Dass unsere Zeit derart heillos ist, hat vor allem damit zu tun, dass sie ihren Bewohnern kaum noch unangetastete Räume lässt, in denen nicht konsumiert werden muss, in denen nicht das Gesetzt der ewigen Jagd gilt. Was viele Leipziger auch gemerkt haben, als ab dem 24. Dezember der Lärm der Märkte endlich verstummte und so mancher daheim saß und merkte, was für ein Reichtum es ist, wenn man einmal nichts erledigen und kaufen muss. Außer Einem. Der bekommt vom Trubel einfach nicht genug.

Das ist der CDU-Stadtrat Ansbert Maciejewski. Kaum waren die „stillen Tage“ von 2017 vorbei, setzte er sich hin und äußerte per Stadtratsanfrage sein Unverständnis darüber, dass der Leipziger Weihnachtsmarkt vorm Heiligabend endete und nicht einfach weiterging wie anderswo.

„Der Leipziger Weihnachtsmarkt schließt traditionell vor Weihnachten. In einigen anderen Städten werden die Weihnachtsmärkte jedoch auch nach den Feiertagen, teils in verkleinertem Umfang fortgeführt“, stellte er fest und ließ dann Fragen folgen, mit denen er erkunden will, inwieweit die Stadt Leipzig bereit wäre, den Weihnachtsmarkt über die Festtage hinaus fortzusetzen: „Hält die Stadtverwaltung eine Verlängerung des Leipziger Weihnachtsmarktes für sinnvoll? Falls nein, aus welchen Gründen? Falls ja, ab wann wird der Leipziger Weihnachtsmarkt auch nach den Weihnachtsfeiertagen geöffnet sein?“

Es ist übrigens dasselbe Streitthema wie bei den verkaufsoffenen Sonntagen, wo die Partei mit dem C ebenfalls nicht als Verteidiger einer verkaufsfreien Zeit auffiel. Wobei eifrige Leser der Bibel ja wissen, dass das Ruhegebot am Sonntag nicht nur dem Lobpreis Gottes galt, sondern auch der Erholung und Bewahrung der Arbeitskraft.

All jene Verkäuferinnen, die an solchen Tagen antanzen müssen, um die Konsumfreuden der Bürger zu erfüllen, wissen ein Lied davon zu singen – die Krankenkassen übrigens auch. Denn eine Gesellschaft, die nicht mehr schläft und keine Ruhepausen mehr kennt, leidet unter einer zunehmenden Zahl psychischer Belastungen.

Die verkaufsoffenen Sonntage und eine Ausweitung des Weihnachtsmarktbetriebs greifen genau in diese geschrumpften Ruheräume ein, setzen – um es einfach mal betriebswirtschaftlich zu beschreiben – freie Zeit und öffentlichen Raum „in Wert“, machen also Räume, die vorher frei und ungenutzt waren, zum Teil ihres Business. Wer sich an solchen Tagen in die Stadt wagt, weiß, was das bedeutet an Ruhelosigkeit, Hektik, Gedrängel, Aggression … städtischer Raum wird regelrecht verkonsumiert.

Manchen gefällt das. Vielleicht, weil sie keinen Raum der Stille brauchen. Weil sie gar nicht mehr wissen, was das ist oder gar in Panik geraten, wenn sie am zweiten Feiertag merken, dass ihr Leben keinen tragenden Inhalt mehr hat.

Was ja der Dauerkonsum, in dem man sich mit lauter Dingen eindeckt, die man eigentlich gar nicht braucht, zudeckt, solange die Lichter glühen und die Himmlische Musik aus den Lautsprechern quillt, zeigt. Von der vielbeschworenen Einkehr des Festes bleibt da nicht viel übrig. Eher kommt die Krankheit unserer Tage zum Vorschein: Die permanente Unruhe, angefixt übers Jahr von einem Dauerstrom an schreienden Nachrichten und Angeboten.

Und dann auf einmal diese schrecklichen stillen Tage.

In denen die einen so entsetzt sind, weil ihnen partout nichts einfällt, was sie mit sich anfangen könnten. Und die anderen froh sind, dass einmal ein paar Tage lang niemand nach ihnen klingelt.

Es wird ganz bestimmt spannend, was Leipzigs Verwaltung dazu sagt, auf welcher Seite der Verwertungsmaschine sie mittlerweile steht. Bislang fiel sie nicht gerade dadurch auf, dass sie bereit war, öffentliche Räume vor Lärm und Dauerkonsum zu schützen. Im Gegenteil: Sie hat immer mehr Dauerfeste in die kleine Innenstadt hineingestopft und damit auch Orte und Zeiten „in Wert“ gesetzt, die vorher auch mal zum Flanieren einluden. Wozu heute viele Innenstadtstraßen nicht mehr einladen. Mancher hält das dann für das Flair einer Großstadt, wenn sich 2 Millionen Menschen durch ein flirrendes Budenmeer schieben.

Natürlich steht da auch die Frage im Raum: Wem gehört eigentlich die Stadt? Und was davon ist bei all dem Marktrummel noch erlebbar?

Wenn Leipziger träumen: Olav Amende „Leipzig könnte ein Versuchsfeld der Langeweile sein“

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Häh?!
Die Präambel des WTNK beschreibt die “Inwertsetzung” der Natur, des Leipziger Auwaldes, seiner Gewässer.
Das WTNK ist eine “Inwertsetzungsanleitung und -androhung”. Für eine motorisierte Gewässernutzung. Daran wird seit 1995 “gearbeitet”. Es gibt keinen nennenswerten Protest (abgesehen von MdL Günther – Grüne) dagegen. Vielmehr fraktionsübergreifende Zustimmung.

Wenn für eine (vermeintliche) touristische Nutzung selbst Natur “in Wert” gesetzt wird – ja was passiert denn dann mit der Stadt?!

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