Am Donnerstag, 7. August, stellte das Dezernat Finanzen der Stadt Leipzig die Ergebnisse einer Bürgerumfrage zur Finanzpolitik der Stadt vor. "Ziel der Befragung war, das Meinungsbild der Bürgerschaft zum Thema 'Stadtfinanzen' grundlegend zu erfassen und dieses in die künftige Verwaltungsarbeit einfließen zu lassen", meldete die Stadt. Aber ganz so "grundlegend" war die Befragung dann doch nicht.

Nun kann man ja sagen: Es ist das erste Mal, dass Leipzig die Bürger überhaupt zur Finanzpolitik fragt. “Bürgerumfragen zur kommunalen Finanzpolitik stellen in Deutschland noch ein Novum dar. Nur wenige Städte führten bisher solche Befragungen durch”, hatte die Stadt mitgeteilt. “Im Rahmen des Projekts ‘Leipzig weiter denken’, das durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird, befragte die Stadt Leipzig in Zusammenarbeit mit der Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH (UFZ) Leipzig 1.697 Leipzigerinnen und Leipziger schriftlich zu einem breiten Spektrum kommunaler finanzpolitischer Themen.”

Studienleiter war Prof. Dr. Dieter Rink vom Umweltforschungszentrum (UFZ). Dort ist er stellvertretender Leiter des Departments Stadt- und Umweltsoziologie, von Haus aus eigentlich Kulturwissenschaftler. Aus seiner Sicht ist das Fragengebiet komplex.

“In Hinblick auf die Komplexität des Themas ist die erzielte Rücklaufquote bei den Fragebögen von 35 Prozent ein sehr gutes Ergebnis. Offensichtlich ist uns eine verständliche Frageformulierung, verbunden mit einem differenzierten Einblick in die komplizierte Welt der Kommunalfinanzen, gelungen”, erklärte er am Donnerstag.

Wahrscheinlich eher nicht. Denn differenziert ist die Fragenwelt nicht wirklich. Und das Wesentliche, was fehlt, und was zwingend die Voraussetzung für so eine Umfrage sein muss, wird auf Seite 61 sichtbar. Da wird nämlich gezeigt, wie viele Leipziger die offizielle Entschuldungskonzeption der Stadt eigentlich kennen. Drei Prozent. Nicht mehr. Weitere 33 Prozent haben davon gehört, “kennen aber den Inhalt nicht konkret”.

Das ist das alte Problem bei Beteiligungen: Sie brauchen ein qualifiziertes Teilnehmerfeld.

Vor allem, wenn Finanzpolitik in den letzten Jahren in Leipzig immer “aus dem Bauch heraus” diskutiert und abgefragt wurde. Selbst in Bürgerumfragen wurde einfach gefragt, was die Leipziger lieber einsparen würden und was nicht. Aber das ist nur ein Aspekt von Finanzpolitik. Ein kleiner.
Und der ganze Rest der Befragten, 64 Prozent, gab an, nie was vom Entschuldungskonzept gehört, nie was gelesen, keine Ahnung zu haben. Und da fragt man diese Leute nach der Finanzpolitik der Stadt Leipzig?

Das ist brandgefährlich.

Denn da fragt man sichtlich Menschen, die gar nicht wissen, worum es tatsächlich geht. Denn immerhin hatte das Finanzdezernat (nur) drei Themenblöcke vorgegeben, sozusagen als Angebot, damit die Leipziger sich positionieren können: Soll mehr gekürzt werden? Sollen die Gebühren steigen? Oder soll mehr in Wachstum investiert werden? “Präferiert wird idealerweise ein Mix aus Wachstums-, Einnahme- und Kürzungsstrategie, wobei aber fast jeder zweite Befragte (47 Prozent) der Wachstumsstrategie das stärkste Gewicht gibt”, stellt die Verwaltung nun fest. Ist das wirklich das Ergebnis? Nicht wirklich. Denn wenn man drei Strategien dieser Art einfach zur Bewertung freigibt (und gar keine anderen erst anbietet), kommt am Ende genau das heraus: Eine gemischte Haltung der Befragten zu allen drei Varianten.

Und damit eigentlich zu einer Bestätigung dessen, was die Verwaltung unter OBM Burkhard Jung seit Jahren sowieso macht: stellenweise kürzen und schließen (Bürgerämter zum Beispiel), Einnahmen erhöhen (Erhöhung der Grundsteuer) und in Wachstum investieren (Wirtschaftsansiedlung und Marketing).

Die Tatsache, dass die meisten Befragten gar nicht wissen, wie Leipzig finanziell dasteht, versucht die Verwaltung zu relativieren: “Bei der Bekanntheit finanzpolitischer Entscheidungen und ihrer Wirkung bzw. vorhandener Gestaltungsräume der Kommune besteht bei den Bürgerinnen und Bürgern offensichtlich Informationsbedarf. Dies wird deutlich an der Entschuldungskonzeption der Stadt Leipzig, die zum Zeitpunkt der Studie mehr als jedem zweiten Befragten (57 Prozent) nicht bekannt war.” Und dann staunt die Verwaltung doch: “Interessant ist, dass fast zwei Drittel aller Befragten (61 Prozent) den von Verwaltung und Stadtrat eingeschlagenen Weg der vollkommenen Entschuldung Leipzigs innerhalb der nächsten 25 Jahre unterstützen.”

Torsten Bonew, Bürgermeister und Beigeordneter für Finanzen: “Dieses Ergebnis bestätigt, dass ein konsequenter Schuldenabbau auch von den Bürgerinnen und Bürgern mitgetragen wird. Kostenkontrolle und effiziente Mittelverwendung spielen auch für die Öffentlichkeit eine große Rolle.”

Womit er an dieser Stelle zwei weitere Instrumente der Finanzsteuerung nennt, zu denen aber die Leipziger nicht befragt wurden. Warum eigentlich nicht? Denn diese beiden Stellschrauben sind viel wichtiger als die drei, die man dem Volk wie drei Heringe serviert hat.
Dass es mit der Kontrolle stellenweise im Argen liegt, haben die Leipziger beim Thema “Herrenlose Häuser” erfahren dürfen. Und dass mit Geldern oft wenig verantwortlich umgegangen wird, zeigt eine Flut von Gutachten, mit denen die Verwaltung oft genug Entscheidungen untermauert, die in der Realität nicht standhalten. Und der Glaubwürdigkeit der städtischen Finanzpolitik ist auch die Diskussion um das actori-Gutachten nicht bekommen. Man kann nicht den Teufel an die Wand malen, die Kulturbetriebe liefen mitten hinein in eine Finanzierungslücke von 5 Millionen Euro – und zwei Jahre später alles kassieren und so tun, als hätte nie jemand Alarm geschlagen.

Das ist auch eine Frage transparenter Politik.

Zumindest ist das Ergebnis der Studie nicht ganz so eindeutig, wie es sich die Verwaltung wohl gewünscht hätte: “In der Studie wurde auch das Thema Beteiligung der Bürgerschaft zur Verbesserung der Finanzsituation der Stadt Leipzig reflektiert. Hier gibt es eine eher ambivalente Einstellung der Leipzigerinnen und Leipziger zu konstatieren. Können sich 41 Prozent vorstellen, in irgendeiner Form einen persönlichen Beitrag für die Stadt zu erbringen, stößt dieser Gedanke bei 52 Prozent der Befragten auf Ablehnung.”

Eine Aussage, die unbedingt ergänzt werden muss. Denn den Befragten war sehr wohl bewusst, dass die Stadt in den letzten Jahren schon eifrig zugegriffen hat, um die nicht ganz so freiwilligen Leistungen der Bürger abzuholen. So äußern sich 79 Prozent der Befragten gegen eine weitere Erhöhung der Grundsteuer, 79 Prozent sprechen sich gegen weitere Kürzungen aus, 74 Prozent sind nicht bereit, weiter steigende Mieten in Kauf zu nehmen und 70 Prozent lehnen eine Einschränkung der Bürgerbeteiligung bei Planungs- und Genehmigungsverfahren ab. Auch, wenn das dann mit “wirtschaftlichem Wachstum” begründet wird.

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Im Grunde zeigen die Grundaussagen des Berichts, dass eine Grenze erreicht ist in Leipzig. Mehr Lärm durch Wirtschaftsverkehr wollen sich auch nur 29 Prozent der Befragten zumuten lassen, den Bau von Gewerbegebieten in Landschaftsentwicklungsgebieten nur 28 Prozent.

Ein trojanisches Pferd steckte dann in der Frage nach dem Verkauf städtischer Unternehmen. Immerhin 51 Prozent der Befragten können sich einen Verkauf vorstellen. Aber wenn es konkret wird, verschieben sich die Relationen: 66 Prozent sind gegen einen Verkauf von Unternehmen der Daseinsvorsorge, 71 Prozent wollen, dass die Stadt beim Verkauf Einfluss auf die Entwicklung behält.

Dass sich das Thema Wachstumsstrategie nur auf wirtschaftliche Ansiedlungen beschränkt, gehört auch zu den Engpässen in diesem Bericht. Kultur, Grünflächen und Infrastruktur tauchen nur unter der Kürzungsproblematik auf, was ein starker Hinweis auf das zugrunde liegende Denken ist, dass derlei Dinge eher als Luxus, Last, entbehrlich betrachtet werden und nicht als eigentlicher Wesenskern der Standortpolitik. Kein Wunder, dass die meisten Befragten sagen: Es ist genug gekürzt.

Wobei der erstaunliche Effekt auftritt, dass die Befragten der (Wirtschafts-)Wachstumsstrategie größtenteils zustimmen und sogar noch mehr Geld ins Marketing stecken würden, im Bereich Wirtschafts- und Beschäftigtenförderung aber noch kräftiger kürzen würden als bei Kultur- und Sozialausgaben. Zeichen dafür, dass die Befragten mit diesem Thema tatsächlich überfordert sind – was sie dann freilich von Politikern nicht unterscheidet. In Sachen Wirtschaft wird gern blind gegen den Wind gesteuert. Wirklich verlässliche Instrumente, mit denen man steuern könnte, hat zumindest die Kommunalpolitik nicht. Vor einiger Zeit galt noch der Bau immer neuer Gewerbezentren und Autobahnen als Heilsbringer. Das hat sich geändert. Auch wenn das Umdenken eher zögerlich ist. Aber immerhin stimmen 43 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass man auf den Bau neuer Haupt- und Entlastungsstraßen verzichten kann. Deutlich weniger stimmen dem Verzicht auf Radwegeinvestitionen (29 Prozent) oder gar Streichung von Bus- und Bahnlinien (18 Prozent) zu.

Und wenn die Stadt schon mehr kassieren will, dann favorisieren die Leipziger höhere Bußgelder (72 Prozent), höhere Gebühren fürs Falschparken (67 Prozent) oder gar höhere Hundesteuer (70 Prozent). Bringt zwar alles nicht wirklich viel. Aber das andere Ende der Liste sagt eigentlich alles: Nicht nur gegen höhere Grundsteuern sprechen sich die Leipziger aus, auch gegen weiter steigende Elternbeiträge in den Kitas (84 Prozent) oder noch weiter steigende Tarife im ÖPNV (93 Prozent). Das Ergebnis ist deutlich. Die Leipziger haben in den letzten Jahren sehr wohl nach besten Kräften zur finanziellen Stabilisierung der Stadt beigetragen. Den Meisten ist nicht wirklich mehr abzufordern.

Was die beiden von Torsten Bonew genannten Instrumente der Finanzpolitik noch deutlicher in den Mittelpunkt rückt: “Kostenkontrolle und effiziente Mittelverwendung”. Wenn Leipzigs Verwaltung das wirklich hinbekommt und auch ein bürgernahes Berichtswesen dazu bewerkstelligt, dann machen auch die geplanten Workshops, die dem Auftaktworkshop im Frühjahr folgen sollen, Sinn.
Die Auswertung der Studie als PDF zum download.

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