Wohin will eigentlich die Leipziger SPD? Einiges ist ja bei den Leipziger Sozialdemokraten im Umbruch. Die „Gründerväter“ von 1989 sind in den Hintergrund getreten, selbst die Fraktion im Stadtrat ringt mit einem gar nicht so einfachen Generationenwechsel, der sogar ziemlich spät kommt. Auf dem Stadtparteitag am Samstag, 24. September, wurde nicht nur ein neuer Stadtvorstand gewählt. Man versuchte auch wieder eine Rückbesinnung auf Kommunalpolitik.

Das ist noch nicht ganz geglückt. Das machte gleich postwendend Irena Rudolph-Kokot, Landesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für ArbeitnehmerInnenfragen (AfA), deutlich, als sie kritisierte, dass „ArbeitnehmerInnen derzeit in den Führungsgremien der Leipziger SPD (nicht) den Stellenwert haben, wie er für einen sozialdemokratischen Stadtverband selbstverständlich sein sollte.“

Man hatte auch keine Gewerkschafter eingeladen, kritisiert sie. Und auch der vom alten Stadtvorstand eingesetzten Antragskommission hätten keine ArbeitnehmervertretertInnen angehört.

„Wir vermissen schon seit längerer Zeit ein klares Bekenntnis des Stadtverbandes Leipzig zu unseren originären Partnern – den Gewerkschaften, ArbeitnehmerInnen und deren Vertretungen in den Betrieben“, kritisierte Irena Rudolph-Kokot. „Wir werden jetzt noch stärker dafür kämpfen, dass dieser Schulterschluss auch in Leipzig wieder selbstverständlich wird. Auch beim Beschäftigungssicherungstarifvertrag“.

Es ist nicht nur die Bundes-SPD, der ein komplettes Milieu verloren gegangen ist, eigentlich ihr Ursprungsmilieu, mit dem sie einmal groß geworden ist. Zwar haben sich die Milieus aufgesplittert – auch das der Arbeiterschaft. Zwischen prekären Malochern, überlasteten Dienstleistern und gut bezahlten Facharbeitern klaffen auch in Leipzig Welten. Und ein Bemühen, diese auseinanderdriftenden Milieus politisch wieder zu binden, ist in der Leipziger SPD bislang nicht zu sehen.

Fast sieht es so aus, als wolle man das lieber der Linken überlassen.

Aber das ergibt, auch wenn es der alte und neue Vorsitzende des Stadtverbandes, Hassan Soilihi Mzé, so formuliert, noch keine konsistente Kommunalpolitik. Die bindet entweder alle Milieus ein – oder ist selbst nicht eingebunden. Ein Problem, das in den letzten Wahlen für die einst starke Leipziger SPD sehr offenkundig wurde. Ihre Spitzenkandidaten plakatierten mit inhaltsleeren Floskeln, die eine gemeinsame glückliche Wir-Gesellschaft suggerierten, die es so nicht gibt. Auch nie gab. Marketing dominierte über Inhalte.

Und es erstaunt schon, dass es so lange brauchte, bis die Partei merkte, dass damit auch ihre kommunalpolitische Kompetenz verloren geht.

Der Parteitagsmarathon zog sich über mehr als acht Stunden, bis er schließlich am frühen Abend wegen nicht mehr ausreichender Beteiligung unterbrochen werden musste. Die wenigen noch ausstehenden Entscheidungen werde die Leipziger SPD im Oktober nachholen, kündigte Hassan Soilihi Mzé an, die Leipzig-SPD wolle sich außerdem auch weiterhin und verstärkt kommunalpolitisch fokussieren.

Die Anträge, die dann am 24. September im Zentrum standen, erzählen im Grunde noch von der alten SPD-Arbeit im Windschatten eines OBM, der im Grunde sein eigenes Ding macht und in Leipzig ziemlich exemplarisch zeigt, dass die Kopplung zwischen Parteiverband und Spitzenmandatsträger keine starke ist.

Da schillern Themen, die im Stadtrat aufploppen, nun auch noch in Beschlüssen des Kreisverbandes durch.

Der Parteitag beschloss so zum Beispiel Anträge zur Stärkung der lokalen Antiextremismusarbeit, zur Regionalisierung des Kriminalpräventiven Rats in den Stadtbezirken, zur Wahrung der Beschäftigteninteressen der Leipziger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft (LVV) sowie zur verbesserten Honorierung von Dozentinnen und Dozenten an der Leipziger Volkshochschule.

Sind das wirklich die Themen, die die SPD auf kommunaler und Stadtteilebene umtreiben?

Der Antrag „Lokale Extremismusprävention breit und fundiert aufstellen“ lautet zum Beispiel: „Die SPD-Fraktion im Stadtrat von Leipzig wird aufgefordert, in geeigneter Form politisch initiativ zu werden und darauf hinzuwirken, dass die kommunale Beratungsarbeit im Bereich der Extremismus- und Gewaltprävention die bisherige Schwerpunktsetzung zum politischen Extremismus – und hier insbesondere dem Rechtsextremismus – sichtbar erweitert und fundiert um das Spannungsfeld religiös und ethnisch-kulturell motivierten Extremismus ergänzt. Die Ergebnisse der jüngst durch den Stadtrat beschlossenen Studie zu Gewaltpotenzialen in Leipzig sollten dabei in den politischen Erarbeitungsprozess zu gegebener Zeit einbezogen werden.“

Das geht sogar noch hinter das zurück, was der Stadtrat längst beschlossen hat, wo man nicht mal auf die Idee kam, jetzt müsste sich auch noch die Kommune mit „ethisch-kulturell motiviertem Extremismus“ beschäftigen. Was immer das sein soll. Bislang gehen selbst die Verfassungsschützer nur von zwei möglichen Ursachen für „Extremismus“ aus: politischen und religiös motivierten.

Und ob Leipzig damit überhaupt Probleme hat oder ob überhaupt „Extremismus“ der Grund für diverse Gewaltausbrüche ist, weiß niemand. Obwohl der Präventionsrat der Stadt seit 2005 auf dem Gebiet engagiert arbeitet, oder um mal aus einer Vorlage des Ordnungsdezernats zu zitieren: „Der Kommunale Präventionsrat Leipzig initiiert deshalb aktuell in seinem Netzwerk ein Forschungsvorhaben zu den ‚Ursachen urbaner Gewalt in Leipzig‘. Darüber hinaus werden derzeit Möglichkeiten für die Weiterentwicklung der AG Extremismusprävention geprüft. Der Kommunale Präventionsrat Leipzig richtete bereits im Jahr 2005 die Arbeitsgruppe Extremismusprävention ein und verdeutlichte durch diese Schwerpunktsetzung den erkannten  Handlungsbedarf. Diese Arbeitsgruppe erarbeitet eine kommunale Strategie in Form eines ‚Präventionskonzeptes Extremismus in der Stadt Leipzig‘.“

Das ist alles längst beschlossen.

Aber einige Genossen scheinen da auf einem Politikfeld agieren zu wollen, dass traditionell eher eines der besorgten Bürger und der CDU ist. Was auch im Antrag „Stadtbezirksbezogene Regionalisierung der kriminalpräventiven Arbeit“ deutlich wird.

Darin heißt es: „Die SPD-Fraktion im Stadtrat von Leipzig wird aufgefordert, in geeigneter Form politisch initiativ zu werden und auf die Bildung von stadtbezirksbezogen arbeitenden kriminalpräventiven Räten hinzuwirken. Nach dem Vorbild des Kriminalpräventiven Rats für Leipzig sollen diese im Stadtbezirk die unterschiedlichen Akteure aus Polizei, Verwaltung und Zivilgesellschaft – insbesondere auch die Stadtbezirksbeiräte und Ortschaftsräte – zusammenbringen und helfen, die konkreten Problemlagen im Bereich ‚Sicherheit und Ordnung‘ vor Ort zielgerichtet zu lösen.“

Und das nur, weil ein Teil der Leipziger das Thema „Kriminalität und Sicherheit“ derzeit als größtes Problem der Stadt sieht?

Und weil ein paar Medien fortwährend behaupten, nur eine Politik der starken Hand könnte das Problem lösen?

Man staunt, wie recht Irena Rudolph-Kokot mit ihrem Einwurf hat: Das sind doch nicht die wirklichen Probleme der Stadt Leipzig. Und auch nicht die der Erwerbstätigen in dieser Stadt. Selbst der längst vergessene August Bebel wusste besser, dass hinter allen kriminellen Problemen einer Kommune zuallererst soziale Probleme stecken.

Die in Leipzig immer nur zugetüncht werden mit einer Eitel-Sonnenschein-Politik. Das Ergebnis ist eine Stadtgesellschaft, die ihre Integrationskraft verliert und in der sich die Milieus immer weiter entkoppeln – auch weil Parteien nicht mehr als Vermittler und Kommunikationsbasis funktionieren. Das Problem „Sicherheit und Kriminalität“ ist auch ein Problem zunehmender Nicht-Kommunikation: Man gestaltet Stadtgesellschaft nicht mehr vor Ort, sondern redet via Presse und sozialer Netzwerke übereinander.

Wobei sich einige Ortsverbände der SPD längst sehr stark dafür engagieren, dass wieder auf Ortsteilebene gearbeitet wird. Aber die Stadtpartei hat es noch nicht aufgegriffen und dackelt eigentlich eher CDU-Themen hinterher.

Vielleicht ändert sich das mit dem am Samstag neu gewählten und verjüngten Stadtvorstand nun und man lädt künftig auch die wieder ein, denen man sich in den letzten Jahren so entfremdet hat.

Auf ihrem Stadtparteitag wählten die Leipziger Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten am Sonnabend, 24. September, den Historiker Hassan Soilihi Mzé wieder ins Amt des Vorsitzenden. Katharina Kleinschmidt und Dr. Maximilian Rinck werden ihn in den nächsten beiden Jahren als stellvertretende Vorsitzende unterstützen.

Das 15-köpfige Gremium komplettieren Heiko Oßwald als Schatzmeister und André Kupferschmied als Schriftführer sowie die Beisitzerinnen und Beisitzer Brigitte Bauerfeind, Ulrich Hörning, Dr. Jens Katzek, Christina März, Jens Neubauer, Yana Orthey, Michael Schmidt, Leonie Weber, Nicole Wohlfarth und Stephan Zimmer.

Die Beschlüsse des Stadtparteitages.

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Keine Kommentare bisher

Guter Artikel! Und zu recht musste man feststellen, dass Unterschiede zwischen SPD und CDU kaum festzustellen sind. Alle einer Meinung hinter dem OBM…Was will man mehr?

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