Was will Ronald Pohle uns damit sagen, wenn er die Stadt Leipzig für ihre Kriminalitätsbelastung kritisiert? In Leipzig knallen die Diebstahlszahlen durch die Decke. Die Polizei ist unterbesetzt. „Die Diebstahlskriminalität stieg direktionsweit auf 58.159 Fälle (Vorjahr: 51.488 Fälle); ihr Anteil an der Gesamtkriminalität betrug 49,4 Prozent“, meldete die Polizeidirektion Leipzig am 7. April.

„Besondere Zunahmen waren für Diebstahlsdelikte in/aus Boden/Keller/Waschküchen (von 7.244 auf 9.435 Fälle bzw. 30,2 Prozent) und Fahrraddiebstahl (von 8.758 auf 11.610 Fälle bzw. 32,6 Prozent; bei sachsenweit 20.795 Fahrraddiebstählen wurde also mehr als jeder zweite Fahrraddiebstahl im Freistaat im Bereich der PD Leipzig registriert) zu verzeichnen, aber auch beim Diebstahl in/aus Wohnungen (von 2.687 auf 3.022 Fälle bzw. 12,5 Prozent).“

Das ist heftig und braucht eigentlich eine Erklärung.

Eine, so Polizeipräsident Bernd Merbitz, ist das Bevölkerungswachstum. „Nachdem der auf die Polizeidirektion Leipzig entfallende Anteil an der sächsischen Gesamtkriminalität in den letzten beiden Jahren bereits rund ein Drittel betrug, lag er 2016 mit 36,3 Prozent sogar darüber. Die Zahlen bestätigen meine Auffassung, dass die Polizeidirektion Leipzig und insbesondere das Gebiet der Stadt Leipzig in zunehmendem Maße den polizeilichen Handlungsschwerpunkt im Freistaat darstellen. Hier begründet auch das Bevölkerungswachstum, welches in den letzten Jahren deutlich über 10.000 pro Jahr lag und in vergleichbarem Ausmaß noch bis zum Jahr 2030 anhalten könnte, weitere Herausforderungen, denn bekanntlich ging der Polizeistrukturrefom seinerzeit die Prognose voraus, Bevölkerungszahlen und Kriminalitätsrate würden sinken.“

Was er als „polizeilichen Handlungsschwerpunkt“ beschrieb, spitzte Ronald Pohle,  Kreisvorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung MIT Leipzig, Landtagsabgeordneter der CDU und Mitglied im Innenausschuss des Sächsischen Landtages, zum „kriminellen Hotspot Sachsens“ zu.

Wachsende kriminelle Energie?

„Kriminalität beeinflusst das Lebensgefühl der Bevölkerung negativ“, kommentierte er die Zahlen. „Sie untergräbt das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat und seine Institutionen. Sie verschlechtert aber auch maßgeblich unsere wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Gerade Gewerbebetriebe werden immer häufiger Opfer der wachsenden kriminellen Energie.“

Und obwohl er im Innenausschuss des Landtages sitzt und weiß, wie radikal in Sachsen bei Polizeikräften gespart wurde, sieht er nicht den verantwortlichen Innenminister in der Pflicht, sondern die Stadt Leipzig und ihr Ordnungsamt.

„Dass Leipzig davon in immer stärkeren Maße betroffen ist, muss auch der Leipziger Stadtverwaltung, allen voran den Ordnungsbehörden, endlich als Warnruf dienen“, meint der Abgeordnete.

„Wichtig ist, dass die Stadtverwaltung sich ihren Aufgaben als Untere Polizeibehörde und Sicherheitspartner der Polizeidirektion wieder bewusst wird. Als ‚Kreispolizeibehörde‘ ist sie verpflichtet, ein breites Spektrum ordnungsrechtlicher Aufgaben und Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu realisieren. Diese werden hauptsächlich im Ordnungsamt gebündelt und umfassen unter anderem: die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, Beseitigung von Störungen und der Abwehr von Gefahren sowie Präventivmaßnahmen zur Verhinderung und Entstehung von Kriminalität, Gewalt und Verwahrlosung. Um diese Aufgaben zu bewältigen, muss sie die notwendigen finanziellen und personellen Voraussetzungen schaffen. Nur so kann die Polizei besser in die Lage versetzt werden, sich ihren originären Aufgaben zu widmen. Es geht einfach nicht an, dass die Polizeidirektion Leipzig sich nach 22:00 Uhr und an den Wochenenden auf die Klärung von Ordnungswidrigkeiten konzentrieren muss, nur weil die dafür zuständigen Stellen der Stadt Leipzig dann geschlossen sind.“

Und dann wird er ganz politisch und meint: „Die Stadt Leipzig muss sich einfach eindeutiger und aktiver als bisher zu einer Null-Toleranz-Politik gegen jegliche Formen der Kriminalität und Rechtsbeugung bekennen – im Sinne der Leipziger Bürger und im Sinne der Leipziger Unternehmen.“

Einbrecherbanden haben sich auf Leipzig konzentriert

Nur gehört das Aufklären von Diebstahlsdelikten eindeutig nicht zu den Aufgaben des Ordnungsamtes, sondern eindeutig in den Polizeivollzug, der nur der Polizei zusteht.

Dass die Leipziger Polizei durchaus Erfolge verzeichnet, wenn es um das Ausheben von Einbrecherbanden geht, konnte die Polizeidirektion ebenfalls am 7. April vermelden, als man eine georgische Einbrecherbande stellte.

Auch Innenminister Markus Ulbig wies darauf hin, dass Sachsen vermehrt von einreisenden Einbrecherbanden heimgesucht wird. Was er am 29. März noch nicht verriet, war, dass der Anstieg der Anzahl der Wohnungseinbruchsdiebstähle in Sachsen um zehn Prozent auf 4.684 (2015: 4.257) sich vor allem auf Leipzig konzentrierte. „Die sächsische Polizei konnte insgesamt 834 Wohnungseinbrecher ermitteln“, meldete das Innenministerium. „Das sind etwa drei Prozent mehr als noch 2015. Jeder fünfte Tatverdächtige war ein Ausländer. Die Personen stammten überwiegend aus Tunesien, Tschechien und Georgien.“

Innenminister Markus Ulbig: „Für Kriminelle gibt es keine Grenzen. Unser Fokus liegt deshalb auch weiterhin auf der innereuropäischen Zusammenarbeit. Den reisenden Einbrecherbanden wollen wir das Handwerk legen.“

Wobei auffällig ist, dass die Zahl der Straftaten im sächsischen Grenzgebiet deutlich zurückgegangen ist. Das Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum in Leipzig wirkt also mehrfach verstärkend auf die Straftaten. Da ist es umso blamabler, wenn Markus Ulbig sich rühmt: „Dort, wo wir Veränderungsbedarf erkannt haben, handeln wir. So wird das Personal bei der Polizei sukzessive aufgestockt und die Ausstattung Schritt für Schritt erweitert. Diesen Prozess setzen wir im Sinne einer zukunftsorientierten Sicherheitspolitik fort.“

Fakt ist: Dieser Prozess hat 2016 noch gar nicht begonnen. Die Stadt Leipzig musste mit 200 Polizisten weniger auskommen als vor zehn Jahren. Wäre es nach Ulbig gegangen, hätte er mit dem Abbau von Polizeikräften einfach weitergemacht. Erst die SPD als Juniorpartner in der Koalition hat den Unfug beendet.

Was Leipzig noch nicht hilft.

Leipziger Verhältnisse?

Schon im September hat sich Oberbürgermeister Burkhard Jung ziemlich deutlich über Ulbigs verfehlte Politik geäußert und deutlich mehr Polizisten für Leipzig gefordert. Denn Ulbig besaß sogar noch die Chuzpe, lautstark von „Leipziger Verhältnissen“ zu reden, obwohl das Problem eindeutig etwas mit seiner Polizeisparaktion zu tun hat. Denn wenn die Polizeikräfte fehlen, Einbruchsserien aufzuklären und Diebesbanden dingfest zu machen, dann nutzen die das logischerweise als Freiraum. Und es sind nicht mögliche Ordnungsamtskräfte, die nach 22 Uhr noch durchs Stadtgebiet patrouillieren, die das ändern können. Das braucht eine einsatzbereite und personell gut ausgestattete Polizei.

Wenn Ronald Pohle jetzt wieder auf die auch vom Freistaat finanziell knapp gehaltene Stadt Leipzig weist, dann ist das unübersehbar wieder ein Versuch, den überforderten Innenminister aus der Schusslinie zu nehmen.

Oder um noch einmal Burkhard Jung vom September 2016 zu zitieren: „Nur eine Zahl: 2.189. Das ist die Zahl der Überstunden, die die Polizisten in der Stadt Leipzig im vergangenen Monat vor sich hergeschoben haben. Das ist seit Jahren so, und das weiß im Innenministerium auch jeder. Allein: es tut sich nichts. Der Stellenabbau bei der Polizei ist zwar sachsenweit gestoppt. Aber dadurch ist noch nicht eine einzige Stelle neu hinzugekommen. Allein in Leipzig als am schnellsten wachsende Stadt in Sachsen bräuchten wir 200 zusätzliche Stellen bei der Polizei, um die eklatantesten Mängel abstellen zu können.“

Und da hat auch Jung noch nicht einmal den Bedarf der gewachsenen Stadt eingerechnet.

Und Tatsache ist: Die Sache mit den Überstunden hat sich weiter verschärft, klares Zeichen dafür, dass Leipzigs Polizei unterbesetzt ist. Im März schoben die Beamten der Polizeidirektion Leipzig einen Berg von 20.727 Überstunden vor sich her. Und am heftigsten betroffen war die Kriminalpolizeiinspektion – genau jene Truppe, die eigentlich für das Aufklären von Straftaten zuständig ist. Dort hatte man 5.567 Überstunden aufgehäuft.  Dafür liegt die Verantwortung beim CDU-Minister in Dresden.

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