Der Leipziger Konflikt um die Deutung der wechselhaften neueren Geschichte in der Ukraine, welche mit einer Netzdebatte begann und sich anschließend in Pressemitteilungen und gegenseitigen Vorwürfen wiederfand, hat nun zu einem offenen Brief der Leipziger Grünen geführt. Letztlich ist er an die Leipziger Linken gerichtet, welche die Grünen auffordern, sich zu den bisherigen Statements des neu gewählten Linken-Stadtrates Alexej Danckwardt politisch zu positionieren.

Die Sprache ist seit einigen Tagen sehr rau geworden, treffen einige Grüne im Netz auf Alexej Danckwardt. Vor allem im Netz geht es permanent hin und her, werden Argumente ausgetauscht und nur mühsam bleibt auf beiden Seiten die Sprache dabei fair. Es geht um Krieg und Frieden, die Einladung der Stadt Leipzig an den neu gewählten Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko zum Lichtfest 2014. Und vor allem um die Abläufe in der Ukraine, welche seit Ende vergangenen Jahres die Menschen in Europa in Atem halten. Nahezu jeder Schnipsel Videomaterial wird ausgetauscht und hochgehalten – jede Äußerung erfährt eine Antwort.

Nahezu unversöhnlich geht es vor allem bei der Einordnung der Kämpfe in der Ostukraine zu. Für die eine Seite sind es russisch gelenkte Kämpfer, die im Auftrag Moskaus die Gegend unsicher machen, für die andere Seite sind es Freiheitskämpfer, welche sich gegen die Kiewer Regierung zur Wehr setzen. Belege für beide Ansichten existieren – für die Wahrheit, welche meist irgendwo zwischen diesen beiden Positionen wohnt, sind die Haltungen jedoch fast schon zu gegensätzlich. Die Vorwürfe stapeln sich, nun fordern die Grünen also die Partei Die Linke offiziell auf, sich zu den Aussagen ihres Stadtrates zu positionieren. Unterschrieben haben diese seitens der Grünen Stephan Stach, Norman Volger (Stadtrat, Fraktionsvorsitzender), Dr. Claudia Maicher (Landesvorstandssprecherin), Gisela Kallenbach (MdL) und Michael Weichert (MdL).
Und da es allein in den vergangenen 48 Stunden erneut Entwicklungen zwischen der EU und Russland ebenso gab, wie zwischen Russland und der Ukraine, welche hoffen lassen, es könnte bald aufhören mit dem Hauen und Stechen im zwischen Ost und West zerrissenen Land, sei mit der Veröffentlichung des offenen Briefes der Grünen vom 6. Juni 2014 der Chronistenpflicht der L-IZ.de Genüge getan. Vielleicht folgen ja irgendwann direkte Gespräche zwischen den derzeitigen Diskutanten im Netz. Vielleicht ist der Graben aber auch längst zu tief. Spätestens im Leipziger Stadtrat werden zumindest Norman Volger und Alexej Danckwardt aufeinandertreffen, allerdings dann weniger als Außenpolitiker.

Anm. d. Red (vorab) zum Offenen Brief: Er wird im Original dargestellt. Zu nachfolgender Formulierung darin Volker Külow sei “… auf einer von Danckwardt organisierten Kundgebung für “Frieden” in der Ukraine …” aufgetreten, ist dennoch der Richtigkeit halber festzustellen, dass die Friedensdemonstration am 31. Mai 2014 nicht von Herrn Danckwardt organisiert wurde.
“Sehr geehrte Damen und Herren,

mit Verwunderung nehmen wir Äußerungen einiger Mitglieder der LINKEN in Leipzig zur Kenntnis. Wir sind überrascht über den offensichtlichen Widerspruch zur Beschlusslage der Bundespartei DIE LINKE und entsetzt über die einseitige Parteinahme für die pro-russischen Kräfte sowie die Rechtfertigung von Gewalt. Im Beschluss der Bundespartei DIE LINKE heißt es, dass alle Konfliktparteien einschließlich Russland aufgefordert werden, die Eskalation einzustellen. Im gleichen Beschluss wurde anerkannt, dass es für die Menschen auf dem Kiewer Maidan gute Gründe gab, gegen die Regierung von Viktor Janukowitsch zu protestieren. Nun wird insbesondere durch den angehenden Stadtrat Alexej Danckwardt behauptet, dass es sich bei den Demonstranten um Faschisten handeln würde.

Zugleich rechtfertigt er nicht nur den Einsatz von Söldnern, die massiv zu Destabilisierung der Lage in Ostukraine beitragen, sondern würdigt diese sogar als “Antifaschisten”. Angesichts der dramatischen Lage, in der sich das Land befindet, fühlen wir uns angehalten, in aller Eindringlichkeit die Frage zu stellen: Ist dies die offizielle Meinung der Partei DIE LINKE in Leipzig?

Mit unserer Pressemitteilung reagierten wir auf teils beleidigende, teils gewaltverherrlichende und teils einfach falsche Äußerungen Alexej Danckwardts zum gewählten Bürgermeister von Leipzigs Partnerstadt Kiew, Vitali Klitschko, die Maidan-Proteste und den bewaffneten Konflikt in der Ostukraine. Leider nahm Herr Danckwardt unsere Stellungnahme nicht zum Anlass, sich mit unserer Kritik auseinanderzusetzen, sondern sieht sich davon persönlich diffamiert. Das zeugt von einer Dünnhäutigkeit im Umgang mit Kritik, die in keinem Verhältnis zu Herrn Danckwardts aggressiver Rhetorik gerade in Hinblick auf die Ukraine steht. Schließlich war einer der Ausgangspunkte unserer Kritik eine persönlich diffamierende Äußerung von Alexej Danckwardt auf seinem öffentlich einsehbaren Facebookprofil, in der er Vitali Klitschko den “Intelligenzquotient eines Regenwurms” attestierte.

Der eigentliche Kernpunkt unserer Kritik war jedoch nicht in erster Linie die Position Alexej Danckwardts selbst. Der eigentliche Adressat unserer Kritik, die Leitung der Partei die LINKE in Leipzig, schweigt sich beharrlich aus zur causa Danckwardt. Obwohl dieser argumentiert, es handele sich bei den Äußerungen um seine Privatmeinung, so ist es doch eine Meinung, die seinen Parteifreunden von der LINKEN in Leipzig seit längerem bekannt ist und von einigen auch kritisiert wird.

So ließ die “emanzipatorische Linke Sachsen” auf unsere PM hin mitteilen, es handele sich bei Herrn Danckwardts “kruden persönlichen Meinungen” nicht um die Position der Partei DIE LINKE. Es hat uns außerdem gefreut, dass auch andere Mitglieder der LINKEN in Leipzig zum Ausdruck brachten, sie fänden die Kritik an Herrn Danckwardt gerechtfertigt.
Von einer Kritik an Alexej Danckwardts Äußerungen ist auf der Leitungsebene des LINKE-Stadtverbands und der Ratsfraktion die LINKE jedoch nichts zu spüren. Vielmehr scheint es keinerlei Bedenken gegenüber Alexej Danckwardt Positionen zu geben. Denn obwohl seine Ansichten zur Ukraine in der Partei hinlänglich bekannt sind, versendet die Ratsfraktion der LINKEN eine Pressemitteilung im Namen Danckwardts zur Städtepartnerschaft Leipzig-Kiew, den Maidanprotesten und Vitali Klitschko.

Gemeinsam mit Margitta Hollick kritisiert er den OBM für das Angebot, Kiew bei Verwaltungsreformen zu unterstützen. Es sollen außerdem der gewählte Bürgermeister und Vertreter des Maidan nach Leipzig eingeladen werden. Zwar ist die Kritik daran im Ton zurückhaltend, doch stellt Danckwardt auf seine Facebookseite rasch klar, es sei ihm hier um eine “für die Presse tragbare Sprache” gegangen.

Herr Danckwardt stellt sich offen auf der Seite der separatistischen, zum Teil aus Russland in die Ukraine eingedrungenen Kämpfer und trägt öffentlich das Erkennungszeichen der Separatisten, das orange-schwarze St.-Georgs-Bändchen. Indessen tritt der Landtagsabgeordnete Volker Külow, zugleich Vorsitzender des Stadtverbandes der Leipziger LINKEN, auf einer von Danckwardt organisierten Kundgebung für “Frieden” in der Ukraine auf. Dabei bezeichnet er Vitali Klitschko als “Marionette des Westens, […] hergestellt in der Werkstatt der Konrad-Adenauer-Stiftung”. Nicht nur, dass er damit zeigt, wie wenig er von dem demokratischen Willen der Kiewer Bürger hält, die Klitschko vor wenigen Tagen zu ihrem Bürgermeister wählten, in verunglimpfender und völlig haltloser Manier, behauptet Külow eine Verbindung zwischen ihm und der NPD. Vollends absurd wird es, wenn er dann auch noch als ehemaliger inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, der seine IM-Tätigkeit nie bereut hat, durch den Besuch des demokratisch gewählten Bürgermeister unserer Partnerstadt “den demokratischen Geist von 1989” gefährdet sieht.

Und auch Herr Külow lässt sich mit St.-Georgs-Bändchen vor einer russischen Fahne fotografieren. Ist also auch Herr Külow der Meinung, ein Friede ließe sich erreichen, indem einseitig prorussische Kämpfer unterstützt werden, anstatt die Gewalt überhaupt zu verurteilen und nach Lösungen für eine friedliche und demokratische Entwicklung des Landes zu suchen?

Alexej Danckwardt verbreitet wissentlich Falschinformationen, wie etwa jene, dass die Erschießung von über 70 Demonstranten auf dem Maidan am 20. Februar “mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit” das Werk der Opposition gewesen sei. Beweise dafür legt er nicht vor. Angesichts der Fernsehbilder von diesem Tag, die zeigen, wie Polizisten auf Demonstranten schießen, wären sie auch unhaltbar. Zugleich diffamiert er die Teilnehmer der Maidanproteste pauschal und diskreditiert sie insgesamt als Faschisten, was im klaren Gegensatz zur Meinung der Bundespartei steht. Hingegen bejubelt er die Kämpfer der Sondereinheiten des tschetschenischen Schreckensregimes, die unter russischer Flagge in die Ostukraine eindringen, seien sie doch die “Antifaschistische Internationale des 21. Jahrhunderts”.

Er bewundert den Kommandanten der “Separatisten” in Slaviansk Igor Strelkov (eigentlich Igor Girkin), einen russischen Offizier mit Moskauer Meldeadresse und Verbindungen zum russischen Geheimdienst – wie die Recherchen verschiedener ukrainischer, russischer und westlicher Medien belegen. Doch auf das Konto dieses “Offiziers im besten Sinne des Wortes”, so Danckwardt über Strelkov, geht nicht nur die Entführung jener OSZE-Militärbeobachtermission, der auch drei Bundeswehroffiziere angehörten, sondern auch die von Journalisten und politischen Gegnern. Während Strelkovs Herrschaft in Slaviansk wurden mehrere proukrainische Politiker und Aktivisten teils bestialisch ermordet.

Erst kürzlich verkündete Strelkov per youtube-Botschaft mehrere Todesurteile. Jemand, der wie Alexej Danckwardt, solche Menschen bewundert, hat sich unserer Ansicht nach nicht nur für jegliches Engagement für den “Frieden” disqualifiziert, sondern muss sich auch Fragen nach seiner demokratischen Gesinnung gefallen lassen.

Im Gegensatz dazu stehen wir auf dem Standpunkt, dass die Bürgerinnen und Bürger der Ukraine frei von geopolitischen Erwägungen und der Einmischung Russlands aber auch der USA und der Europäischen Union über die Zukunft ihres Landes entscheiden sollen. Doch das hat einen Rechtsstaat, eine freie Öffentlichkeit und demokratische Strukturen zur Voraussetzung. Dazu braucht es Frieden.

Wir erneuern daher unsere Aufforderung an den Leipziger Stadtverband und die Ratsfraktion der LINKEN, Stellung zu den Äußerungen Alexej Danckwardts zu beziehen.

Wir würden uns freuen zu erfahren, dass auch der Stadtverband und die Ratsfraktion bereit ist, dem demokratisch gewählten Bürgermeister unserer osteuropäischen Partnerstadt Kiew Vitali Klitschko Respekt und Unterstützung entgegenzubringen. Wir wären erleichtert, festzustellen, dass der Stadtverband und die Ratsfraktion nicht die Auffassung teilen, die separatistischen Kämpfer, die Regierungsgebäude und ganze Städte besetzen und deren Äußerungen und Vorgehensweise auf keinerlei demokratische Absichten schließen lassen, einen Beitrag zum Frieden leisten.”

UnterzeichnerInnen:

Jürgen Kasek, Vorstandssprecher BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Leipzig;
Stephan Stach, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Leipzig
Norman Volger, Fraktionsvorsitzender Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN im Leipziger Stadtrat
Dr. Claudia Maicher, Landesvorstandssprecherin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Sachsen
Gisela Kallenbach, Mitglied des sächsischen Landtages, Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Michael Weichert, Mitglied des sächsischen Landtages, Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN

Quelle: www.gruene-leipzig.de | Offener Brief an die Linke

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Michael Freitag über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar