Leipzig wächst. Es könnte wachsen. Wäre da nicht das Problem der fehlenden freien Wohnungen und des viel zu langsamen Wohnungsbaus. Dabei sieht man doch aller Nase lang noch unbebaute Brachen, mal als Parkplatz genutzt, mal als Stadtgarten, mal als leeres Loch im Bebauten. Sollte da denn nun nicht überall schon gebaut werden, Lückenbebauung, wie es die Stadt eigentlich will? Die Freibeuter wollten es jetzt mal genauer wissen.

Zumindest was die verfügbaren Flächen betrifft. Denn die Stadt kann ja nicht beeinflussen, wenn Investoren größere Grundstücke brauchen und mit echter Lückenbebauung, wie sie mal üblich war, kaum umgehen können. Vielleicht auch, weil Bauen schlicht zu teuer geworden ist.

Aber grundsätzlich müsste in den Baulücken doch noch Platz für tausende neuer Wohnungen sein. „Trotz des anhaltenden Baubooms in der Stadt befinden sich noch eine große Anzahl von Baulücken im Stadtgebiet“, stellte die Freibeuter-Fraktion fest, wollte sich aber nicht auf den Augenschein verlassen, sondern fragte konkret nach: „Wie viele bebaubare Freiflächen gibt es im Stadtgebiet Leipzig?“

Ganz aktuelle Zahlen hat auch das Dezernat Stadtentwicklung und Bau nicht. Die letzte Erfassung gab es im Jahr 2016. Aber die brachte doch noch allerhand freie Baugrundstücke im Stadtgebiet ans Tageslicht: „Eine 2016 erfolgte Erfassung unbebauter Flurstücke in der Kulisse des Flächennutzungsplanes, wo sie überwiegend nach § 34 BauGB bebaubar sind (‚Baulücken‘), ergab eine Anzahl von ca. 4.600 unbebauten Flurstücken (ca. 266 ha). Darin nicht enthalten sind Flächenpotentiale in Großsiedlungen, die gesondert betrachtet werden.“

Das wären, wenn alle diese Grundstücke mit Mehrfamilienhäusern bebaut werden würden, rund 30.000 bis 40.000 neue Wohnungen, weit mehr, als derzeit in Leipzig gebaut und geplant werden. Eigentlich genau der Puffer, den Leipzig ausschöpfen könnte, wenn wirklich mal 700.000 und mehr Menschen hier wohnen sollten. Aber bis auf einige Filetstücke hält sich das Kauf- und Bauinteresse für diese Baulücken sichtlich in Grenzen, was nicht nur daran liegt, dass die Grundstücke übers ganze Stadtgebiet verteilt sind.

Ein wenig störten sich die Freibeuter dabei natürlich an einer Broschüre, die die Stadtverwaltung 2001 herausgegeben hat. Damals galt auch noch in der Verwaltung das Leitbild der „schrumpfenden Stadt“, ganze Häuserblöcke wurden (mit Fördergeldern) abgerissen und für Brachen gab es regelrechte Begrünungsprogramme. Die Stadt tat sich schwer zu akzeptierten, dass das seit knapp zwei Jahren verzeichnete leichte Bevölkerungswachstum anhalten könnte. Man war so skeptisch dieser neuen Entwicklung gegenüber, dass man auch 2005 und 2006 noch nicht recht umschalten wollte von Schrumpfen auf Wachsen. Was einer der Gründe dafür ist, dass Leipzig bei vielen Infrastrukturprogrammen heute im Schnitt fünf Jahre hinterherhinkt. Auch beim Wohnungsbau.

Selbst als 2013 klar war, dass der einstmals riesige Leerstandspuffer der Stadt von über 60.000 freien Wohnungen beim schon damals verzeichneten Bevölkerungswachstum binnen weniger Jahren verschwunden sein würde, nahm es die Verwaltung auf die leichte Schulter, wollte schon gar nicht die Formel vom knappen Wohnraum in den Mund nehmen. Dass die von den Freibeutern ausgegebene Broschüre noch im Umlauf ist, darüber staunte man im Baudezernat jetzt trotzdem.

„Bei der Broschüre ‚Sanierungstipps 5/Baulücken‘ handelt es sich um eine Handreichung von 2001, die unter den Rahmenbedingungen und Herausforderungen dieser Zeit entstand. Wie der Name bereits sagt, handelt sich um Tipps, nicht um rechtliche Vorschriften. Die konkreten Sanierungszielsetzungen wurden in den Folgejahren und heute insbesondere durch die konzeptionellen Planungen der Stadt (z. B. Konzeptionelle Stadtteilpläne und Fachkonzepte des INSEK) weiterentwickelt. Hier greift mittlerweile bekanntlich eine differenziertere Betrachtungsweise und Grundstückseigentümer entscheiden sich nach eigener Bewertung, eine mit Baurecht bestehende Baulücke mit Neubauten zu schließen“, kommentiert das Baudezernat die Existenz dieser von der Zeit überholten Handreichung. „Durch die steigende Bevölkerungszahl und die damit zunehmende Wohnraumnachfrage ist die Aktivierung vorhandener Innenentwicklungspotenziale auch unerlässlich.“

Wobei das Verschwinden der Baulücken auch Verluste mit sich bringt. Gerade in dicht bebauten Ortsteilen wie Lindenau oder Connewitz schon erlebt, denn oft sind wertvolle kleine Parks und Gärten darauf entstanden, die für die Ortsteile ein Stück grüne Erholung und ein gesellschaftlicher Treffpunkt geworden sind.

Das gibt das Baudezernat auch zu bedenken: „Zum anderen haben sich in Zeiten der Schrumpfung einige der brachliegenden Bauflächen als neue Qualität innerhalb der Stadtstruktur, mit viel Grün und großzügig nutzbaren Freiräumen entwickeln können und haben so zu einer positiven Entwicklung der Quartiere beigetragen. Hier gilt es, diese Freiräume (z. B. Nachbarschaftsgärten, Spielplatz im Bülowviertel) als soziale Treffpunkte aber auch als ökologische Potentiale auf Quartiersebene soweit dies möglich ist, zu sichern.“

Die Erfahrung zeigt freilich auch, dass heutige Investoren zumeist große bebaubare Flächen bevorzugen und die kleine Lücke zwischen den Gründerzeithäusern meistens meiden. Möglicherweise, weil sich die wirkliche Lückenbebauung finanziell kaum darstellen lässt. Und Baufirmen, die sich auf eine preiswerte Lückenbebauung spezialisiert haben, scheint es keine (mehr) zu geben. Da hat dann Leipzig zwar einen nennenswerten Puffer mit mit Baurecht versehener Brachen – nur die Bauherren fehlen, die hier für ortsübliche Mieten neue Wohnungen bauen. Ein echtes Dilemma.

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