Das wird ein turbulentes Jahr, dieses 2018. Da wird nämlich ein gewisser Karl Marx 200 Jahre alt. Und in Leipzig wird dann wohl eine weitere Gedenktafel enthüllt, die daran erinnert, dass hier einst der erste Band des „Kapital“ gedruckt wurde. Wofür das Leipziger Kulturdezernat jetzt Spenden sammelt. Was ja eine vernünftige Idee ist: Die Bürger finanzieren das Erinnern selbst. Aber der Spendenaufruf ruft jetzt CDU-Mann Michael Weickert auf den Plan.

„Ärger um Gedenktafel für Marx: CDU fordert Stopp der ‚Bettelei‘“, titelte die LVZ am Donnerstag, 21. Dezember. Und zitierte Michael Weickert, Stadtrat der CDU-Fraktion im Leipziger Stadtrat mit den Worten: „Frau Dr. Jennicke unterläuft den Ratsbeschluss, sich kritisch mit Karl Marx auseinanderzusetzen. Es zeigt sich, dass sie eine Schülerin aus der Kaderschmiede von Stasi-Külow ist. Hinter ihrer linksbürgerlichen Fassade verbirgt sich der Ungeist des Kommunismus. Der OBM sollte dafür Sorge tragen, dass diese Bettelei für Marx auf der Internetseite verschwindet.“

Ursprünglich stand im Ratsbeschluss, 2018 auch Karl Marx zu würdigen, natürlich nichts von besagter „kritischer Auseinandersetzung“. Das hat erst die CDU-Fraktion mit ihrem Änderungsantrag hineingebracht, wo es hieß: „Das Thema ‚Marx und Leipzig‘ wird in den Themenkatalog für die Erarbeitung des fachübergreifenden Konzeptes zur Erinnerungskultur der Stadt Leipzig aufgenommen und dabei ausdrücklich auch die Folgen der von Marx begründeten Ideologie während der über 40-jährigen SED-Diktatur berücksichtigt.“

Warum man Marx immer wieder für das mitverhaftet, was die weit nach seinem Tode folgenden Ideologien draus gemacht haben, erschließt sich nicht wirklich. Mit einem völlig aus dem Kontext gerissenen Zitat hatte die CDU-Fraktion Marx regelrecht zum Urvater des Terrorismus stilisiert.

Darüber haben wir berichtet.

Aber das hielt etliche Nicht-CDU-Stadträte nicht davon ab, diesem Änderungsantrag zuzustimmen. Für Weickert ist das nun ein Argument, gegen die Spendensammlung zu wettern: „Dabei unterschlägt das Kulturdezernat den Ratsbeschluss!“ Was er damit meint, steckt in seiner Forderung, dass die Kulturbürgermeisterin bitte auch im Spendenaufruf „ausdrücklich auch die Folgen der von Marx begründeten Ideologie während der über 40-jährigen SED-Diktatur“ berücksichtigen sollte.

Eigentlich ein Punkt, an dem wenigstens die Leipziger SPD aufschreien sollte. Denn die „Ideologie“, die Marx begründet hat, war mal das, was den Wesenskern der Sozialdemokratie ausgemacht hat. Aber in Leipzigs SPD-Fraktion liest man Marx ja auch nicht. Man überlässt den Mann mit seinen vielen ungelesenen Schriften lieber der Inquisition aufgeregter Bürger, die schon Panik bekommen, wenn es um eine Gedenktafel geht.

Ärgern müsste sich eigentlich die Linksfraktion. Die hatte ursprünglich beantragt, für „Das Kapital“ noch eine Gedenktafel aufzuhängen. Was dann zu dem durch die CDU verschlimmbesserten Beschluss im Oktober führte.

„Die jüngste Stellungnahme aus den Reihen der Leipziger CDU dokumentiert allerdings, dass die Christdemokraten diesen demokratischen Beschluss nicht ‚verdaut‘ haben und verzweifelt versuchen, die Sicht auf die Leipziger Geschichte ausschließlich in ihrem konservativen und antikommunistischen Sinne zu dominieren“, kommentiert jetzt Sören Pellmann, der Fraktionsvorsitzende der Linken, die Skandalgeschichte.

„Die CDU hat in ihren bisherigen Beiträgen und Reden kaum ein Verhältnis zur Multiperspektivität von Geschichte gezeigt, sondern ist völlig im einfachen Schema des Schwarz-Weiß-Denkens gefangen. Es gibt historisch nur Gut und Böse, kaum Graustufen. Anerkannte Kompetenz und demokratisches Bekenntnis werden verschwörungstheoretisch als Fassade bezeichnet. Dabei ist man typischerweise zur eigenen jüngeren wie älteren Vergangenheit vollkommen unkritisch – siehe CDU-Vergangenheiten Ost wie West oder die Person Helmut Kohl – attackiert aber Die Linke bei jeder unpassenden Gelegenheit mit unqualifizierten Anfeindungen auf die Biografien ihrer Mitglieder. Dabei kennt man keine Schamgrenze bei denunziatorischen Zuschreibungen und Etikettierungen.”

In Richtung derer, die dabei am lautesten fiedeln, gibts von Pellmann noch ein paar Anmerkungen zum Umgang mit dem Thema 89 in der CDU: “Insbesondere tun sich dabei jene hervor, die aus Jugend- oder Herkunftsgründen kaum persönliche Erfahrungen mit dem Herbst 1989 oder gar der DDR gemacht haben; gerade diese spielen sich jedoch mit künstlichem Pathos als Mahner und Anwalt der Entrechteten sowie noch lieber als Ankläger auf. Die neuerliche Attacke auf die Kulturbürgermeisterin demaskiert daher nicht Frau Dr. Skadi Jennicke, sondern das verleumderische Niveau dieses bösartigen Angriffs, den wir in aller Entschiedenheit zurückweisen.“

Auch recht große Worte.

Aber vielleicht steckt tatsächlich die alte Angst vor dem Rauschebart dahinter, der sich ja bekanntlich einen Spaß daraus machte, die braven Bürger zu erschrecken. Denn irgendwie scheint ja doch zuzutreffen, was auf der Homepage der Stadt Leipzig zu lesen steht, dass Marx noch immer „als einer der weltweit einflussreichsten politischen Denker des 19. und 20. Jahrhunderts“ gilt. Was ja wohl zu stimmen scheint. „Bis heute werden seine Theorien kontrovers diskutiert“, schreibt Wikipedia. Was schon einiges heißen will für einen Mann, der 1818 in Trier geboren wurde.

„Ein Gespenst geht um in Leipzig, das Gespenst einer Marx-Gedenktafel“, sagte Pellmann noch.

Ein erstaunlich lebendiges Gespenst.

Vielleicht sollte man jetzt „Huih!“ sagen?

Oder – wie die LVZ – einfach das Spendenkonto angeben:

Stadt Leipzig,
IBAN: DE76 8605 5592 1010 0013 50,
BIC: WELADE8LXXX,
Betreff: VG 5.0451.000065.8

Man kann sich zudem auch “Das Kapital”, wenn einem das Lesen der über 2.000 Seiten zu lang vorkommt, aber auch in modernen zeiten im Netz anhören. Zeit über Weihnachten wäre ja?

Fast so etwas wie eine Geburtstagsausgabe – Die neue LZ Nr. 50 ist da

Über das Trotzdem-Zeitungmachen, alte Sachsen-Seligkeit, die Bedeutung des Kuschelns und die Träume der Leipziger

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Es gibt 6 Kommentare

Wenn des CDU-Stadtrates Michael Weickerts erklärtes Ziel “Das Ende der rot-rotgrünen Mehrheit im Stadtrat” ist, werden damit auch seine aggressiven Methoden gegen Anders als er Denkende verständlicher.
Es geht ihm offensichtlich nicht darum, demokratische Prozesse konstruktiv mitzugestalten, sondern im Gegenteil einzelne Personen zu diskreditieren und damit in ihrer Arbeit für die Gesellschaft zu behindern.
Und als Aufsichtsratsmitglied der LWB (seit 21.01.2015) so:
Die LWB soll erst höherpreisigen Wohnraum schaffen, und dann mit dessen Gewinn Sozialwohnungen bauen. Oder mit einem Zuschuss des Stadtrates. Da er ja aber auch daran arbeitet, die L-Gruppe irgendwie(?) zu zerlegen und extra noch auf folgenden Feldern tätig ist:
Ausschussmitglied (seit 18.12.2014) BA Kulturstätten, FA Jugend, Soziales, Gesundheit und Schule, FA Kultur, AG Schulnetzplanung;
Stiftungsrat Bach-Archiv (seit 25.02.2015);
Vertreter im Verwaltungsausschuss, BA Eigenbetrieb Engelsdorf, BA Jugend, Soziales, Gesundheit, Jugendhilfeausschuss, FA Umwelt und Ordnung, FA Wirtschaft und Arbeit;
Beirat für Tierschutz.

..hat er da als Lehramtsstudent für Geschichte (10. Semester?) vermutlich sehr umfassende Pläne seine Ziele durchzusetzen.. Und die CDU-Spitze im Bundestag will er ja auch noch austauschen, also “Merkel, Altmaier, Tauber” gegen Friedrich Merz für mehr marktwirtschaftliches Profil.. und Conne Island und Werk 2 werden ja auch immer noch gefördert..

Aber den Philosophen Karl Marx in der Rückschau über die Ideologie des Marxismus-Leninismus-Stalinismus begreifen zu wollen..
ist rgendwie gefühlt so, als ob ein unreifer Boygroup-Sänger mit seiner Groupie-Erfahrung, die Liebe erklären wöllte.

Naja, vieleicht hat er ja Karl Marx mit Kardinal Reinhard Marx verwechselt, wegen des C vor DU, also der christliche Anspruch der Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe, was zu viel ist, ist zu viel..

http://www.sonntagsblatt.de/artikel/meinung/kardinal-marx-ueber-karl-marx-und-das-kapital

PS: Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit 😉

Achja, und das Jugendparlament mag er auch nicht, Stura und Bürgerbeteiligung grundsätzlich wohl auch nicht, die ‘Willensbildung durch Parteien’ reicht vollkommen aus und wenn er das mit rot-rotgrün erledigt hat..

Also lt. eigener facebook-Aussage ist Michael Weickert ein Flüchtling aus wirtschaftlichen Gründen:
“Ich bin im Oktober 89 in Borna geboren, meine Familie stammt aus Mitteldeutschland und zog 1990 nach. Niedersachsen, da die SED-Diktatur unsere Heimat heruntergewirtschaftet hatte und es keine Perspektiven für junge Familien gab.”
Und sein DDR-Bild wurde in der “Stasigedenkstätte Hohenschönhausen” als Schüler geprägt.

Im vermutlich 10. Semester Geschichte auf Lehramt studierend, wohl 2012 wieder “eingereist”.
Also wahrscheinlich auch so ein “bundesland-fremder” Student, dem das arme Sachsen sein Studium finanzieren musste..

https://www.facebook.com/weickertmichael/posts/1912386209022557

Wer viel zu kurz gefasste Termini wie “Stasi-Külow” verwendet und den Kommunismus per se als “Ungeist” bezeichnet, statt sich konkret auf das im Namen des Kommunismus massenhaft betriebene Unrecht zu beziehen, hält so eine kleine Spitze wie “zugezogen” schon aus, Herr Freitag. Aber nett, dass Sie für den CDU-Nachwuchs in die Bresche springen. Und wenn er sich der Kapitalismuskritik von Marx nähert, wird er aktuell auch Empathie für die Siemens-Mitarbeiter aufbringen. Die haben gerade politisches Engagement dringend nötig.

Ich denke, dass die Beschreibung “zugezogen” etwas abwertend ist. Dass Herr Weickert sich hingegen mal die Zeit nehmen könnte, Marx selbst zu lesen oder halt die schnelle Variante hier: https://www.l-iz.de/bildung/buecher/2017/12/Ein-Gespenst-geht-grinsend-um-in-Europa-ein-Gespenst-namens-Karl-Marx-200681 zu erwerben, halte ich für nicht unwichtig. Ebenso ist eine tiefere Befassung mit der DDR vielleicht nicht ganz schädlich (um die logischen Unterschiede zu bemerken).

Es scheint ihn ja zu bewegen, da darf man ein bisschen Interesse erwarten. Oder eben wenigstens das Kapital als Hörbuch. https://archive.org/details/Marx-Kapital

Ist ja Zeit über den Jahreswechsel.

Ein Gepenst geht um in Trier, das der Großzügigkeit. China wird der Stadt bald ein Marx-Denkmal schenken, Die Bürger werden nicht zu einer Geldsammlung aufgerufen. In Leipzig geht es um eine Schrifttafel,
und da will der Lehramtsstudent Michael Weickert, dass man diese besudelt, bevor man sie graviert und zum Gedenken an die liberale Buchstadt, die das Manifest des Philosophen Karl Marx sozusagen in Blei goß, anbringt.
Kein Geringerer als Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) hat im Frühjahr 1990 den heutigen Augustusplatz, der zu der Zeit noch Karl-Marx-Platz hieß, als Bühne ausgewählt, Um aber nicht mit Marx in einem Atemzug genannt zu werden, ließ er für seine Wahlplakate den Ort in “Platz vor der Oper” umtaufen. Da steckte der zugezogene Jungstadtrat Weickert noch nicht mal in den Kinderschuhen – und doch die Kohlschen passen ihm.

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