Im Oktober meldete die Linksfraktion im Leipziger Stadtrat einen Wunsch an: „Bis spätestens zum 30.12.2019 legt die Verwaltung dem Stadtrat ein Konzept zur Einführung eines Bürgerhaushaltes analog der Stadt Stuttgart zur Beschlussfassung vor. Das Konzept soll in Zusammenarbeit mit dem Stadtrat erarbeitet werden.“ Ein Bürgerhaushalt! Endlich! – Hätte es da nicht zum Jahresende noch ein kleines „Hoppla!“ aus dem Finanzdezernat gegeben.

Denn Finanzbürgermeister Torsten Bonew ist sichtlich überzeugt, dass Leipzig schon lange so einen Bürgerhaushalt wie die Stuttgarter hat.

„Etwa 260 Kommunen in der Bundesrepublik haben in den letzten 20 Jahren einen Bürgerhaushalt eingeführt. Stuttgart aktivierte damit im Jahr 2017 mit etwa 9 Prozent der Bevölkerung ca. 52.000 Einwohner der Stadt und damit einen beachtlichen Anteil der dortigen Bürgerinnen und Bürger“, hatte die Linksfraktion in ihrem Antrag formuliert.

„In einer Zeit mit Tendenzen von ‚Politik- und Demokratieverdrossenheit‘ halten wir die Einführung eines Bürgerhaushaltes für ein wichtiges Element, um auch rechtspopulistischen Gesinnungen entgegenzutreten. Wir fordern daher für die Planung des nächsten Doppelhaushaltes 2021/2022 eine stärkere Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt durch die Einführung eines dafür geeigneten Bürgerhaushaltes.“

Einen solchen, von den Bürgern mitbestimmbaren besonderen Haushalt, hat man tatsächlich nicht gesehen. Vielleicht, so formuliert es das Finanzdezernat, weil das in Leipzig nicht so heißt und ein bisschen versteckt ist.

„Jenseits der Begrifflichkeit ‚Bürgerhaushalt‘ ist festzuhalten, dass die Stadt Leipzig bereits ein Verfahren analog dem hier vorgeschlagenen Referenzmodell der Stadt Stuttgart praktiziert. Beim dortigen Bürgerhaushalt veröffentlicht die Verwaltung ihren Planentwurf und ermöglicht das Kommentieren, Einreichen von Vorschlägen und das Bewerten dieser Vorschläge durch die Bürgerinnen und Bürger mittels eines Internet-Portals. Anschließend werden diese Vorschläge anhand der Bewertungen gelistet und dem Gemeinderat zur Entscheidung übergeben“, formuliert das Finanzdezernat seine Sicht auf die Dinge.

„Das in Leipzig angewandte Verfahren der Bürgereinwendungen zum Haushaltsplan verläuft im Wesentlichen in der gleichen Weise. Mit der öffentlichen Auslegung des Haushaltsplanentwurfes können Bürgereinwendungen eingereicht werden. Zu diesem Zweck stellt die Verwaltung eine Online-Lösung per Formular auf www.leipzig.de zur Verfügung. Dabei können auch bereits eingereichte Bürgereinwendungen unterstützt, mithin also bewertet, werden. Die gesammelten Bürgereinwände werden ebenso dem Stadtrat zur Entscheidung im Zuge des Haushaltsbeschlusses übergeben.“

Selbst in der Erläuterung mutet das Instrument noch ein wenig anders an, auch wenn es den Bürgern der Stadt tatsächlich Möglichkeiten einräumt, kleine Änderungen in der Haushaltsplanung mitzubewirken. Die Entscheidungshoheit über die Vorschläge liegt freilich am Ende doch wieder beim Stadtrat und nicht bei den Bürgern.

Trotzdem nutzen viele Leipziger, die sich in einzelnen Problemfeldern gut auskennen, das Instrument ausgiebig. Bis zum 13. Dezember ist eine ganze Latte von solchen Bürgereinwänden zusammengekommen.

„Bei der derzeit laufenden Planung des Doppelhaushaltes 2019/20 zeigt sich erneut, dass die Bürgereinwendungen ausgiebig genutzt werden und das Verfahren als etabliert angesehen werden kann. So wurden zur 1. Auslegung bereits 252 Bürgereinwendungen eingereicht“, betont auch das Finanzdezernat.

„Die Unterscheide zwischen den beiden Ansätzen liegen somit vor allem im Bereich der Begrifflichkeiten und der zugrunde liegenden Fristen. Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, das bereits bestehende Instrumentarium zunächst zu evaluieren und auf Verbesserungspotentiale zu untersuchen. Aufbauend auf den Ergebnissen dieser Evaluation können in einem moderierten Workshop mit den Mitgliedern des Fachausschusses Finanzen die Optimierungsvorschläge aus dem Stadtrat eingebracht und ein Konzept für die künftige Bürgerbeteiligung am Haushaltsverfahren erarbeitet werden. Auf diese Weise kann das bereits eingeführte und gut angenommene Verfahren der Bürgereinwendungen in enger Zusammenarbeit mit dem Stadtrat und im Sinne der Intention der Antragsteller optimiert und ausgebaut werden.“

Ein Blick nach Stuttgart zeigt, dass das Instrument „Bürgerhaushalt“ dort doch ganz ähnlich funktioniert: „Alle zwei Jahre stellt die Stadt ihren Doppelhaushalt auf, indem sie ihre Einnahmen und Ausgaben festlegt. Seit 2011 können sich alle Stuttgarterinnen und Stuttgarter an der Planung des städtischen Haushalts beteiligen. Gefragt sind Ideen, die die Einnahmen verbessern, Geld sparen oder Ausgaben sinnvoll einsetzen. Die bestbewerteten Vorschläge werden von den Fachämtern geprüft. Der Gemeinderat entscheidet schließlich, welche Vorschläge umgesetzt werden. Die Ergebnisse dieser Entscheidungen werden auf dieser Internetplattform unter dem jeweiligen Vorschlag dargestellt.“

Es ist also auch dort eher kein eigener Haushaltstitel, über dessen Verwendung die Stuttgarter abstimmen können, sondern eine zusätzliche Möglichkeit der Bürger, ihre Kompetenz in die Haushaltsgestaltung einzubringen.

Trotzdem will Finanzbürgermeister Torsten Bonew das Anliegen der Linksfraktion nicht vom Tisch wischen.

Er schlägt vor: „Bis spätestens zum 31.12.2019 evaluiert die Verwaltung die bereits bestehenden Instrumente der Bürgerbeteiligung am Haushaltsverfahren. Auf Basis dieser Evaluation erarbeitet die Verwaltung gemeinsam mit den Mitgliedern des Fachausschusses Finanzen im Rahmen eines moderierten Workshops ein Konzept zur Bürgerbeteiligung, welches schließlich der Ratsversammlung bis 30.06.2020 zur Beschlussfassung vorgelegt wird.“

Was ja auch bedeutet: Auch das Finanzdezernat sieht durchaus noch Möglichkeiten, die Sache besser zu machen und das „Verfahren zu optimieren“. Denn mit ihrem Antrag hat die Linksfraktion ja auch deutlich gemacht, dass selbst vielen Stadträten nicht wirklich klar ist, welche Spielräume die Leipziger Bürger bei der Haushaltsgestaltung schon haben. Und welche vielleicht noch möglich sind.

Linke beantragt Einführung eines Bürgerhaushalts für den Doppelhaushalt 2021/22

Linke beantragt Einführung eines Bürgerhaushalts für den Doppelhaushalt 2021/22

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