Falsches Denken führt zu falschen Entscheidungen. Das gilt auch für die 70 Mitglieder des Leipziger Stadtrates. Es genügt nicht, immer nur den immer gleichen Argumenten von Verwaltungen zu lauschen und dann zu nicken. Die Entscheidung am 28. Februar, zum Lesefestival „Leipzig liest“ einen Verkaufsoffenen Sonntag zu beschließen, war falsch und ignorant. Nicht nur den Beschäftigten in den Einzelhandelseinrichtungen gegenüber.

Das Oberverwaltungsgericht Bautzen (OVG) hat der am Montag, 12. März, eingereichten Klage der Gewerkschaft Verdi gegen den Beschluss des Leipziger Stadtrats vom 28. Februar 2018 zur „Verordnung der Stadt Leipzig über das Offenhalten von Verkaufsstellen an Sonntagen im Jahr 2018 aus besonderem Anlass des Lesefestivals ‚Leipzig liest‘ der Leipziger Buchmesse“ stattgegeben, teilte am Donnerstag die Stadtverwaltung mit. Somit wird es am kommenden Sonntag, den 18. März, keine Sonntagsöffnung im Zentrum geben.

„Ich bedaure sehr, dass das Gericht unserer Argumentation nicht gefolgt ist und am kommenden Sonntag die Geschäfte trotz der Buchmesse geschlossen bleiben“, meinte Uwe Albrecht, Bürgermeister für Wirtschaft und Arbeit, dazu. „Dies ist besonders für die betroffenen Geschäfte, die vielen Messebesucher und den Einkaufsstandort Leipzig bedauerlich.“

Falscher geht’s nicht. Die Messebesucher kommen nicht nach Leipzig, um sich die Shopping-Tüten zu füllen. Auf die Idee kann nur eine Verwaltung kommen, die keine Bücher mehr liest.

Schon am 1. März hatte die Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen der Leipziger SPD den Stadtratsbeschluss zur Ladenöffnung am Buchmesse-Sonntag kritisiert.

Schon der Verweis auf das Lesefest sei schlichtweg falsch.

Laut Programm von „Leipzig liest“ und Buchmesse finden am Sonntag, 18. März, zwischen 10 und 18 Uhr, also zu den avisierten Öffnungszeiten in der Innenstadt, genau 46 Veranstaltungen im Leipziger Stadtgebiet – außerhalb der Messe – statt. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum gibt es laut Messeprogramm 509 Veranstaltungen auf dem Messegelände.

„Wo der Schwerpunkt der Buchmesse liegt, ist damit eindeutig“, erklärte Jadranka Cesljarevic, Vorsitzende der AfA Leipzig. Und: Von den 46 Veranstaltungen, die nicht auf dem Messegelände stattfinden, finden nur 14 im Leipziger Zentrum statt, für welches die Sonderöffnung erlaubt wurde.

„Bei dieser Zählung waren wir schon sehr großzügig und haben auch Stadtführungen sowie Führungen durch Dauerausstellungen in den Museum mitgezählt“, so Cesljarevic weiter. „Bei allem Erfolg, den wir den Veranstaltern dieser 14 Veranstaltungen wünschen, kann man doch nicht ernsthaft davon ausgehen, dass sie Besucherströme auslösen, die größer sind, als diejenigen, die aus der Ladenöffnung selbst resultieren. Aber genau das hat das Oberverwaltungsgericht erst im Dezember zum entscheidenden Kriterium gemacht. Nur wenn belastbare Zahlen über zu erwartende Veranstaltungsbesucher vorliegen, die glaubhaft zeigen, dass mehr Menschen durch die Veranstaltungen angezogen werden, als durch die geöffneten Läden, ist eine Ladenöffnung am Sonntag gestattet.“

Die Verwaltung hat ihre Zahlentrickserei in der Vorlage sogar noch gelb unterlegt, sodass die Stadträte glauben mussten, es ginge um fast 40.000 Menschen, die es an diesem Sonntag in die City zieht nur wegen der dortigen Lesungen: „Auf das gesamte Stadtgebiet entfallen 33 Veranstaltungen des offiziellen Lesefestivals ‚Leipzig liest‘, deren Veranstalter in vertraglicher Bindung mit der Leipziger Messe stehen. Davon finden 16 Veranstaltungen im Ortsteil Zentrum statt. Ergänzend hierzu werden sich auch weitere Einrichtungen des Ortsteils Zentrum im Rahmen des Leipziger Lesefestivals ‚Leipzig liest‘ mit eigens initiierten Autorenrunden, Lesungen und Buchvorstellungen präsentieren. Dabei wird davon ausgegangen, dass diese Veranstaltungen zahlenmäßig mindestens genauso stark vertreten sein werden, wie die über das offizielle Lesefestival ‚Leipzig liest‘, so dass mindestens 32 Veranstaltungen an besagtem Sonntag im Ortsteil Zentrum stattfinden werden. Wird von einer ungefähr gleichmäßig verteilten Besucherzahl auf vorgenannte Veranstaltungen ausgegangen, werden die Veranstaltungen im Ortsteil Zentrum ca. 38.720 Besucher anziehen.“

Wer in Mathematik ein bisschen aufgepasst hat, kommt hier auf die erstaunliche Zahl von 1.210 Besuchern pro Veranstaltung. Bei Lesungen! Die Vorlage ist eine einzige Trickserei. Wenn im Schnitt 100 Besucher auf eine Lesefest-Veranstaltung kommen, ist das viel und freut alle Veranstalter. Aber das ergäbe nur die zarte Zahl von 3.200 Menschen, die am Sonntag wegen des Lesefestes in die Innenstadt kommen.

Mit breiter Brust hatte das Dezernat für Umwelt, Ordnung, Sport in seiner Stadtratsvorlage formuliert: „Nach Einschätzung entsprechend der Gesamtumstände wird die Ladenöffnung am 18.03.2018 lediglich als Anhang zur anlassgebenden Veranstaltung erscheinen; d. h., die öffentliche Wirkung des 18.03.2018 wird durch das Lesefestival ‚Leipzig liest‘ der Leipziger Buchmesse und nicht durch die Ladenöffnung geprägt sein.“

Es finden sich auch noch etliche verschwurbelte Ausführungen zu den „prägenden Märkten“ in der Vorlage, die dem Leser assoziieren, das Lesefest sei irgendwie ein großer Markt, zu dem die Menschen zu Tausenden strömen – um dann quasi im Vorbeigehen auch noch die Shopping-Malls und Kaufhäuser zu besuchen.

Ein Argument, das man vielleicht hätte bringen können, wenn es in Leipzig zur Buchmesse eine Art großen Buchbasar gäbe, auf dem die Leipziger die neuesten Bücher kaufen können.

„Es ist offensichtlich: Die Buchmesse dient als Vorwand, um die Läden in der Innenstadt zwei Wochen vor Ostern öffnen zu können. Das aber ist kein gerichtsfester Grund, um Verkäuferinnen und Verkäufer und deren Familien die nötige Erholung und Sonntagsruhe zu rauben. Wir unterstützen daher ver.di, die entsprechende Verordnung vor dem Oberverwaltungsgericht prüfen zu lassen. Die Stadtverwaltung könnte sich diese weitere Klatsche des Oberverwaltungsgerichts aber auch sparen – und dem Stadtrat mitteilen, dass die Voraussetzungen fehlen, um eine gerichtsfeste Verordnung zur Ladenöffnung am 18. März fehlen“, meinte die Vorsitzende der sächsischen Arbeitnehmer*innen in der SPD, Irena Rudolph-Kokot, dazu.

Und genau das ist wieder passiert. Weil Leipzigs Verwaltung stur versucht, die vier maximal möglichen verkaufsoffenen Sonntage immer wieder auszureizen, obwohl Umweltdezernat und Wirtschaftsdezernat ganz genau wissen, wie eng der Auslegungsrahmen ist. Tatsächlich sind es immer wieder nur die zwei Adventssonntage, die der richterlichen Prüfung standhalten. Alle anderen Versuche, irgendwelche Leipziger Kulturereignisse (Markttage, Bachfest usw.) dafür zu missbrauchen, den großen Handelsketten in der Stadt das Öffnen der Läden zu erlauben, sind schiefgegangen. Und längst haben auch die Betreiber einiger großer Center aufgehört, mit der Stadt über diesen Unfug zu debattieren.

„Das Löwen Center Leipzig, die Landesdirektion Sachsen, Abt. Arbeitsschutz, der Fachausschuss Wirtschaft und Arbeit, der Sachsenpark Leipzig, die ECE Projektmanagement GmbH & Co. KG wurden zur Teilnahme am Anhörungsverfahren eingeladen, folgten dieser aber nicht. Eine schriftliche Stellungnahme zur Anhörung erfolgte von diesen nicht“, kann man in der Stadtratsvorlage lesen.

Andere haben zwar ihre Stellungnahme abgegeben – doch das Ordnungsdezernat erwähnt nicht einmal, wie diese Stellungnahmen ausgefallen sind. Dass die Evangelische und die Katholische Kirche und die Vertreter der Gewerkschaft Ver.di/Allianz für einen freien Sonntag der Ladenöffnung zugestimmt haben sollen, darf man bezweifeln.

Logisch, dass die Gewerkschaft das Gerichtsurteil vom Donnerstag nutzt, um den unbelehrbaren Stadtverwaltern ins Gewissen zu reden.

„Damit bleiben am kommenden Sonntag die Läden in Leipzig geschlossen und die Verkäuferinnen und Verkäufer können auch ein Buch lesen, die Leipziger Buchmesse besuchen oder einfach mal ausspannen“, erklärt ver.di Landesfachbereichsleiter für den Handel, Jörg Lauenroth-Mago. „Ich hoffe, der Stadtrat lernt daraus und erlässt künftig keine Verordnungen über Sonntagsöffnungen. Der Sonntag muss frei bleiben.“

Das Gericht hatte in seiner Urteilsbegründung auf die von der Stadt Leipzig zugrunde gelegten Besucherzahlen und der zur Verfügung stehenden Verkaufsfläche verwiesen. Auch die vorgetragenen Annahmen zur Anzahl der für 2018 geplanten Veranstaltungen seien mangelhaft gewesen, stellt ver.di klar. Die Ladenöffnungsmöglichkeiten von Montag bis Samstag in der Zeit von 6:00 bis 22:00 Uhr seien ausreichend.

„Die Urteilsbegründung bestärkt uns darin, auch weiterhin darauf zu achten, dass in der mitteldeutschen Region sehr verantwortungsvoll mit der Lage der Arbeitszeit unserer Verkäuferinnen und Verkäufer umgegangen wird“, betont Jörg Lauenroth-Mago.

Erst im letzten Jahr hatte das sächsische OVG am 31.08.2017 (Az.: 3 C 9/17) die Verordnung über Sonntagsöffnungen 2017 für überwiegend unwirksam erklärt. Lediglich an den zwei Adventssonntagen wurde eine Öffnung für Verkaufsstellen im Innenstadtbereich zugelassen.

Der Stadtrat tagt: Verkaufsoffener Sonntag zur Buchmesse beschlossen

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Wie war das mit dem Jahr der Demokratie, das durch den Stadtrat gefördert wird?!

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