Die Diskussion um den Entwurf des STEP Verkehr und öffentlicher Raum, der am 10. Dezember im Stadtrat beschlossen werden soll, treibt seltsame Blüten. Auf einmal sieht die Leipziger Wirtschaft ihre Felle davonschwimmen, obwohl Wirtschaftsverkehr ein extra großes Kapitel im STEP bekommen hat. Aber seit die LVZ auf dem neu formulierten "Modal Split" herumreitet, wird's wild in der Diskussion.

Der Modal Split beschreibt die Verkehrsmittelwahl der Leipzig an einem typischen Wochentag – ob sie zu Fuß, mit Rad, ÖPNV oder Auto ihre Wege zur Arbeit, zur Schule, zum Einkauf zurücklegen. Der Wirtschaftsverkehr wird davon gar nicht erfasst. Betroffen schon. Denn auch für Lieferdienste, Dienstleister, Handwerker spielt es eine Rolle, ob man in der Stadt voran kommt und vor allem jede Adresse erreicht.

Die Vollversammlung der IHK zu Leipzig hat nun eine Resolution “Freie Fahrt für den Wirtschaftsverkehr” verfasst, mit der sie noch einmal ihre Belange im Entscheidungsprozess deutlich machen will. Die Vollversammlung ist natürlich nicht die Versammlung aller Mitglieder der IHK, sondern nur die Versammlung der Branchensprecher. Die fragen in der Regel in ihrem Cluster nicht zurück, wie es die anderen sehen.

Manchmal lesen sie ein paar Statistiken und interpretieren sie in ihrem Sinn – so wie die aktuelle Umfrage der IHK zu Leipzig zur Standortzufriedenheit in den Städten der Region. Dort wird die “Sicherstellung der Funktionsfähigkeit einer verkehrsträgerübergreifenden Verkehrsinfrastruktur für die regionale Wirtschaft” als einer der wichtigsten Standortfaktoren genannt. Das heißt eben nicht nur Lieferverkehr. Aber Leipzig ist ja auch Logistikstandort. Also kritisiert die Vollversammlung der IHK zu Leipzig, “dass in der Stadt Leipzig die Nutzung des öffentlichen Verkehrsraumes sowohl baulich als auch verkehrsorganisatorisch für den Wirtschaftsverkehr immer weiter eingeschränkt wird. Umweltzone, enge Lieferzeitfenster in der Innenstadt, Tonnagebegrenzungen für LKW in Hauptverkehrsstraßen, Tempo 30-Zonen, Parkraumverknappung, Lieferzonenbeschränkungen und Fahrbahnverengungen sind Beweis dessen.”

Davon steht im STEP Verkehr eher nichts. Dafür hält man sich am selben Punkt fest, den die LVZ schon seit Wochen knetet wie einen Gummiball: “Eine zentrale Stellung innerhalb der allgemeinen Planungsgrundsätze des Stadtentwicklungsplans (STEP) Verkehr und öffentlicher Raum nimmt die eher beiläufig formulierte Zielsetzung ein, dass der ‘Anteil des Umweltverbundes an den Wegen der Leipziger in der Stadt im Personenverkehr bis 2025 auf mindestens 75% steigen soll’.”

Das interpretiert man dann genau so, wie es auch die LVZ interpretiert: “Dies bedeutet im Klartext: Der motorisierte Individualverkehr soll innerhalb weniger Jahre auf 25% gedrückt werden.”

Genau davon ist im ganzen STEP nicht die Rede. Und Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau erklärte für die hartnäckigen Journalisten Ende Oktober auf Nachfrage auch noch einmal: Erreicht werden soll das Ziel nicht durch Verbote, sondern durch bessere Angebote – vor allem im ÖPNV und im Radwegenetz. Niemand soll durch irgendetwas genötigt werden, den Verkehrsträger zu wechseln. Und bei den älteren Generationen rechnet auch Dubrau nicht damit, dass die ihre Gewohnheiten noch ändern.

Hat zwar alles mit Wirtschaftsverkehr nichts zu tun, aber irgendwie finden die Spitzen der Vollversammlung: “Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Wirtschafts- und Individualverkehr oft nicht klar zu trennen sind, insofern trifft die restriktive Behandlung des Individualverkehrs auch den Wirtschaftsverkehr.”

Inwiefern, das erklärt die Erklärung nicht. Aber die Resolution formuliert zumindest zum ersten Mal in der ganzen wilden Diskussion, was sich die Wirtschaft eigentlich wünscht, damit der Wirtschaftsverkehr in Leipzig besser funktioniert.Die ersten beiden Grundsätze, die die IHK formuliert, erklärt es noch nicht. Das ist eher so ein Gefühl der stillen Benachteiligung, das sich da äußert, wenn man sich eine “Einordnung des Wirtschaftsverkehrs entsprechend seiner übergeordneten Bedeutung” und eine “Anerkennung der Leistung des kombinierten Güterverkehrs” wünscht.

Aber die anderen Punkte machen es endlich einmal konkret. Hier sind die Punkte:

– bedarfsgerechte Planung und Realisierung von Lieferzonen (Innenstadt und Einkaufsstraßen),

– Fokussierung der Investitionen in den kommenden 10 Jahren auf die Instandhaltung und Erneuerung von Straßen und Brücken,

– Schaffung eines mitteldeutschen Fernbusknotens am Hauptbahnhof,

– Einbeziehung von Taxis in die Mobilitätskonzepte der Stadt.

Das sind tatsächlich mal konkrete Punkte (die eigentlich auch auf der städtischen Agenda stehen, wenn wir das richtig beobachtet haben).

“Sowohl bei der Verkehrsplanung als auch bei der Umsetzung diesbezüglicher Maßnahmen dürfen keine Tatsachen geschaffen werden, die diesen Prämissen entgegenstehen”, stellt die Resolution fest und formuliert auch noch eine Reihe von Maßnahmen, die künftig beachtet werden sollen:

– Der verfügbare Verkehrsraum für den Wirtschaftsverkehr, insbesondere im Haupt- und Zubringerstraßennetz, soll nicht weiter reduziert werden.

– Die Verkehrsarten entsprechend ihrer Bedeutung in der straßenräumlichen Nutzung sollen gewürdigt werden und sich ÖPNV und straßengebundener Wirtschaftsverkehr nicht gegenseitig behindern.

– Einseitige Beschränkungen des Verkehrsraumes durch eine Nutzergruppe sollen aufgehoben werden und dementsprechend die räumliche Trennung von Radwegen zur Fahrbahn ausschließlich mit unterbrochenen Linien gekennzeichnet werden.

– Abmarkierungen oder feste Einbauten im Kurvenbereich der Kreuzungen sollen den Wirtschaftsverkehr nicht behindern oder gar zu Verkehrsverstößen zwingen.

– Ver- und Entsorgungsabläufe im öffentlichen Verkehrsraum sollen durch praktikable Lieferzeitfenster, funktionsgerechte Lade- bzw. Lieferzonen, ausreichende Fahrbahnbreiten, übersichtliche Fahrbahnverhältnisse und alternative Liefer- und Haltemöglichkeiten sichergestellt werden.

– Bei relevanten Straßen- und Verkehrsplanungen bzw. bei der Neu- und Umgestaltung von bedeutsamen Straßenräumen soll ein Runder Tisch Wirtschaftsverkehr, unter Einbeziehung der Kammern, Verkehrsverbände und ausgewählter Unternehmer, einberufen werden.

Nur eine Maßnahme fällt ein bisschen aus dem Rahmen: Die im STEP anvisierten Verkehrsträgeranteile (Modal Split) sollen zugunsten des Wirtschaftsverkehrs im Zusammenhang mit dem Individualverkehr korrigiert und nicht durch bevormundende Zwangsmaßnahmen durchgesetzt werden.

Da ist auch die IHK-Vollversammlung auf den Unfug aus der LVZ hereingefallen. Der Wirtschaftsverkehr spielt im Modal Split einfach keine Rolle. Er gehört da auch nicht rein. Der Wirtschaftsverkehr hat tatsächlich eine Sonderrolle und hat mit irgendwelchen Rad-, ÖPNV- oder MIV-Anteilen nichts zu tun.

Wirklich nichts.

Den Rest kann auch die Leipziger Stadtverwaltung unterschreiben: “Der Wirtschaftsverkehr ist lebenserhaltender Teil einer funktionierenden Volkswirtschaft und insofern auch lebensnotwendiger Teil des Stadtlebens von Leipzig. Die Leipziger Wirtschaft erwartet deshalb, dass die Stadtverwaltung dem folgenden, von ihr im Entwurf des STEP formulierten Anspruch auch gerecht wird:

‘Die Attraktivität der Stadt als Wirtschaftsstandort hat auch in Zukunft hohe Priorität. Voraussetzung dafür ist ein Verkehrsnetz, das sowohl attraktive Verbindungen mit dem gesamten Bundesgebiet und darüber hinaus als auch zuverlässige und sichere Verknüpfungen im engeren Wirtschaftsraum und innerhalb der Stadt gewährleistet. Dazu gehören eine störungsfreie und kosteneffektive Abwicklung des Güterverkehrs und des Personenwirtschaftsverkehrs ebenso wie die Erreichbarkeit der Arbeitsplätze und der zentralen Handels- und Dienstleistungsstandorte.

Vorhandene und neue Arbeitsplatzgebiete bedürfen einer leistungsfähigen Erschließung.'”

Aber am Ende versucht die IHK-Vollversammlung dann doch noch politisch Einfluss zu nehmen und fordert die Absetzung der Vorlage zum Stadtentwicklungsplan Verkehr von der Tagesordnung der Ratsversammlung am 10. Dezember. Und als hätte man selbst nicht drei Jahre lang mit am Runden Tisch gesessen, will man alles wieder von vorn aufrollen: “Die nächsten Wochen sollten genutzt werden, um in einem ergebnisoffenen Diskussionsprozess über die allgemeinen Planungsgrundsätze realistische Ziele, insbesondere für den Modal Split zu definieren.”

Und das nach einem dreijährigen Diskussionsprozess. So kommt Leipzig nie zu Potte.

Das Statement der IHK-Vollversammlung: www.leipzig.ihk.de

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar