Für FreikäuferSperrstunden stammen noch aus einer Zeit, als die Polizei bestimmte, wann der Bürger brav nach Hause zu gehen habe. Aber das Leben gerade der jungen Bürger hat sich so gründlich verändert, dass viele beliebte Clubveranstaltungen meist sogar erst beginnen, wenn die Nacht richtig tief ist. Dass Leipzig immer noch eine Sperrstunde hat, finden jetzt gleich drei Stadtratsfraktionen reif für die Mottenkiste. Und sie begründen es auch.

Den Antrag zur Abschaffung der Leipziger Sperrstunde laut Sächsischem Gaststättengesetz, die tatsächlich nur noch eine Stunde in den frühen Morgenstunden ist, haben SPD-Fraktion, Grüne- und Linksfraktion gemeinsam gestellt.

„Leipzig steht für eine bunte und vielfältige Clubkultur die viel zum positiven Image und zum Wachstum beigetragen hat. Umso wichtiger ist es, die Clubs zu schützen und die Sperrstunde endlich abzuschaffen“, erklärt Norman Volger, Fraktionsvorsitzender der Grünen zum gemeinsamen Antrag.

Es hat auch ein Stück weit mit der gern beworbenen „Leipziger Freiheit“ zu tun.

Die Stadt Leipzig hat in den letzten Jahren in ihren eigenen Publikationen damit geworben, dass es in Leipzig keine Sperrstunde gibt. Aus gutem Grund, denn diese Lösung ist attraktiv für Kreative, Kulturschaffende und subkulturelle Akteure. Diese sind essentiell für eine bunte, vielfältige und lebendige Stadt, die Leipzig gerne sein möchte. Aktuell wird allerdings gegen die Kultureinrichtung und den Club „Institut für Zukunft“ mit dem Verweis auf die Sperrstundenregelung im sächsischen Gaststättengesetz vorgegangen. Laut § 9 Abs. I SächsGastG ist die Sperrstunde in Sachsen zwischen 5 und 6 Uhr von Gaststätten und öffentlichen Vergnügungseinrichtungen einzuhalten, wobei im Gesetz den Kommunen eine eigene Regelung überlassen wird.

Die Sperrstunde ist eine veraltete Regelung, die nicht mehr den Gegebenheiten städtischer Kultur, insbesondere dem Nachtleben und zeitgemäßen Lebensentwürfen entspricht, finden die Grünen. Deswegen haben eine Reihe von Bundesländern gar keine Sperrstunde mehr, die dadurch besonders attraktiv für Subkultur, Kreative und Kulturschaffende sind. Ihre konsequente Durchsetzung würde vielen Kulturstätten in Leipzig die Existenzgrundlage nehmen, was nicht nur die Gefährdung von Arbeitsplätzen sondern vielmehr einen unwiederbringlichen kulturellen Verlust für Leipzig bedeuten würde, so die Grünen. Dem Ruf der Stadt würde damit immenser Schaden zugefügt.

Bleibt noch das einzige Argument zur Beibehaltung der einen Sperrstunde: mögliche Lärmbeschwerden.

„Die Sperrstunde ist für die Durchsetzung der Nachtruhe nicht das geeignete Mittel“, meint Norman Volger. „Alle Clubgänger*innen um 5 Uhr vor die Tür zu setzten wäre eher eine Katastrophe für den Nachtschlaf Vieler als eine Erleichterung. Die von den Clubbetreibern selbst vorgeschlagene Beschwerdehotline direkt in den Club, um Lärmbeschwerden zu begegnen, ist da das viel bessere Mittel.“

Die Sperrstunde war im Frühsommer wieder in die Diskussion gekommen, als das Gewerbe- und Sicherheitsamt der Stadt Leipzig das „Institut für Zukunft“ (IfZ), ein renommiertes Zentrum für elektronische Kultur und Bildung, aufforderte, die Sperrstunde einzuhalten.

Ganz unbürokratisch kann die Sperrstunde von der Gemeinde „bei Vorliegen eines öffentlichen Bedürfnisses oder besonderer örtlicher Verhältnisse“ (§ 9 Absatz 2 Nummer 1 des Gaststättengesetzes) aufgehoben werden. Der gemeinsame Antrag, der in der kommenden Ratsversammlung eingebracht wird, fordert die Stadt auf, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen.

„Die Sperrstunde gehört endlich in die Mottenkiste. Sie ist überflüssig und wurde gegen das IfZ nur aufgrund vermeintlicher AnwohnerInnenbeschwerden eingesetzt“, sagt auch Juliane Nagel, Stadträtin der Linksfraktion. „Die Beschwerdeführer lassen sich inzwischen allerdings nicht mehr auffinden. Besonders absurd ist, dass die Stadt, die an verschiedensten Stellen aus wirtschafts- und tourismuspolitischen Erwägungen schon damit warb, die Sperrstunde nicht mehr anzuwenden, diese Aussage angesichts der Debatte um das Institut für Zukunft revidierte.“

Mit dem Antrag gehe es nicht nur um die Zukunft des „Institut für Zukunft“. Es brauche Klarheit und Planungssicherheit für alle kulturellen und gastronomischen Einrichtungen der Stadt und die sei nur mit der Aufhebung der Sperrstunde zu erreichen.

„Nicht zuletzt wirkt dieses Instrument insbesondere für Nacht-Betriebe geschäftsschädigend“, sagt Nagel. „Sie kann dazu führen, dass BesucherInnen den Clubs, Discos oder Kneipen den Rücken kehren, was für jene zum Wegbrechen von Einnahmen, von Arbeitsplätzen und im schlimmsten Fall zur Schließung führen kann. Die Sperrstunde ist ein Hemmschuh für das Nachtleben, für Kreativität und Kultur. Es steht der Stadt Leipzig gut zu Gesicht, sich diesem Instrument zu entledigen. Die Linksfraktion appelliert zudem an die zuständigen Stellen der Stadt, auf die Durchsetzung der Sperrstunde bis zur Entscheidung des Stadtrats über den Antrag der drei Fraktionen zu verzichten!“

Und auch SPD-Fraktionschef Christopher Zenker findet, dass eine Sperrstunde einfach nicht mehr zu einer modernen Großstadt passt: „Anfang Juli, als die Diskussion um die Sperrstunde aufkam, hatte ich angekündigt, dass wir eine politische Initiative anstoßen werden, um die Sperrstunde in Leipzig aufzuheben, sofern die Verwaltung nicht von sich aus entsprechend handelt.“

Aber die Verwaltung hat da ein Problem: ein Ordnungsamt, das lieber alte Regeln behalten will und schon mehrfach negativ aufgefallen ist, wenn es um die Regelung jugendlichen Lebens in Leipzig ging. Mit „konservativ“ ist die Amtsführung wahrscheinlich noch sehr schmeichelhaft umschrieben.

Also muss der Stadtrat selber ran.

„Da das Ordnungsamt an der Durchsetzung der Sperrstunde festhalten möchte, haben wir nun einen Antrag ins Ratsverfahren gegeben, durch den die Sperrstunde in Leipzig aufgehoben werden soll. Mit einer Sperrstunde löst man keine Lärmprobleme, denn entsprechende Grenzwerte sind unabhängig von der Uhrzeit einzuhalten“, geht Zenker auf das Grundthema ein. „Bis zur abschließenden Beschlussfassung sollte die Stadtverwaltung auf die Durchsetzung der Sperrstunde verzichten.“

Nachvollziehbar ist auch für ihn, dass Clubs und Diskos mindestens eine Stunde pro Tag schließen müssen, um Reinigungs- und eventuelle Wartungsarbeiten durchzuführen. Nicht nachvollziehbar sei allerdings, weshalb die Einrichtungen das nicht selbst entscheiden können sollten.

Aber zurzeit versuchen einige Ämter kraft ihrer Entscheidungshoheit, auf eigene Faust eine hartleibige Ordnungspolitik in Leipzig durchzusetzen. Ohne wirkliche Kommunikation mit den Betroffenen und ganz sichtlich gegen den Willen der Stadtratsmehrheit.

„Leipzig hat jahrelang sehr gut ohne eine geregelte Sperrstunde gelebt, weshalb jetzt dieses Relikt aus vergangenen Tagen wiederbelebt werden soll, ist mir ein Rätsel“, erklärt Zenker und hebt abschließend hervor: „Das Leipziger Nachtleben ist ein Teil dessen, was unsere Stadt so attraktiv macht. Wir verschenken uns hier ein großes Stück der Leipziger Freiheit.“

Der gemeinsame Antrag zur Aufhebung der Sperrstunde nach Sächsischem Gaststättengesetz.

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