, wie sie in der derzeit zwischen den USA und der EU verhandelten “Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft” (TTIP) vorgesehen ist. Diese geplante Liberalisierung betrifft Dienstleistungen der Daseinsvorsorge wie z. B. im Bereich der Bildung, der Kulturförderung, der Gesundheit, sozialen Dienstleistungen, der Abwasser- und Müllentsorgung, dem öffentlichem Nahverkehr oder der Wasserversorgung.

2. Der Stadtrat fordert den Oberbürgermeister auf, sich im Deutschen Städtetag und anderen kommunalen Spitzengremien gegen die geplanten Abkommen zu positionieren und entsprechend, sowohl bei der Bundesregierung als auch bei der EU-Kommission zu intervenieren.

3. Darüber hinaus ist der Oberbürgermeister aufgefordert, sich in allen ihm zur Verfügung stehenden Gremien für einen wirksamen Schutz und eine Förderung der genannten Bereiche im Sinne der Erhaltung einer umfassenden kommunalen Selbstverwaltung sowie gültiger sozialer und ökologischer Standards einzusetzen. Das schließt beispielsweise die Stärkung der UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen ein, die durch das geplante Freihandelsabkommen droht, unterlaufen zu werden.

4. Der Oberbürgermeister ist beauftragt, über mögliche Folgen des geplanten Freihandelsabkommen hinsichtlich der betroffenen kommunalen Bereiche in den zuständigen Ausschüssen und im Stadtrat zu informieren. Wenn nötig, sind dazu geeignete Partner einzuladen.Die Linksfraktion staunt eher, dass Leipzig, das sonst so stolz ist auf seine kommunalen Versorgungsbetriebe, in der Sache noch nicht aktiv geworden ist. “Derzeit wird hinter verschlossenen Türen und völlig intransparent von der EU-Kommission eine ‘Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft’ (TTIP) zwischen den USA und der EU verhandelt. Ziel des Abkommens ist die weitere umfassende Deregulierung und Liberalisierung von Handelsbeziehungen und Dienstleistungen”, heißt es in der Begründung des Antrags. “Die Unterzeichnung dieses Abkommens wird erhebliche Konsequenzen auch für die Kommunen und ihre Aktivitäten im Rahmen der Daseinsvorsorge beinhalten. Die dort bisher noch festgeschriebenen Ausnahmeregelungen hinsichtlich des öffentlichen Versorgungsbereiches und der Dienstleistungen in den Bereichen Gesundheit, Finanzen, Verkehr oder Leiharbeit sollen offenbar aufgehoben werden.”

Was dann aus den kommunalen Infrastrukturen wird, ist in zahlreichen amerikanischen Städten zu sehen. Schon in den vergangenen sechs Jahren wurde in Leipzig heftig über das Thema Privatisierung debattiert. Aber was passiert, wenn eine Stadt die Privatisierung sogar zulassen muss, weil sie im übergeordneten europäischen Recht verankert ist? – Da graut es nicht nur der Linksfraktion.

“Innerhalb dieser Megazone sollen die Regelungen von ausländischen Investoren aus ihrem eigenen Heimatland im Partnerland gelten. Fallen die Standards im Heimatland niedriger aus, dann müssen diese im Partnerland anerkannt werden. Handelsbarrieren wie z. B. Produkt- und Qualitätsstandards werden abgebaut (Chlorhühnchen, Hormonfleisch)”, schreibt die Linksfraktion in ihrer Begründung. “Das Verhandlungsmandat scheint, wie u. a. der bayrische Städtetag betont, auch kommunalrelevante Handlungsbereiche, etwa das öffentliche Auftragswesen, Energiepolitik und Umweltschutz, und sogar die Trinkwasserversorgung zu umfassen. Ein weiterer Kritikpunkt aber ist der sogenannte Investorenschutz, ein Sonderklagerecht für Unternehmen. Dieses soll erweitert werden, und für öffentliche Ausschreibungen soll das Prinzip der Inländerbehandlung festgeschrieben werden. Damit steht zu erwarten, dass sogenannte nichttarifäre Handelshemmnisse und Regulierungen massiv reduziert werden. Teil beider Abkommen soll ein spezielles Investorenklagerecht gegen Staaten sein, um gegebenenfalls Schadenersatz durchsetzen zu können. Klagegründe sind dabei nicht mehr nur Wettbewerbsbeschränkungen oder Enteignungen, sondern entgangene Gewinne aufgrund von Gesetzen, Vorschriften und Richtlinien.”

Und das kann teuer werden für Kommunen. “Die Klagen von ausländischen Konzernen wegen entgangener Gewinnerwartungen aufgrund von inländischen Hemmnissen werden vor Schiedsgerichten verhandelt, die nicht öffentlich tagen, deren Urteile völkerrechtlich verbindlich sind und gegen die es keine Revisions- bzw. Berufungsmöglichkeiten mehr gibt”, heißt es im Antrag der Linken noch.

Und man darf durchaus die Frage stellen, welche Rolle das TTIP bei der Europawahl im Mai gespielt hat. Ob sich in diesem Erfolg der Euro-Kritiker nicht genau dieses Unbehagen aussprach, das immer mehr Europäer haben, weil einflussreiche Wirtschaftslobbys sichtlich mehr Einfluss auf die EU-Politik haben als die Wahlbürger.

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